Die deutsche Nationalmannschaft hat gegen Spanien ein Debakel erlebt. Die Führung um Joachim Löw und Oliver Bierhoff wirkt ratlos und der gesamte DFB erscheint momentan kaum handlungsfähig.
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Oliver Bierhoff rang sich noch ein Lächeln ab. Er möge doch bald mal wieder vorbeikommen und der Nationalmannschaft einen Besuch abstatten, sagte der Manager der Nationalmannschaft in Richtung ARD-Experte Bastian Schweinsteiger, nachdem dieser den Auftritt und die Situation der Nationalmannschaft mit expliziter Kritik bedacht hatte. Bierhoffs Worte konnten allerdings auch als Retourkutsche an jemanden verstanden werden, der einst auch zum inneren Zirkel der Nationalmannschaft gehört hat und so offen Kritik an den Führungspersonen äußert.
Die Situation rund um die Nationalmannschaft ist spätestens nach dem 0:6-Debakel in Sevilla gegen Spanien desaströs. Die Diskussionen über den richtigen Weg in die Zukunft dauern schon lange an und werden in ihrer Intensität wohl noch weiter zunehmen. Bundestrainer Joachim Löw hat sich dafür entschieden, nach dem Vorrunden-Aus bei der WM 2018 in Russland - ein noch größeres Debakel als das von Sevilla - nur noch auf die Zukunft zu setzen.
Löw hat Führungsspieler und Leistungsträger wie Mats Hummels, Jerome Boateng und Thomas Müller fast schon unhöflich aus dem Team entfernt. Eine Rückkehr trotz der sportlichen Probleme des Teams? Unter Löw offenbar ausgeschlossen.
Talfahrten allerorten
Der Bundestrainer hat sich für die Vision und gegen das Leistungsprinzip entschieden. Aus diesem Dilemma kommt er - ohne sein Gesicht zu verlieren - nicht mehr raus. Bereits nach der verunglückten WM hatte er bei seinem selbst eingestandenen Taktik-Irrtümern davon geredet, "fast schon arrogant" gewesen zu sein.
Eindeutig ist aber auch: Nach dem triumphalen WM-Titel 2014 in Brasilien ging es sportlich fast nur noch bergab, während der Bundestrainer dies ignorierte, sich inhaltlich unnahbar gab und Kritiker für ihn nur noch als lästig erschienen. Löw suggerierte (wohl auch sich selbst), dass vor allem er es sei, der den Tanker Deutschland aus schwerer See heraus manövrieren könne.
Joachim Löw: Der Weg zum Helden und zurück
Die Ära Joachim Löw in der Fußball-Nationalmannschaft ist beendet. Nach 15 Jahren hört der 61 Jahre alte Weltmeistertrainer von 2014 auf. Ein Blick zurück auf seine Karriere.
Bild: Kai Pfaffenbach/REUTERS
Einer mit Torriecher
Dass Joachim Löw einmal als der berühmteste Spross seiner Geburtsstadt Schönau im Schwarzwald gefeiert werden würde, war nicht unbedingt zu erwarten. Als Fußballer hat er zwar einen guten Torriecher - mit 83 Treffern, 81 davon in der 2. Liga, ist er lange Zeit Rekordtorschütze des SC Freiburg. Vier Einsätze im U21-Team des DFB verbucht der Mittelstürmer, eine richtig große Nummer ist er aber nie.
Bild: Herbert Rudel/picture alliance
DFB-Pokalsieg zum Trainer-Einstand
Mit 35 Jahren beendet Löw seine aktive Karriere beim FC Frauenfeld in der Schweiz - als Spielertrainer. Sein erstes Engagement als Cheftrainer beginnt vielversprechend: 1997 gewinnt Löw, damals noch ohne Trainerlizenz, mit dem VfB Stuttgart den DFB-Pokal gegen Energie Cottbus. Ein Jahr später verlieren die Schwaben unter Löw das Endspiel im Europapokal der Pokalsieger gegen den FC Chelsea mit 0:1.
