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Gemeinden wollen afghanischen Flüchtlingen helfen

27. August 2021

"Flüchtlinge willkommen!" heißt es in immer mehr deutschen Städten und Gemeinden. Viele sind dazu bereit, Menschen aus Afghanistan aufzunehmen - obwohl sie es teils gar nicht müssten.

Deutschland Frankfurt | afghanische Flüchtlinge am Flughafen in Frankfurt
Ankunft von aus Afghanistan Geflüchteten in Frankfurt/Main Bild: Armando Babani/Xinhua/picture alliance

Sich nur das Leid der Menschen in Afghanistan anzusehen, das war Mike Schubert zu wenig. "Diese Bilder, das lässt doch keinen kalt", sagt er im Telefoninterview mit der DW. Schubert greift zur Feder. Der SPD-Oberbürgermeister von Potsdam schreibt dem Bundesinnenminister, Horst Seehofer (CSU): "Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister Horst Seehofer, mit Sorge beobachtet der Zusammenschluss der Länderkoordinator*innen des Bündnisses Sicherer Häfen, welches mittlerweile über 100 Mitglieder vereint, die aktuelle Nachrichtenlage aus Afghanistan." Und weiter schreibt Schubert: "Mit diesem Schreiben möchten wir ausdrücklich die kommunale Bereitschaft zur Aufnahme der Ortskräfte, ihrer Familien und weiterer afghanischer Schutzbedürftiger zum Ausdruck bringen." Der Brief liegt der DW vor.

"Zügiges Handeln" will der Oberbürgermeister von Potsdam, Mike Schubert (SPD)Bild: picture-alliance/dpa/M. Skolimowska

Potsdam will ein Zeichen setzen. Die Hauptstadt des Bundeslandes Brandenburg hat sich bereit erklärt, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, als sie eigentlich laut dem bundesweiten Verteilsystem "Königsteiner Schlüssel" müsste. Platz sei derzeit für 50 bis 60 Menschen, sagt Schubert. "Es geht darum, das Machbare als Hilfe zu leisten." Die ersten Familien erwarte er schon in den nächsten Tagen.

Für den Ex-Soldaten mit Auslandserfahrung gibt es noch einen weiteren Grund, sich zu engagieren: "Wir sind nicht nur Heimstatt vieler Soldatinnen und Soldaten"; außerdem liege das Einsatzführungskommando der Bundeswehr, von wo aus auch der Afghanistan-Einsatz koordiniert wurde, gleich "vor den Toren von Potsdam", erklärt Schubert.

Hilfsaktion in neuer Phase

Auch wenn der Evakuierungseinsatz der Bundeswehr eingestellt ist, sollen Menschen aus Afghanistan kommen können. Darum ringen derzeit deutsche Spitzenpolitiker und Diplomaten. Vor allem Ortskräfte, die deutschen Einrichtungen oder dem Militär geholfen hatten, sowie deutschen Staatsbürgern und besonders Gefährdeten soll auch weiterhin geholfen werden. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer bekräftigte, dass Deutschland in der Verantwortung bleibe für diejenigen, die bislang noch nicht ausgeflogen werden konnten. Außenminister Heiko Maas zufolge arbeitet die Regierung daran, weiterhin Ausreisemöglichkeiten zu schaffen. Um eine Ausreise zu ermöglichen, so der Außenminister, spreche man auch mit den Taliban. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte vor einigen Tagen Agenturberichten zufolge von rund 10000 Menschen gesprochen gesprochen. Siesollten ausgeflogen und auf Länder und Kommunen verteilt werden

 

Migrationsexperten wie David Kipp von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) rechnen aber mit mehr Menschen, die nach Deutschland kommen werden. Viele würden es nicht sein, aber es könnte "um Menschen gehen, die schon jetzt in den Nachbarländern leben und schutzbedürftig sind", sagt Kipp.

Die Grenzen Afghanistans sind dicht. An der Grenze zu Pakistan sollen sich schon viele Menschen gesammelt haben, die ins Nachbarland wollen.

