Deutschland: Jeder vierte Einwanderer will wieder gehen
17. Juni 2025
Die deutsche Wirtschaft schwächelt - und trotzdem werden Fachkräfte in vielen Branchen händeringend gesucht: In medizinischen Berufen, insbesondere im Bereich der Pflege, im IT-Bereich, am Bau und im Handwerk. Mangel gibt es unter anderem aber auch an Erzieherinnen und Erziehern, Köchinnen und Köchen und an Menschen, die Lastwagen und Busse fahren können, also Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrer. Bundesweit gab es in deutschen Unternehmen Ende 2024 rund 1,4 Millionen unbesetzte Stellen.
Gleichzeitig arbeiten in Deutschland immer mehr Migranten. 2024 lag der Anteil ausländischer Beschäftigter bei gut 16 Prozent. Seit 2010 hat er sich mehr als verdoppelt. Überproportional ist die Beschäftigung in medizinischen Berufen. Mehr als jede sechste Ärztin oder jeder Arzt haben eine ausländische Staatsbürgerschaft. In der Pflege geht das Beschäftigungs-Wachstum seit 2022 ausschließlich auf ausländisches Personal zurück. Dort ist aktuell jede fünfte Arbeitskraft eingewandert.
Über eine Ausreise nachdenken
Aber wollen diese Menschen tatsächlich auch langfristig in Deutschland bleiben? Dazu hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bei der Bundesagentur für Arbeit jetzt eine Studie vorgelegt. Sie beruht auf einer repräsentativen Online-Befragung unter 50.000 im Ausland geborenen und nach Deutschland eingewanderten Menschen im Alter zwischen 18 und 65 Jahren. Ausgeklammert sind dabei die meisten Asylsuchenden, die noch keinen anerkannten Aufenthaltsstatus in Deutschland haben. Der Befragungszeitraum ging von Dezember 2024 bis April 2025.
"26 Prozent, das sind rund 2,6 Millionen Personen, sagen, dass sie tatsächlich im vergangenen Jahr überlegt haben, Deutschland zu verlassen, also über eine Ausreise nachgedacht haben", fasst Yuliya Kosyakova, Leiterin des Forschungsbereichs Migration, Integration und Internationale Arbeitsmarktforschung am IAB, die Zahlen bei der Vorstellung der Studie in Berlin zusammen. "Rund drei Prozent, also dreihunderttausend Menschen, hegen bereits konkrete Abwanderungspläne."
Deutschland nur Zwischenstation
Etwa die Hälfte derjenigen, die nicht bleiben wollen, möchten in ihr jeweiliges Herkunftsland zurückgehen, die andere Hälfte will in ein anderes Land weiterziehen.
Von den Rückkehrwilligen werden Polen oder Rumänien am häufigsten genannt. Migranten, die von Deutschland aus weiterwandern möchten, bevorzugen die Schweiz, die USA oder Spanien. Geflüchtete und Personen, die im Rahmen des Familiennachzugs kamen, zeigen deutlich geringere Abwanderungstendenzen als gut gebildete und ökonomisch Erfolgreiche.
"Ein zentrales Ergebnis unserer Befragung ist, dass gerade diejenigen, die zum Arbeiten oder zum Studieren nach Deutschland gezogen sind, die besser gebildet, beziehungsweise wirtschaftlich erfolgreicher sind und die deutsche Sprache besser beherrschen, überdurchschnittlich häufig über eine Ausreise nachdenken oder konkrete Auswanderungspläne äußern", sagt IAB-Forscherin Katia Gallegos Torres.
Abwanderung ist ein Risiko für Deutschland
Vor allem Eingewanderte mit einem Master- oder Promotionsabschluss und Besserverdienende hätten in den letzten zwölf Monaten darüber nachgedacht, Deutschland zu verlassen. "In wissensintensiven Dienstleistungsbranchen wie IT, Finanzen und unternehmensnahen Dienstleistungen äußern zwischen 30 und 39 Prozent der Befragten Auswanderungsüberlegungen", so Gallegos Torres.
Auch im Gesundheitswesen, im verarbeitenden Gewerbe und in der Logistik gebe es "relevante" Abwanderungstendenzen. "Zusammengefasst also genau diejenigen, die Deutschland dringend für die Fachkräftesicherung benötigt. Diese selektive Abwanderung birgt erhebliche Risiken für die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit Deutschlands."
Hohe Steuern und zunehmende Diskriminierung
Doch wo liegen die Gründe? Bei Heimkehrern spielen vor allem familiäre Gründe eine Rolle, während Migranten, die in ein anderes Land gehen wollen, sich vor allem bessere Chancen im Beruf und einen besseren Verdienst versprechen.
Eine zu hohe Steuer- und Abgabenlast und zu viel Bürokratie in Deutschland sind häufig genannte Gründe für einen Wegzug. Dazu kommen Erfahrungen mit Diskriminierung. "Knapp zwei Drittel der Migranten und Migrantinnen berichten über wahrgenommene Diskriminierung, zum Beispiel am Arbeitsplatz, auf dem Wohnungsmarkt, im öffentlichen Raum oder im Kontakt mit der Polizei", so Gallegos Torres. "Ein Drittel der Migrantinnen und Migranten fühlt sich zudem entweder gar nicht oder nur etwas willkommen. Faktoren, die die Abwanderungsneigung deutlich erhöhen."
Politische Stimmung wirkt abschreckend
Die Willkommenskultur hat weiter abgenommen. "2024 war die Debatte sehr stark geprägt durch das Thema Migration und die gesellschaftliche Akzeptanz war auch nicht besonders hoch", stellt Forscherin Yuliya Kosyakova fest. Etwas mehr als ein Viertel der Menschen in Deutschland hat eine Einwanderungsgeschichte. Gut 21 Millionen Menschen sind seit 1950 entweder selbst nach Deutschland gekommen oder es waren beide Elternteile. Allein seit 2015 sind 6,5 Millionen Menschen nach Deutschland gekommen. Die größten Gruppen darunter sind Syrer und Ukrainer.
Bei der Bundestagswahl im Februar 2025 ist die in Teilen rechtsextreme Partei Alternative für Deutschland (AfD), die vehement für "Remigration" eintritt, zweitstärkste Kraft geworden. Gewonnen hat die Union aus CDU/CSU, die im Wahlkampf eine verschärfte Migrationspolitik versprach. In der Regierung mit den Sozialdemokraten (SPD) wurden als erste migrationspolitische Maßnahme die Grenzkontrollen ausgeweitet. Die Möglichkeit für gut integrierte Zuwanderer, sich schneller einbürgern zu lassen, wurde umgehend abgeschafft. "Diese großen Debatten über die Migration und Migrationspolitik haben negative Auswirkungen auf die Menschen, auf das Willkommensgefühl, die Diskriminierungserfahrungen", so Kosyakova. "Das sind Gründe, warum Menschen berichten, über Auswanderung häufiger nachzudenken oder wirklich planen, Deutschland zu verlassen."
Deutschland kann sich Abwanderung nicht leisten
Experten rechnen regelmäßig vor, dass Deutschland jährlich rund 400.000 Zuwanderer zusätzlich braucht, die dauerhaft bleiben, um das Arbeitskräftepotenzial konstant zu halten. Nur so kann die demografische Entwicklung ausgeglichen werden. Deutschland ist ein alterndes Land. Immer mehr Rentner stehen immer weniger Erwerbstätigen gegenüber. Das führt nicht nur zu einem Arbeitskräftemangel, sondern es fehlen auch die staatlichen Einnahmen, um die Renten zu finanzieren.
Die Studie des IAB zeige, dass vor diesem Hintergrund "nicht nur der Zuzug, sondern auch die dauerhafte Bindung Zugewanderter eine zentrale Herausforderung" sei, so Yuliya Kosyakova.
Zum Bleiben motivieren
Insgesamt deute vieles darauf hin, dass staatliche Maßnahmen wie Bürokratieabbau, eine Vereinfachung bei der Anerkennung von Qualifikationen, mehr Digitalisierung und Steuererleichterungen die Abwanderungsneigung vor allem von beruflich erfolgreichen Migranten mindern könnten, sagen die Forscherinnen und Forscher des IAB. Doch es brauche eben auch eine "breite und ehrliche" gesellschaftliche Akzeptanz.
Aus der CDU kommt derweil die Forderung, ausländische Medizin-Studenten nach ihrem Abschluss nicht so einfach wieder ziehen zu lassen. Wer in Deutschland studiere, soll anschließend mindestens fünf Jahre als Arzt arbeiten - und zwar in ländlichen Gebieten in Deutschland, wo der Mangel an Medizinern immer größer wird. "Wer das nicht will, muss die Kosten dieser erstklassigen Ausbildung zurückzahlen", sagt der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Sepp Müller (CDU). Zuspruch kommt aus dem Gesundheitsministerium. "Wir müssen junge Ärzte für eine Tätigkeit in Deutschland gewinnen, statt der Abwanderung zuzuschauen", erklärt der Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Tino Sorge (CDU).