Bild: Sven Simon/IMAGO
Wechsel im Jahrestakt
Nach der Saison 1997/98 trennt sich der VfB von Löw, der daraufhin beim türkischen Traditionsklub Fenerbahce Istanbul anheuert. Dieses eher glücklose Engagement dauert nur ein Jahr - wie auch die anschließenden Stationen beim Zweitligisten Karlsruher SC, bei Adanaspor in der Türkei, beim FC Tirol Innsbruck und bei Austria Wien. Mit den Innsbruckern wird Löw 2002 österreichischer Meister.
Bild: Pressefoto Baumann/IMAGO
Zwei Freunde, ein Trainerteam
Beim Trainer-Kurzlehrgang des DFB im Jahr 2000 drückt Löw gemeinsam mit Jürgen Klinsmann (l.) die Schulbank. Die Chemie zwischen ihnen stimmt. Daran erinnert sich Klinsmann, als er nach dem deutschen Vorrunden-Aus bei der EM 2004 Rudi Völler als Teamchef der Nationalmannschaft ablöst. Klinsmann holt Löw als Assistenten. Gemeinsam sorgen sie dafür, dass die Heim-WM 2006 zum "Sommermärchen" wird.
Bild: Oliver Berg/dpa/picture-alliance
Bad in der Menge
Deutschland wird nach begeisternden Auftritten und dem Halbfinal-Aus gegen Italien WM-Dritter und erlebt eine völlig neue Fußball-Euphorie. Auf der Fanmeile am Brandenburger Tor in Berlin lassen sich Löw und Klinsmann mit Torwarttrainer Andreas Köpke (l.) und Teammanager Oliver Bierhoff (r.) nach dem Turnier von den Massen feiern. Klinsmann nimmt anschließend seinen Hut, Löw wird Bundestrainer.
Bild: picture-alliance/dpa
Spanien eine Nummer zu groß
Bei der EM 2008 wird Löw im letzten Gruppenspiel gegen Co.-Gastgeber Österreich nach einem lautstarken Disput mit dem vierten Offiziellen auf die Tribüne verbannt und für das Viertelfinale gegen Portugal gesperrt. Deutschland erreicht schließlich das Finale und muss sich dort - wieder mit Löw auf der Bank - Spanien mit 0:1 geschlagen geben.
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Kuranyi aussortiert
Im Oktober 2008 greift der Bundestrainer durch. Kevin Kuranyi (r.), von Löw im WM-Qualispiel gegen Russland auf die Tribüne gesetzt, verlässt zur Halbzeit der Partie das Stadion in Dortmund. "So wie Kevin gestern reagiert hat, kann ich das nicht akzeptieren und werde ihn in Zukunft nicht mehr für die Nationalmannschaft nominieren", sagt Löw anschließend und beendet Kuranyis DFB-Karriere.
Bild: Oliver Berg/dpa/picture-alliance
Derselbe Stolperstein
Bei der WM 2010 in Südafrika begeistert die runderneuerte deutsche Mannschaft mit spektakulärem Offensivdrang. Löw zeigt, dass er mit jungen Spielern wie Mesut Özil (r.) umgehen und sie ins Team integrieren kann. Aber wieder sind es die damals international dominierenden Spanier, die das DFB-Team stoppen, dieses Mal im Halbfinale. Deutschland beendet das Turnier wie 2006 als WM-Dritter.
Bild: STEPHANE DE SAKUTIN/AFP/Getty Images
Never change a winning team
Nach der EM 2012 in Polen und der Ukraine muss Löw erstmals heftige Kritik einstecken. Nach 15 Pflichtspiel-Siegen in Serie ist im EM-Halbfinale gegen Italien Endstation. Das DFB-Team verliert 1:2, nachdem Löw das zuvor überzeugende Team auf mehreren Positionen verändert. Diese Rechnung geht nicht auf. Der Bundestrainer muss sich den Vorwurf gefallen lassen, sich "vercoacht" zu haben.
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Die Helden von Rio
Die Krönung zwei Jahre später: Durch einen 1:0-Sieg nach Verlängerung gegen Argentinien sichert sich Deutschland in Rio de Janeiro den Weltmeistertitel. Zuvor demütigte das DFB-Team im Halbfinale Gastgeber Brasilien mit 7:1 - ein historischer Sieg. Mit 54 Jahren steht Löw auf dem Gipfel seiner Karriere und wird in der Folge zum "Welttrainer des Jahres 2014" gewählt. Aber Löw will mehr.
