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AfD-Wahlerfolge: Deutschland beim Rechtsruck keine Ausnahme

3. September 2024

Die Landtagswahlen in Ostdeutschland passen ins europäische Bild. In vielen EU-Staaten sind Rechtsextreme wie die AfD längst an der Macht beteiligt. Sind Thüringen und Sachsen nur die Vorboten? Bernd Riegert aus Brüssel.

Deutschland | Landtagswahl in Thüringen 2024 | Höcke
Laut Gerichtsbeschluss darf man ihn Nazi nennen: AfD-Spitzenkandidat Höcke will in Thüringen regierenBild: Daniel Vogl/dpa/picture alliance

Nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen, bei der die rechtspopulistischen und in Teilen rechtsextremen Landesverbände der Alternative für Deutschland (AfD) als stärkste und zweitstärkste Kraft abgeschnitten haben, sieht die italienische Zeitung La Repubblica eine Neonazi-Welle über Deutschland rollen. Die französische Zeitung Le Monde nennt die Wahlergebnisse wegen der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands und seines heutigen Gewichts in Europa "beunruhigend". Die spanische Zeitung El Pais spricht von einem ernsten Alarm. Die Gefahr bestehe, dass sich Deutschland in den politisch kranken Mann Europas verwandele. Die Sorgen sind also groß, obwohl sich in den drei größeren EU-Staaten Italien, Frankreich und Spanien - und nicht nur dort - die rechtsextremen und populistischen Tendenzen schon längst etabliert haben.

Europa neu denken? AfD-Kundgebung im Landtagswahlkampf in Brandenburg: Dort kann die AfD am 22. September ebenfalls stärkste Kraft werdenBild: Daniel Lakomski/IMAGO

Von den Ländern in den Bund?

Der Aufstieg der AfD wird wohl nicht nur bei Landtagswahlen anhalten, auch im Bund könnte sie im kommenden Jahr triumphieren. Die aktuellen Umfragen sehen die AfD als zweitstärkste Kraft (16-19 Prozent) hinter der christdemokratischen Union. (31-34 Prozent). Für Nick Alipour von der Internet-Plattform "Euractiv" ist Deutschland in Europa keine Ausnahme, sondern folge dem europäischen Trend. "Deutschland ist nicht Vorreiter. Wir hatten das in den Niederlanden, in Italien, in Frankreich, in Schweden. Deutschland folgt dem Trend und ist nicht ausgenommen von der Entwicklung", so der Euractiv-Korrespondent in seinem jüngsten Podcast.

Italien wird rechtsextrem regiert

Gewisse Parallelen gibt es etwa zu Italien. Dort hat die einstige Regionalpartei Lega schon mehrfach auf zentralstaatlicher Ebene mitregiert. Gleichzeitig ist sie in den nördlichen italienischen Regionen stark und stellt in Venetien, Lombardei, Friaul und Umbrien den Präsidenten. Eine Brandmauer, also einen Ausschluss von Koalitionen mit den Christdemokraten, hat es dort nie gegeben.

Italiens Meloni (re.) und Ungarns Orban haben gut lachen: Ihre rechten Regierungen sitzen fest im SattelBild: Geert Vanden Wijngaert/AP/picture alliance

Die Lega regierte mit dem Christdemokraten Silvio Berlusconi zusammen. Die Lega hat sogar zusammen mit den eher linken Populisten der Fünf-Sterne-Bewegung als Juniorpartner regiert. Das wäre in etwa so, als würden AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) miteinander koalieren. Seit 2022 haben die rechtsextremen Brüder Italiens (Fratelli d'Italia) die Lega überflügelt. Sie wurden bei nationalen Wahlen stärkste Kraft noch vor der Lega. Seither führt Ministerpräsidentin Giorgia Meloni eine rechte Koalition aus Fratelli, Lega und Christdemokraten an.

In Österreich könnte ein FPÖ-Kanzler kommen

Eine Brandmauer gibt es auch in Österreich nicht. Im Gegenteil: Die rechtsextreme Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) war schon in den 1980er Jahren in einer Koalition mit den Sozialdemokraten an der Regierung beteiligt. Ab 2000 dann gab es vier Koalitionsregierungen mit den Christdemokraten. Die FPÖ ist als Regionalpartei im Bundesland Kärnten gestartet. Nach mehrfachen Spaltungen und programmatischen Neuausrichtungen - ähnlich wie bei der deutschen AfD - ist die FPÖ inzwischen in neun Länderparlamenten etabliert und an drei Regierungen in Bundesländern beteiligt.

Herbert Kickl, Parteichef der FPÖ, will Kanzler werden. Er hat Chancen bei der Wahl am 29. September.Bild: Hans Punz/APA/picturedesk.com/picture alliance

Trotz vieler Skandale liegt die FPÖ bei Umfragen für die Wahl des nationalen Parlaments Ende September mit 27-31 Prozent an erster Stelle. Zweitplatzierte sind die Christdemokraten. FPÖ-Chef Herbert Kickl rechnet sich gute Chancen aus der - wie er es nennt - "Volkskanzler" Österreichs zu werden. Die AfD und die FPÖ pflegen einen engen Austausch. Kickl könnte ein Vorbild für den thüringischen AfD-Chef Björn Höcke sein.

