Deutschland: Hat die SPD noch eine Zukunft?
29. Juni 2025
"Bitter", "furchtbar", "katastrophal", "ein Albtraum" - wenn Sozialdemokraten über das Ergebnis der SPD bei der Bundestagswahl Ende Februar 2025 sprechen, dann ist die tiefe Enttäuschung mit Händen zu greifen. Nur 16,4 Prozent der Stimmen - das schlechteste Ergebnis, das die Partei seit 1887 bei einer nationalen Wahl einfuhr. Mehr als neun Prozent weniger als 2021, nur noch Platz drei hinter der konservativen CDU/CSU und der in Teilen rechtsextremen AfD.
"Wir haben nichts schönzureden", sagte vier Monate nach der Wahl der neue SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf auf dem SPD-Bundesparteitag, der von von Freitag bis Sonntag in Berlin tagte. Das Wahlergebnis sei Ausdruck eines tiefen Vertrauensverlusts der Bürger. "In die Politik, in unsere Demokratie, in unsere Institutionen, in uns." Allerdings ist es ein Vertrauensverlust mit Ansage. Wer die Wahlergebnisse der letzten 25 Jahre analysiert, muss feststellen, dass es weitgehend nur eine Richtung gab: abwärts.
Klatsche für Klingbeil
Zu erwarten war auch, dass sich der Frust auf dem SPD-Parteitag entladen würde. "Hüten wir uns vor der Personalisierung von Problemen", warnte in seiner Begrüßung der langjährige Ministerpräsident von Niedersachsen, Stefan Weil. Doch damit stieß er bei vielen der 600 Delegierten auf taube Ohren. Schon zuvor war die Kritik an SPD-Chef Lars Klingbeil gewachsen. Während sich Alt-Kanzler Olaf Scholz und später auch die SPD-Co-Chefin Saskia Esken als Konsequenz aus der Wahlniederlage zurückzogen, machte Klingbeil nicht nur einfach weiter. Er führte die Koalitionsverhandlungen mit CDU/CSU, wurde Vizekanzler und Finanzminister.
Das Streben nach Macht haben ihm viele in der Partei übelgenommen. Bei der Wiederwahl zum SPD-Vorsitzenden stimmten nicht einmal zwei Drittel der Delegierten für ihn - ein historisch schlechtes Ergebnis für einen Parteivorsitzenden, der keinen Gegenkandidaten hatte. Auch innerhalb der Regierungskoalition mit der Union gilt er nun als schwach, weil er nur Teile der SPD hinter sich hat.
Hoffnungsträgerin Bärbel Bas
Die frühere Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hingegen, die sich als Nachfolgerin von Saskia Esken beworben hatte, bekam stolze 95 Prozent der Stimmen. "Für Alibi-Parität bin ich nicht zu haben", sagte die als durchsetzungsstark geltende 57-Jährige und meint damit, dass sie neben dem bislang dominanten Klingbeil eine durchaus mächtige Rolle in der Partei spielen will.
Bas gehört dem linken Parteiflügel an. In der neuen Bundesregierung ist sie Arbeitsministerin. Damit ist sie inhaltlich für Herzensthemen der Sozialdemokraten wie Arbeit, Rente und Sozialleistungen für Arbeitslose zuständig. Sie hat angekündigt, sich mit aller Macht gegen einen Sozialabbau zu stemmen. Das begeistert die Partei.
Kleinster gemeinsamer Nenner: AfD-Verbot
Einig scheinen sich die Genossinnen und Genossen derzeit vor allem in einem Punkt: Die Sozialdemokraten wollen entschlossen die Möglichkeit prüfen lassen, die AfD zu verbieten. Die Partei habe das Ziel "unsere Demokratie zu beseitigen", warnte Thüringens Innenminister Georg Maier auf dem Parteitag.
Bedenken wegen der hohen juristischen Hürden, die in Deutschland für ein Parteiverbot gelten, konterte Maier. Er sei inzwischen der Meinung, "dass das Risiko, nichts zu tun, deutlich größer ist als das Risiko, vor Gericht eine Niederlage zu kassieren". Auch Parteichef Klingbeil argumentierte für ein entschlossenes Vorgehen: "Wenn der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextreme Partei einstuft, darf es kein Taktieren mehr geben."
Beim Thema Aufrüstung ist die SPD zerrissen
Bei anderen Fragen hat Klingbeil in der SPD jedoch für Streit gesorgt - wie etwa beim Thema Aufrüstung der Bundeswehr. Dafür soll es im Haushalt keine finanziellen Grenzen mehr geben. Der Finanzminister will schon 2029 das Fünf-Prozent-Ziel der NATO erreichen: 3,5 Prozent der Wirtschaftskraft sollen direkt in die Rüstung fließen, weitere 1,5 Prozent in verteidigungswichtige Infrastruktur wie Brücken, über die auch Panzer fahren können.