Bild: VI Images/IMAGO
Wieder nur EM-Halbfinale
Zu gerne würde Löw auch den EM-Titel gewinnen. Doch auch der dritte Anlauf des Bundestrainers scheitert: Bei der EM 2016 muss sich Weltmeister Deutschland im Halbfinale Gastgeber Frankreich mit 0:2 geschlagen geben. Fast schon trotzig verlängert Löw nach dem Turnier seinen Vertrag bis 2020 - hoch motiviert, den WM-Titel 2018 in Russland zu verteidigen.
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Der zweite Anzug passt
Und es scheint alles nach Plan zu laufen. Ein Jahr vor der WM, im Sommer 2017, gewinnt Deutschland in Russland die WM-Generalprobe, den Confederations Cup - und das, obwohl Löw mit einer besseren B-Elf anreist. Doch auch diese Mannschaft mit vielen jungen, noch unerfahrenen Nationalspielern überzeugt. Fazit ein Jahr vor der WM: Der zweite Anzug passt.
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Blamage in Russland
Doch es folgt der tiefe Absturz. Bei der WM 2018 in Russland blamiert sich das deutsche Team bis auf die Knochen. Nach Niederlagen gegen Mexiko und Südkorea und einem Sieg gegen Schweden scheidet der Titelverteidiger als Gruppenletzter nach der Vorrunde aus. So will Löw nicht aufhören. Schon vor der WM wurde sein Vertrag vorzeitig bis 2022 verlängert und er macht trotz der Blamage weiter.
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Drei Weltmeister geopfert
Nach dem WM-Debakel räumt Löw eigene Fehler ein. Er habe fälschlicherweise geglaubt, "mit Ballbesitzfußball durch die Vorrunde zu kommen", sagt der Bundestrainer bei seiner WM-Analyse. "Es war fast schon arrogant." Löw kündigt einen Generationswechsel im DFB-Team an und erklärt, künftig auf die 2014er Weltmeister Jerome Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller zu verzichten.
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Der "rabenschwarze Tag"
Souverän qualifiziert sich das DFB-Team für die EM 2020, die wegen der Corona-Pandemie verschoben wird. Löw wähnt sich auf dem richtigen Weg - bis zur 0:6-Pleite im Nations-League-Spiel in Spanien, der zweithöchsten Schlappe in der Geschichte der DFB-Nationalmannschaft. "Es war ein rabenschwarzer Tag", sagt der aktuell dienstälteste Nationaltrainer der Welt, für den die Luft dünn wird.
Bild: Marcelo Del Pozo/REUTERS
Rücktritt angekündigt
Zunächst geht es für Löw weiter. Doch noch vor dem ersten Länderspiel 2021 gegen Island verkündet der damals 61-Jährige: Nach der EM in diesem Jahr ist für ihn Schluss. Der DFB nimmt die Entscheidung dankbar an. Sie sei "hoch anständig", sagt der damalige DFB-Präsident Fritz Keller. So habe der Verband genügend Zeit, um "mit Ruhe und Augenmaß" einen Nachfolger zu suchen.
Bild: Martin Rose/Getty Images
Ende einer Ära nach dem WM-K.o.
Das Achtelfinale bei der EURO 2020 gegen England im Wembley-Stadion ist das letzte Spiel, dass Joachim Löw (r.) als Bundestrainer betreut. Die Partie geht mit 0:2 verloren. Erneut scheidet sein Team nach der WM 2018 in Russland frühzeitig aus einem Turnier aus. Nach dem Spiel ringt Löw mit den Emotionen. Nach der Heimreise aus England beginnt eine neue Zeit beim DFB: Löw hört auf.
Bild: John Sibley/REUTERS
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Eingerahmt wurde die andauernde Talfahrt allerdings von den Organisatoren des "Premium-Produkts Nationalmannschaft" und dem DFB selbst. Organisator Bierhoff hatte das Umfeld der DFB-Elf einst aus dem Dornröschenschlaf erweckt und eine Professionalisierung auf allen Ebenen in Gang gesetzt, wie es diese im DFB noch nie zuvor gegeben hatte. Die Nationalmannschaft wurde unter dem heute 52-Jährigen so intensiv vermarktet, dass dies sogar bis in dahin dem Fußball weniger zugewandte gesellschaftliche Teile vordrang.
