Deutschland hinkt bei Gleichstellung hinterher
6. März 2025
Anfang März hat Petra Scharner-Wolff den Vorstandsvorsitz des deutschen Mischkonzerns Otto Group übernommen. In Deutschland ist Otto ein Traditionsunternehmen, das vor allem für seine dicken Versand-Kataloge bekannt ist, die jahrzehntelang an viele deutsche Haushalte verschickt wurden. In seiner Blütezeit erschien der Otto-Katalog zweimal im Jahr, umfasste über 1000 Seiten und enthielt alles von Kleidung über Spielzeug bis hin zu kompletten Schlafzimmereinrichtungen.
Heute druckt Otto seinen Katalog nicht mehr, sondern hat sich zu einer der größten E-Commerce-Plattformen der Welt entwickelt. 2024 erwirtschaftete das Unternehmen in Privatbesitz mit rund 38.500 Mitarbeitern einen Umsatz von 15 Milliarden Euro. Auf der Online-Plattform von Otto werden 18 Millionen Artikel zum Verkauf angeboten.
Mit dem Wechsel in der Führungsetage wird die Familie Otto erstmals in der Geschichte des Unternehmens nicht mehr direkt das Sagen haben. Scharner-Wolffs Ernennung ist auch ein kleiner Sieg für die Gleichberechtigung in der von Männern dominierten Geschäftswelt des Landes.
Deutschland hinkt hinterher
Eine Möglichkeit, die Gleichstellung der Geschlechter zu messen, ist die Anzahl von Frauen in Führungspositionen in Unternehmen. Obwohl es eine eher unvollkommene Methode ist, weil nicht alle Frauen auf dem Arbeitsmarkt gezählt oder geschlechtsspezifische Lohnunterschiede berücksichtigt werden, hat sich die Idee durchgesetzt.
Laut einem Bericht der AllBright Foundation, einer schwedisch-deutschen gemeinnützigen Organisation, die sich für mehr Frauen und Vielfalt in der Wirtschaft einsetzt, waren im März 2025 in 160 großen börsennotierten Unternehmen in Deutschland 19,7 Prozent der Führungskräfte und 37,4 Prozent der Vorstandsmitglieder Frauen. Insgesamt waren 561 Männer und 138 Frauen in den Führungsteams vertreten.
Nur acht der 40 größten DAX-Unternehmen hatten drei oder mehr Frauen in ihrem Führungsteam. Die Porsche Holding ist das einzige Unternehmen, das gar keine Frau im Führungsteam hat.
Ein Teil des Problems liegt in der konservativen Unternehmenskultur des Landes, sagt Wiebke Ankersen, Co-Direktorin der AllBright Foundation. "Es ist den Unternehmen ja sehr lange sehr gut gegangen und der Veränderungsdruck erschien nicht hoch genug", so Ankersen gegenüber der DW.
Alles auf die Natur schieben?
Hinzu kommen weitere Probleme wie Steuervorschriften, die verheiratete Frauen von einer Erwerbstätigkeit abhalten. "Außerdem fehlen Zehntausende Kita-Plätze", so Ankersen. "So arbeiten Frauen in Deutschland besonders häufig nur wenige Wochenstunden oder unter ihrem Qualifikationsniveau und begeben sich gar nicht erst in eine Führungslaufbahn."
Für den geringen Anteil von Frauen in Führungspositionen in Deutschland gibt es noch weitere Gründe, sagt Katharina Wrohlich, Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin.
"Ein wesentlicher Faktor sind die vorherrschenden Geschlechternormen auf dem Arbeitsmarkt", sagt Wrohlich, die auch Professorin für öffentliche Finanzen, Gender und Familienökonomie an der Universität Potsdam ist. "Die gesellschaftliche Einstellung zur Vollzeitbeschäftigung von Müttern mit kleinen Kindern ist oft negativ, was sich negativ auf die Chancen von Frauen auf Führungspositionen auswirkt."
