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Deutschland - entschiedener gegen Antisemitismus

5. Dezember 2022

Die Bundesregierung beschließt einen Aktionsplan gegen Antisemitismus. "Ein Meilenstein", sagen Akteure. Doch: Vieles hängt von der Umsetzung ab.

Das Rabbinerhaus neben der Alten Synagoge in Essen
Das Rabbinerhaus neben der Alten Synagoge in Essen wurde Mitte November beschossen. Bild: Markus Gayk/dpa/picture alliance

Es ist so ein trüber Novembermorgen in Berlin. Am Morgen sprechen die Lokalnachrichten im Radio von irgendwelchen polizeilichen Durchsuchungen in verschiedenen Stadtteilen. Drei, vier Stunden später wird klarer: In 14 Bundesländern gingen Ermittler sogenannten Hasspostings im Netz nach und klingelten bei mutmaßlichen Autorinnen und Autoren.

So soll ein 59-Jähriger aus Berlin-Gesundbrunnen auf "VK" (das ist in etwa eine russische Kopie von Facebook) "der Urheber eines Textes sein, der randvoll mit antisemitischen Aussagen" sei und "Juden als Satanisten bezeichnet. Sein Laptop wurde beschlagnahmt", teilte die Polizei in Berlin mit. Und ausdrücklich fügt sie hinzu, der 59-Jährige sei rechtmäßig im Besitz einer Waffe. Routine.

Eine von 91 Polizeiaktionen an diesem Tag im Bundesgebiet, längst nicht die einzige, bei der es um Judenhass ging. Deutschland im November.

Kabinettsitzung im BundeskanzleramtBild: Jens Krick/Flashpic/picture alliance

Meilenstein im Kabinett

Am gleichen Tag beschließt das Bundeskabinett eine "Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben". Es geht um entschiedeneres Vorgehen gegen Judenhass. Es ist der erste Bericht dieser Art. "Wir erreichen heute einen Meilenstein", sagt der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, im Anschluss vor der Presse.

Seit Jahren verzeichnen die polizeilichen Statistiken steigende Zahlen bei antisemitischen Straftaten und entsprechenden Gerichtsverfahren. Die Zahl der Hasspostings im Netz sei "längst explodiert". 2021 registrierte die Polizei bundesweit 3027 antisemitische Straftaten, knapp 700 mehr als im Jahr zuvor. Und in diesen Herbstwochen wurden mehrere Angriffe auf jüdische Einrichtungen, beispielsweise Schüsse auf das Rabbinerhaus an der Alten Synagoge in Essen (das Titelbild zeigt die Ermittlungen) verzeichnet.

Klein, der seit 2018 "Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus" ist, hat das Strategie-Papier mit seinem Team seit zwei Jahren vorbereitet. Besonders wichtig sind ihm das Format des Berichts ("schlank und kompakt"), Handlungsperspektiven für die gesamte Gesellschaft und der Ansatz, jüdisches Leben im Alltag sichtbar zu machen. Ausdrücklich verweist Klein auf erstarkenden israelbezogenen Antisemitismus, der sich in intellektuellen und akademischen Milieus zeige. 

"Auch Trainer sensibilisieren"

Der Bericht verweist beispielsweise auf die Bedeutung von Bildung zur Vorbeugung gegen Judenhass und auf die Bedeutung von Erinnerungskultur und einem ausgeprägten Geschichtsbewusstsein. Der Kampf gegen Antisemitismus sei Aufgabe der gesamten Gesellschaft und nicht nur des Staates. Deshalb richte sich die Strategie auch an Akteure wie etwa Sportvereine, deren Trainer sensibilisiert werden sollten. Der 48-seitige Bericht mahnt nicht nur zu neuem Engagement oder weiteren Aktivitäten, sondern führt auch - im Stile von best-practice-Beispielen - bereits umgesetzte Ideen und Maßnahmen an.

Die Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung und der Europäischen Kommission, Felix Klein und Katharina von Schnurbein, stellten gemeinsam das Strategiepapier vorBild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Mit dem Aktionsplan setzt die Bundesregierung noch rechtzeitig eine Vorgabe der Europäischen Kommission um. Demnach sind die EU-Mitgliedsstaaten gehalten, bis Ende 2022 nationale Strategien vorzulegen. Katharina von Schnurbein, die EU-Beauftragte gegen Antisemitismus und für die Förderung jüdischen Lebens, sagt bei der Vorstellung des Aktionsplans, Deutschland lege nun als siebtes EU-Land einen solches Konzept vor. Zwölf weitere wollten es bis Ende des Jahres oder im ersten Halbjahr 2023 verabschieden.

Auch von Schnurbein spricht, wie Klein, von einem "Meilenstein" und präzisiert es noch: Vielleicht sei dies "ein Meilenstein in der bundesrepublikanischen Geschichte". Es dürfe keine Rückzugsorte für Antisemitismus geben, sagt sie. Deutschland komme angesichts seiner Geschichte dabei eine Schlüsselrolle zu. Das Strategiepapier habe das Potenzial, Breitenwirkung zu erreichen, "und die brauchen wir". Denn die freie Entfaltung jüdischen Lebens sei "der Gradmesser für die Demokratie".

"Mehr über jüdisches Leben erfahren"

Beiden ist es bei der Erläuterung des Papiers wichtig, vom Allgemeinen und der Bürokraten-Sprache auf das Konkrete zu kommen. Von Schnurbein nennt die Anregung von jüdischer Seite aus "eine sehr gute Idee", so etwas wie das Themenjahr zum jüdischen Leben, wie es bis zum Sommer 2022 in Deutschland lief, auch auf europäischer Ebene anzustoßen. Vor zwei Wochen habe sie in Brüssel mit 200 kommunalen Vertretern aus verschiedenen europäischen Ländern, darunter die beiden Hauptakteure des deutschen Themenjahres, zusammengesessen. Und sie verweist auf die Bedeutung der Arbeit in den Kommunen. Sie hoffe, dass es gelinge, Ideen zur Stärkung jüdischen Lebens über Grenzen hinweg voranzubringen.

Felix Klein, seit 2018 Antisemitismus-Beauftragter der BundesregierungBild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Für Felix Klein brachte das Themenjahr die Erkenntnis, "dass die Leute interessiert daran sind, mehr zu erfahren über jüdisches Leben". Jüdische Gemeinden seien auch bereit gewesen, sich zu öffnen und Rede und Antwort zu geben. Er wisse nicht, ob das vor 20 Jahren in Deutschland bereits möglich gewesen wäre. Je selbstverständlicher jüdisches Leben wahrgenommen werde, desto weniger stehe es in der Gefahr, angegriffen zu werden.

Gefahr im Netz

Beide kommen wiederholt auf den Antisemitismus im Netz. "Das Internet ist das Einfallstor Nummer Eins für Antisemitismus in unsere Wohnzimmer", sagt von Schnurbein. Auch Klein beklagt, dass Hass und Hetze im Internet mehr und mehr zunähmen. Er spricht von "herausfordernden Zeiten" durch die Corona-Pandemie.

Das lässt an die Polizeiaktionen vom Vormittag denken, bei denen es immer wieder um judenfeindliche Äußerungen ging. Aber auch an eine Klage, die der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, in einem Interview der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am Vortag erhoben hatte. Gerichtsurteile würden ihm bei antisemitischen Straftaten "zu häufig mit Verweis auf eine schwierige Kindheit oder problematische Gesamtumstände in der Strafe gemildert". Die Taten würden dadurch relativiert.

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