Die Folge: Ein Hype in Deutschland, der stets von guten sportlichen Ergebnissen untermalt war. Aber auch Bierhoff verlor irgendwann Maß und Mitte. Auch er zeigte kaum Kritikfähigkeit, verlor den Blick auf die Auswirkungen seines Handelns.
Vermarktung bis es nicht mehr geht
So wurde der Fanklub-Nationalmannschaft gegründet: Eine eher unkritische Ansammlung von Nationalmannschafts-Freunden mit bevorzugten Ticketansprüchen und keine homogene Fangemeinde, die sich Entwicklungen auch mal entgegenstellt. Öffentlich zugängliche Trainingseinheiten? Nur noch in Ausnahmesituationen. Als Bierhoff dem Nationalteam den Marketing-Slogan "Die Mannschaft" verpasste und später dann von "Stakeholdern im Umfeld" und einem "Produkt" sprach, nahm die bereits eingetretene Entfremdung weiter ihren Lauf.
Die DFB-Elf wurde immer mehr zum Vehikel einer scheinbar nicht enden wollenden Monetarisierungsstrategie und verlor auf diesem Weg ihre Authentizität und ihre Nähe zu den Fans. Wie weit diese unerfreuliche Entwicklung schon vorangeschritten war, spiegelten die schon vor der Corona-Pandemie deutlich gesunkenen Länderspiel-Zuschauerzahlen in den Stadien wider. Bis auf ein paar Lippenbekenntnisse und dem Zugeständnis, die eine oder andere Trainingseinheit wieder öffentlich abzuhalten, gab es aber kaum Veränderungen.
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Interne Kämpfe
All diese Entwicklungen hätten von einem starken Verband womöglich noch erkannt und korrigiert werden können. Aber der DFB beschäftigte sich in den vergangenen Jahren vor allem mit sich selbst und internen Machtfragen, anstatt Kapazitäten für eine richtungsweisende Strategie aufzubringen. Die Hoffnung darauf, dass Löw und Bierhoff schon den richtigen Weg finden würden, genügte der Verbandsführung offenbar, um ihnen freie Hand zu lassen. Damit erschufen sich Löw und Bierhoff eine Hausmacht innerhalb des DFB, die sie gegen Kritik nahezu immun macht - der Staat im Staat sozusagen.
Weder der ehemalige DFB-Präsident Reinhard Grindel, noch dessen Nachfolger Fritz Keller haben es vollbracht, die Nationalmannschaft wieder zur Geliebten der deutschen Fußball-Nation werden zu lassen. Dass der Verband Joachim Löw, der noch einen Vertrag bis zur WM 2022 besitzt, vorzeitig entlässt, scheint ausgeschlossen. Keller hat derzeit vielmehr damit zu kämpfen, neue Strukturen zu schaffen und stößt dabei auf großen Widerstand.
Ohnehin hat es beim DFB noch nie eine Entlassung des Bundestrainers gegeben. Ein geregelter Übergang nach einem großen Turnier war stets der Normalfall. Allerdings war der Absturz auch selten so dramatisch. Der DFB hat gerade so viele Baustellen zu bearbeiten, dass ein Wechsel auf der Position des Bundestrainers zum jetzigen Zeitpunkt nicht an erster Stelle steht und Löw auch bei der im Sommer 2021 stattfindenden EM im Amt sein wird.
Nach der Rückkehr in Frankfurt am Mittwoch führten Oliver Bierhoff und Keller ein halbstündiges Krisengespräch im VIP-Terminal des Münchner Flughafens. Danach stand fest: Löw bleibt trotz der zweithöchsten Niederlage der deutschen Länderspiel-Geschichte Bundestrainer.
Der DFB-Präsident sagte, man habe sich von Verbandsseite "bewusst entschieden, den Umbruch mit vielen neuen und jungen Spielern mit Perspektive zu vollziehen. Dieser Weg kann, wie man gestern gesehen hat, der steinigere sein und auch zu schmerzhaften Niederlagen führen". Die Herausforderung bestehe weiterhin darin, "eine starke Mannschaft zu formen für die nächsten drei großen Turniere: die Europameisterschaft im kommenden Jahr, die WM 2022 und die EM im eigenen Land 2024".