Viele in der SPD sind dagegen, vor allem die Friedenspolitiker. Auf dem Parteitag warnten Kritiker eindringlich vor einer weltweiten Aufrüstungsspirale. Hohe Rüstungsausgaben würden zwangsläufig zu Lasten von Sozialausgaben oder Klimaschutz gehen.
Schon vor dem Parteitag hatten prominente linke SPD-Politiker mit einem "Manifest" für Unruhe gesorgt. Darin fordern sie unter anderem mehr Diplomatie im Umgang mit Russland und sprechen abwertend von "Kräften" in der SPD, die den Diskurs auf eine militärische Lösung des Kriegs in der Ukraine verengt hätten. Der Text richtet sich offenkundig gegen die seit 2023 von Parteichef Klingbeil vorangetriebene Abkehr der SPD von Russland.
Vorerst keine Wehrpflicht
Klingbeil steht zu dieser Position: "Eine Friedenspartei im Jahr 2025 zu sein, bedeutet etwas anderes als in den 80er Jahren. Wladimir Putin ist nicht Michail Gorbatschow", sagte Klingbeil. Unterstützt wird er von SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius: Die Bedrohung sei da. "Russland hat auf Kriegswirtschaft umgestellt. Putin habe zudem ziemlich wörtlich gesagt, wir stehen vor einem ernsten, unversöhnlichen Kampf um eine neue Weltordnung und dabei sehe er Russland als Anführer des globalen Südens und weiten Teilen der Welt gegen den dekadenten Westen."
Pistorius hätte es gerne anders, aber die SPD verweigert sich vorerst der Wiedereinführung der Wehrpflicht. Dafür haben die Jusos, die Nachwuchsorganisation der SPD, gesorgt: "Wir wollen keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger, bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind", heißt es in einem Beschluss.
Tut sich ein neuer Riss in der SPD auf?
Überhaupt meldet sich der linke Flügel, um den es während der dreieinhalb Regierungsjahre von SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz still geworden war, wieder deutlicher zu Wort. Juso-Chef Philipp Türmer würde gerne die 1997 abgeschaffte Vermögenssteuer wieder einführen: "Während 900.000 Menschen in diesem Land als Privatiers ganz allein von ihrem Vermögen leben, können 20 Prozent der Familien nicht mal eine Woche Urlaub im Jahr machen?" Es brauche eine Sozialdemokratie, "die sich wieder traut, die Verteilungsfrage so laut zu stellen, dass sie von niemandem überhört werden kann." Doch sind mit CDU/CSU solche Vorhaben nicht zu umzusetzen.
Für die kommenden Monate und Jahre kündigt sich wachsender Druck der SPD-Basis an. Die Partei will sich ein neues Grundsatzprogramm geben. Generalsekretär Tim Klüssendorf, der zum linken Flügel gehört, hat versprochen, dass es dafür inhaltlichen Freiraum geben werde. Für die Parteiführung ist das schwierig, denn es zwingt sie in einen Spagat. Auf der einen Seite muss sie auch linke Debatten zulassen und moderieren, auf der anderen Seite steckt sie in der Koalitionsdisziplin mit ihrem konservativen Regierungspartner CDU/CSU.
Der Vertrauensverlust bei den Bürgern hänge auch damit zusammen, dass im Wahlkampf Dinge versprochen würden, die in einer Koalition nicht durchsetzbar seien. Regierungspolitiker würden sich "für kleine Kompromisse feiern, als ob sie die größte Errungenschaft aller Zeiten wären", kritisierte Türmer. Das sei unglaubwürdig. "Sozialdemokratie heißt mehr. Sozialdemokratie heißt, für grundsätzliche Veränderungen zu stehen."
SPD will wieder Partei der Arbeiter sein
Grundsätzliche Veränderungen? Dafür braucht es absolute Mehrheiten und davon ist die SPD weiter entfernt denn je. Doch wie kann die Partei Wähler - insbesondere von CDU/CSU und AfD - zurückgewinnen? Die alltäglichen Probleme der Bürger müssten angegangen werden, fordert Parteichef Klingbeil: Bezahlbare Wohnungen, die Möglichkeit, sich auch aus kleinen Verhältnissen nach oben zu arbeiten, die Aussicht auf ausreichende Renten, das sei für viele nicht mehr vorhanden.
Inhaltlich will die SPD wieder zur Partei der Arbeiter werden. In Deutschland haben mehr als 80 Prozent der Bevölkerung keinen akademischen Abschluss. Die Gesellschaft müsse nicht nur für Chefärztinnen und Unternehmer funktionieren, sondern auch für Fabrikarbeiter, Pflegekräfte und Rentner, bekräftigte Alt-Kanzler Scholz in seiner Abschiedsrede auf dem Parteitag. Die SPD habe eine Verantwortung, "dass man aus jeder Lebensperspektive vernünftig, anständig und anerkannt leben kann".