Diese tief verwurzelten Geschlechterstereotype in der Unternehmenskultur sind ein häufiges Hindernis. "Sowohl Väter als auch Mütter sollten aus familiären Gründen eine Auszeit nehmen dürfen und die Möglichkeit haben, in Teilzeit zu arbeiten", so Wrohlich zur DW. Danach sei es wichtig, dass die Unternehmen sie ermutigen, wieder in Vollzeit zu arbeiten.
Deutschland hat den Rechtsweg beschritten
In den letzten zwei Jahrzehnten hat Wrohlich einige Verbesserungen festgestellt, aber Deutschland ist immer noch weit davon entfernt, Geschlechterparitätzu erreichen. Es bleibe jedoch "ungewiss, ob wir auch in Zukunft positive Entwicklungen sehen werden", sagt sie.
"Wir haben in den letzten fünf Jahren eine positive Entwicklung gesehen, wenn auch auf niedrigem Niveau", stimmt Wiebke Ankersen zu. "Es ist schwierig geworden, einen Vorstand ohne eine einzige Frau zu präsentieren, da dies gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert wird. Das Bewusstsein für Chancengleichheit und Vielfalt ist gewachsen und die Erwartungen an die Unternehmen sind gestiegen."
Dennoch wird es bei dem derzeitigen Tempo noch 15 Jahre dauern, bis in deutschen Unternehmen ebenso viele Frauen wie Männer in Führungs- und Entscheidungspositionen vertreten sind. "So lange können wir einfach nicht warten", unterstreicht Ankersen.
Das Land hat zwei Gesetze, die Geschlechterquoten für die meisten börsennotierten Unternehmen vorschreiben. Das erste, 2015 in Kraft getretene Gesetz, schreibt vor, dass Aufsichtsräte zu mindestens 30 Prozent mit Frauen besetzt sein müssen.
Ein zweites Gesetz, das 2021 in Kraft getreten ist, schreibt vor, dass in Vorständen von börsennotierten Unternehmen mit mehr als drei Mitgliedern mindestens eine Frau vertreten sein muss. Diese Unternehmen müssen auch Ziele für die Erhöhung des Frauenanteils in anderen Führungsebenen festlegen.
Die EU ergreift Maßnahmen
Auf der Ebene der Europäischen Union gibt es ähnliche Vorschriften zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern in Führungspositionen, die im Juni 2026 in Kraft treten werden.
Seit 2010 hat sich die Vertretung von Frauen in Unternehmensvorständen in den meisten EU-Staaten verbessert, aber die Fortschritte sind von Land zu Land unterschiedlich.
"Im Jahr 2024 werden Frauen 39,6 Prozent der Vorstandsmitglieder der größten börsennotierten Unternehmen in Ländern mit verbindlichen Geschlechterquoten ausmachen, gegenüber 33,8 Prozent in Ländern mit weichen Maßnahmen und nur 17 Prozent in Ländern, die keinerlei Maßnahmen ergriffen haben", rechnet die EU-Kommission vor.
Otto ist in Deutschland ein bekannter Name
Da die meisten Gleichstellungsvorschriften für börsennotierte Unternehmen gelten, schneiden Familienunternehmen in Deutschland meist etwas schlechter ab beim Thema Frauen in Führungspositionen, so eine weitere Studie der AllBright-Stiftung, die im Mai 2024 veröffentlicht wurde.
Bei den 100 größten Familienunternehmen in Deutschland stellen Frauen nur 12,6 Prozent der Führungsteams. Mehr als die Hälfte der 100 größten Familienunternehmen (53%) hatten überhaupt keine Frauen in ihrer Führungsriege.
In dieser Hinsicht ist die Otto Group besser als der Durchschnitt. Die neue CEO Petra Scharner-Wolff ist bereits seit 2015 im Vorstand. Ihr bisheriger Posten als Finanzvorständin wurde mit einer weiteren Frau aus der Firma besetzt, Katy Roewer. Damit besteht der sechsköpfige Vorstand aus zwei Frauen und vier Männern.
Roewer hatte bereits eine Vier-Tage-Woche, um als vielbeschäftigte Mutter eine bessere Work-Life-Balance zu haben. In ihrer neuen Rolle will sie diesen Zeitplan beibehalten.
Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert