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Bundeswehr: Freiwilligkeit statt Wehrpflicht

12. Juni 2024

Deutschlands Verteidigungsminister Boris Pistorius hat sein Konzept gegen den Personalmangel bei der Bundeswehr vorgestellt. Aus Wehrpflicht wird Auswahlwehrdienst.

Verteidigungsminister Boris Pistorius bei einem Truppenbesuch - er trägt einen Anzug und spricht mit Soldaten in Uniform
Braucht mehr Soldaten und Soldatinnen - Verteidigungsminister Boris Pistorius beim Truppenbesuch (Archiv)Bild: Sepp Spiegl/IMAGO

Seitdem die Wehrpflicht 2011 ausgesetzt wurde, fehlen der Bundeswehr Soldatinnen und Soldaten. Statt mehr Personal zu beschäftigen, schrumpft die Bundeswehr. Für März verzeichnet die Statistik nur noch 181.123 Rekruten. Das soll jetzt besser werden. Das deutsche Versprechen an die NATO: Bis 2031 sollen es 203.000 Soldatinnen und Soldaten werden, später möglicherweise 240.000. 

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte immer wieder gesagt, dass die Bundeswehr endlich "kriegstüchtig" werden solle. Pistorius spricht von einer neue Bedrohungssituation. "Russland führt Krieg" sagt er am Mittwoch vor der Hauptstadtpresse. "2029 wird Russland in der Lage sein, einen NATO-Staat anzugreifen." Monatelang hatte er an seinem Konzept zur neuen Wehrpflicht gefeilt; nun stellte er es in Berlin vor. Von einer Pflicht ist allerdings nicht mehr die Rede: "Wir sehen einen Auswahlwehrdienst vor. Es sollen diejenigen für den Wehrdienst ausgewählt werden, die am fittesten, am geeignetsten und am motiviertesten sind", erklärt Pistorius. 

Verteidigungsminister Boris Pistorius auf dem Weg zur Vorstellung seiner ReformpläneBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Eine allgemeine Wehrpflicht beinhaltet das Konzept von Pistorius also nicht. Verpflichtend ist zunächst lediglich, dass von 18-jährigen Männern erwartet wird, einen Fragebogen auszufüllen. Für Frauen ist das freiwillig. Die Angeschriebenen sollen darin erklären, ob sie grundsätzlich zum Wehrdienst bereit wären. Dieser würde sechs Monate dauern, mit der Option auf eine Verlängerung auf bis zu 23 Monate. Pistorius geht davon aus, dass pro Jahr rund 400.000 Männer den Fragebogen ausfüllen müssen. Ein Viertel könne wohl Interesse bekunden, hofft er. Vorgesehen ist, dass rund 40.000 Kandidaten zur Musterung - also einer Untersuchung der körperlichen und geistigen Eignung - gebeten werden. Diese ist dann ebenfalls verpflichtend. Das Recht zur Kriegsdienstverweigerung im Anschluss daran bestehe natürlich weiterhin.

Deutschland: Erneute Debatte über Wehrpflicht

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Ungeklärt ist die Frage nach ausreichend Kapazitäten für die Musterung und für die Grundausbildung. Der "limitierende Faktor", so Pistorius, sei die begrenzte Infrastruktur. Gemeint sind damit Kasernen, Ausbilder, Gerät. Für das Ziel von 5000 zusätzlichen Wehrpflichtigen pro Jahr wären schätzungsweise rund 1,4 Milliarden Euro nötig. Pistorius setzt außerdem noch auf eine Erhöhung der Anzahl sogenannter Reservisten, also vor allem Menschen, die vor Aussetzung der Wehrpflicht 2011 gedient haben. Die wolle er kontaktieren. Pistorius erhofft sich eine Steigerung bei den Reservisten um 200.000 Menschen.

Der Dienst an der Waffe - für viele Menschen ist die Bundeswehr nicht attraktivBild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Die Freiwilligentruppe Bundeswehr wird also ein wenig weniger freiwillig. Für Hans-Peter Bartels kann das Pistorius-Konzept jedoch nur ein erster Schritt sein. Er ist Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik und war davor Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages. Bartels macht im Interview mit der DW klar: Nur ein Fragebogen sei für ihn "nicht problemlösend". "Ein Fragebogen; den füllt man dann eben aus. Und den füllt man im Zweifelsfall so aus, dass man nicht mehr belästigt wird. Es wird schon ein bisschen was bringen. Es ist aber nicht der Gamechanger."

Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels glaubt, dass "Freiwilligkeit" allein nicht hilftBild: Volodymyr Tarasov/Avalon/Photoshot/picture alliance

Bartels sieht noch ein anderes Problem: Die Wehrgerechtigkeit; also dass Männer und Frauen gleichermaßen in die Pflicht genommen würden. Denn die Wehrpflicht betrifft in Deutschland laut Verfassung bislang nur Männer. "Wenn man das erreichen wollte, müsste man das Grundgesetz ändern. Und dazu hat sich Pistorius ja geäußert. Das kriege man jetzt nicht hin", sagt Bartels.

Die ersten westdeutschen Soldaten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs werden am 19.Mai 1957 verpflichtetBild: picture alliance/dpa

Mit der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Mitte der 1950er Jahre wurden Männer ab dem 18. Lebensjahr zum Wehrdienst eingezogen. Die Idee: Soldaten sollten Bürger in Uniform sein. Im Sommer 2011 wurde die Wehrpflicht in Deutschland ausgesetzt, aber nicht abgeschafft. Damals sollte die Bundeswehr verkleinert werden. Im Spannungs- oder Verteidigungsfall könnte die Wehrpflicht jedoch wieder aktiviert werden. Heute ist die Bundeswehr eine Freiwilligenarmee, bei der auch Frauen Dienst leisten. Die Aussetzung der Wehrpflicht hatte Boris Pistorius von Anfang an kritisiert, sie sogar als "Fehler" bezeichnet.

Die Deutschen wollen die Wehrpflicht

Fragt man die Deutschen, ob das Land wieder eine Wehrpflicht brauche, ist die Meinung überwiegend: Ja! Eine aktuelle Umfrage des Marktforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Zeitung "Welt am Sonntag" ergab, dass sich 60 Prozent für eine allgemeine Wehrpflicht aussprechen.

In der Politik ist die Resonanz auf das Pistorius-Konzept eher verhalten. Vor allem in der Regierungskoalition von SPD, Grünen und FDP. Selbst aus der eigenen Partei stößt der SPD-Politiker Boris Pistorius auf Widerstand. Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich von Anfang an reserviert. SPD-Chef Lars Klingbeil hat sich dafür ausgesprochen, bei der Rekrutierung weiterhin auf Freiwilligkeit zu setzen. Auch der grüne Koalitionspartner zeigt sich eher skeptisch. FDP-Parteivorsitzender Christian Lindner schrieb bei X: "Statt eines neuen Pflichtdiensts sollten wir mehr Menschen für den Dienst in der Bundeswehr interessieren und die Reserve stärken." Grundsätzliche Unterstützung erhielt Pistorius eher aus den Reihen der CDU/CSU-Opposition. Sie hätte sich allerdings mehr Pflicht als allzu viel Freiwilligkeit gewünscht. 

Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels sagt resümierend gegenüber der DW: "Das Konzept ist nicht der große Wurf, sondern der kleine Anfang einer Veränderung, wo wir dringend noch mehr Veränderung brauchen." Klar ist, die Ideen von Pistorius sind zunächst einmal nur genau das: Ideen. Jetzt beginnt die gesellschaftlich und politische Debatte zum Pistorius-Konzept.

Mitarbeit: Lisa Hänel

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