Frankreich zwischen extremen Polen

In Frankreich hält die Brandmauer noch. Der französische Präsident Emmanuel Macron will weder mit dem rechtsextremem Rassemblement National noch mit den linksextremen Unbeugsamen Franzosen zusammenarbeiten. Deshalb kommt im Parlament nach den vorgezogenen Wahlen vom Juli keine Mehrheit zustande, weil Macron keinen Koalitionspartner findet. Das erinnert ein wenig an die Lage in den Landtagen in Erfurt und Dresden. Der Rassemblement National hatte überraschend schwächer abgeschnitten als erwartet und wurde nur drittstärkste Kraft.

Marine le Pen gibt sich bürgerlich, will keinen Kontakt zur deutschen AfD. Ihr Ziel: Präsidentin im Elysée 2027.Bild: Thibault Camus/AP Photo/picture alliance

Allerdings ist die Partei, die aus dem Front National hervorging, in den letzten Jahren immer stärker geworden. Sie ist in zahlreichen kommunalen und regionalen Körperschaften vertreten, kann aber nirgends alleine regieren. Marine Le Pen, ehemalige Parteichefin, hat bei den Präsidentschaftswahlen jedes Mal zugelegt. 2027 will sie erneut antreten und hat gute Chancen in ihrem dritten Anlauf nach 2022 und 2017 tatsächlich zu gewinnen.

In Spanien Rechtsextreme in den Regionalregierungen

In Spanien halten sich die Sozialdemokraten an der Macht, in einer Minderheitsregierung, die von linken Separatistenparteien toleriert wird. Die rechtsextreme Partei Vox wächst seit Jahren stetig an und liegt landesweit auf Platz drei. Im Juli kam es aber zum Zerwürfnis mit den Christdemokraten, mit denen sie in über 100 Kommunen und in fünf Regionen regierte. Von einer Brandmauer war nie die Rede.

Vox lädt zum rechten Stelldichein nach Madrid - und fast alle kommen: Le Pen, Orban, und Argentiniens nationalistischer Präsident Milei. Die AfD ist nicht dabei, zu radikal. (Mai 2024)Bild: Carlos Lujan/IMAGO

Im Juli erklärte Parteichef Santiago Abascal den Bruch mit den Christdemokraten, weil diese der Aufnahme von Migranten von den Kanarischen Inseln auf dem spanischen Festland zugestimmt hatten. Ob dieser Bruch Theaterdonner war oder ernst gemeint, wird sich zeigen. Denn eigentlich wollen Vox und Christdemokraten die Sozialisten in der nationalen Regierung ablösen.

Ungarns Umbau

In den Niederlanden, Schweden, Finnland und anderen EU-Staaten sind Rechtsextreme ebenfalls in Regierungen vertreten. In Ungarn stellt die rechtsnationale bis rechtsextreme Fidesz-Partei seit 14 Jahren ununterbrochen den Ministerpräsidenten. Viktor Orban hat die Partei und Ungarn während seiner langen Amtszeit radikalisiert, in eine Konfrontation mit der Europäischen Union (EU) gesteuert. Ungarn ist heute der europäische Staat mit der stabilsten rechtspopulistischen Regierung. In Polen ist diese Phase vorbei. Dort haben die Christdemokraten die rechtsextreme PiS-Partei nach Wahlen im vergangenen Jahr abgelöst.

Populismus, allerdings von links, hat auch Griechenland überwunden. Die linksextreme Syriza-Regierung, die mit der rechtsextremen Anel-Partei koalierte, wurde 2019 von Christdemokraten abgelöst.

Zwei Drittel haben Höcke in Thüringen nicht gewählt, einige protestieren in Sachsen-Anhalt bei einem Prozeß gegen den AfD-Politiker (April 2024)Bild: dpa

"Kein ostdeutscher Sonderfall"

Insgesamt ist in vielen europäischen Staaten ein Trend zu rechtsextremen Parteien zu beobachten, hauptsächlich ausgelöst durch Migrationspolitik, wirtschaftlichen Verwerfungen und ein allgemeines Gefühl des Abgekoppeltseins bei vielen Wählerinnen und Wählern.

Der ehemalige sozialdemokratische Bundestagspräsident Wolfgang Thierse sieht den Hang zu Extremen nicht nur in Thüringen oder Sachsen. Auch in Bayern oder in Hessen, also außerhalb Ostdeutschlands, ist die AfD stark. Und für Europa gelte das auch, so Wolfgang Thierse im Deutschlandfunk: "Das gilt ja nicht nur für Ostdeutschland, sondern wenn Sie sich umschauen nach Holland, nach Frankreich, nach Italien, in den skandinavischen Ländern. Überall erleben wir das Vordringen extremer Parteien, populistischer Parteien. Wenn es nur ein ostdeutscher Sonderfall wäre, dann könnte man sich beruhigen und sagen, das ist zu überstehen. Nein, das ist eine tektonische Verschiebung."

Die AfD hat gewonnen - Was nun?

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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