Die Grenzen Afghanistans seien dicht, würden von den Taliban kontrolliert, sagt der SWP-Mann. Flucht sei schwierig bis unmöglich. Kipp und andere Experten können sich aber vorstellen, dass die UN Flüchtlingen, die schon in Nachbarländern (z.B. Pakistan oder Iran) leben und besonders gefährdet sind, eine organisierte Einreise in sichere Länder ermöglichen könnte. In diesem Zusammenhang nennt der Migrationsexperte die Gesamtzahl von 50.000 Menschen. "Es geht vor allem darum, den Nachbarländern zu zeigen, dass sie nicht allein gelassen werden, dass man nicht nur eine Checkbuchdiplomatie betreibt", sagt er gegenüber der DW.

Heidelberg will "sicheres Zuhause bieten"

Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund, die Vertretung der Kommunen, geht davon aus, dass in den kommenden Wochen und Monaten mehr Menschen aus Afghanistan kommen werden. Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg spricht im Interview mit der DW von einer Größenordnung "von um die 10.000 bis 30.000 Menschen". "Das können die Kommunen schultern", glaubt Landsberg. Die entsprechenden Aufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber in den Ländern seien derzeit nicht ausgelastet und hätten durchaus Kapazitäten.

Das ist auch in Heidelberg so. Auch Eckart Würzner hat deshalb einen Brief geschrieben. Er liegt der DW ebenfalls vor. Der parteilose Oberbürgermeister der Stadt in Baden-Württemberg hat dem Ministerpräsidenten, Wilfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), darin mitgeteilt, "freiwillig afghanische Ortskräfte und weitere schutzbedürftige Afghaninnen und Afghanen" aufnehmen zu wollen. "Die erschütternden Bilder, die uns dieser Tage über die Medien aus Afghanistan erreicht haben, machen mehr als deutlich, dass wir helfen müssen."

Eigentlich ist die Stadt im Südwesten von Deutschland aufgrund einiger Besonderheiten gar nicht dazu verpflichtet, Flüchtenden Unterkunft zu geben. Doch seit 2015 hat die Kommune schon mehr als 500 Personen Aufnahme gewährt. Heidelberg gehört ebenfalls zum Bündnis "Städte Sicherer Häfen", ist eines der Gründungsmitglieder.

Der Oberbürgermeister macht in seinem Brief darauf aufmerksam, dass über die Aufnahme von Geflüchteten eigentlich der Bund - also das zuständige Innenministerium - entscheidet; nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel. Das ist eine Regelung zwischen Bund und Ländern, die jedem Bundesland einen bestimmten Anteil an Flüchtlingen und Asylsuchenden zuweist, die dann auf die Städte und Gemeinden in dem jeweiligen Bundesland verteilt werden. Die Kosten für die Integration, Unterbringung und Verpflegung von Asylbewerbern zahlen im Regelfall Bund und Länder.

Die Angst bleibt

02:10

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Signal der Solidarität

Nach Auskunft des Koordinators der Initiative "Städte Sicherer Häfen", Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert, haben sich schon mehr als 30 Kommunen und Landkreise gemeldet, die helfen wollen.

Berlin, Krefeld, Kiel, Würzburg und andere Städte wollen mehr tun als die Regeln - zum Beispiel der Königsteiner Schlüssel - eigentlich vorschreiben. "Wir werden jetzt gemeinsam gegenüber dem Bund das Signal setzen, dass es Möglichkeiten der konkreten Umsetzung gibt", sagt Schubert der DW. Auch wenn mehr Menschen kommen. Es müsse nur alles geordnet laufen. "Das ist für die Akzeptanz in den Städten wichtig", ergänzt Schubert.

"Helft Afghanen!" fordern Demonstrierende in Berlin (17. August)Bild: Erbil Basay/AA/picture alliance

Er und das Bündnis "Städte Sicherer Häfen" wollten keine Außenpolitik machen, sagt Sozialdemokrat Schubert gegen Ende des Interviews. Es gehe ihm um etwas, das SPD-Kanzler Helmut Schmidt einmal mit moralischem Pragmatismus beschrieben habe: "Also, was kann man leisten. Und das auf einem klaren, moralischen Fundament."

 

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