Deutschland kürzt Entwicklungshilfe drastisch
18. September 2025
Der Bundestag hat mit den Stimmen der Regierungskoalition aus Unionsparteien (CDU/CSU) und Sozialdemokraten (SPD) den Etat des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gekürzt: 10,31 Milliarden Euro bedeuten ein Minus von mehr als acht Prozent.
"Mein Etat sinkt um 910 Millionen Euro"
Die Zahlen sind eindeutig, es gibt nichts schönzureden. Das weiß auch Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan (SPD), als im Plenarsaal des Parlaments der Bundeshaushalt beschlossen wird: "Mein Etat sinkt um rund 910 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr. Angesichts zunehmender Krisen investiert Deutschland damit in der internationalen Zusammenarbeit weit weniger als eigentlich dringend gebraucht wird."
Klar sei aber auch, dass die deutsche Entwicklungspolitik handlungsfähig bleibe: "Wir sind weit von amerikanischen Verhältnissen entfernt - und das ist auch gut und richtig so", betont die seit Mai 2025 amtierende Ministerin. Damit spielt sie auf die noch viel massiveren Kürzungen der Entwicklungshilfe unter US-Präsident Donald Trump an.
"Die Spannungen wachsen, viele Menschen müssen fliehen"
Alabali Radovan nennt ein Beispiel: "In Kenia sind über 700.000 Geflüchtete, viele aus Somalia, direkt von den US-Kürzungen beim Welternährungsprogramm betroffen." Sie erhielten nur noch ein Drittel der erforderlichen Lebensmittelrationen. Hunger und Mangelernährung stiegen drastisch.
"Die Spannungen wachsen, viele Menschen müssen weiterfliehen, die Region wird zunehmend destabilisiert", warnt die 35-Jährige. "Das ist menschlich nicht hinnehmbar und entspricht auch nicht dem deutschen Sicherheitsinteresse."
Aber auch die Kürzungen Deutschlands haben nach Darstellung von Hilfsorganisationen drastische Folgen. Der akuten Nothilfe, für die das Auswärtige Amt (AA) zuständig ist, steht im Vergleich zu 2024 weniger als die Hälfte zur Verfügung: 1,05 statt 2,23 Milliarden Euro.
Hilfsgelder reichen schon seit Jahren nicht für alle
Thorsten Klose-Zuber, Generalsekretär der Organisation "Help - Hilfe zur Selbsthilfe" schlägt Alarm: "Mit dem Wegfall der humanitären Hilfe der Vereinigten Staaten, aber auch der Halbierung des deutschen Budgets haben wir nicht erst jetzt ein finanzielles Problem. Schon seit vielen Jahren ist es kaum gelungen, die Hälfte der betroffenen Menschen zu erreichen."
Wie schnell und dramatisch sich die Abwärtsspirale dreht, zeigt ein Blick zurück ins Jahr 2022: Seitdem ist der deutsche Nothilfe-Etat auf ein Drittel zusammengestrichen worden. "Allein die deutsche Kürzung von zwei Milliarden Euro auf eine Milliarde wird dazu führen, dass über vier Millionen Menschen weltweit keine Ernährungshilfe mehr bekommen", beklagt Klose-Zuber. Die Gesamtzahl der Bedürftigen beziffert er auf mehr als 320 Millionen.
Dramatische Folgen für Gesundheitsversorgung und Trinkwasser
Auch in anderen Bereichen haben die drastisch reduzierten Hilfsgelder konkrete Auswirkungen: "Über eineinhalb Millionen Menschen werden ihre Basis-Gesundheitsversorgung verlieren aufgrund der deutschen Kürzungen", sagt der "Help"-Experte. Ähnlich sieht es seinen Angaben zufolge beim Zugang zu sauberem Trinkwasser aus.
In den großen Krisenregionen fehlt es nach Klose-Zubers Einschätzung an fast allem. Dabei denkt er nicht nur an Länder, in denen Krieg herrscht, sondern auch an Naturkatastrophen wie Erdbeben: "Wie wir sie in Myanmar haben sehen können oder in Afghanistan." In beiden Ländern gab es tausende Tote und massive Zerstörungen.
"Ich fühle mich zunehmend erinnert an einen Notarzt"
Sein Fazit hört sich fast schon verzweifelt an: "Ich fühle mich zunehmend erinnert an einen Notarzt, der zu einem Verkehrsunfall mit fünf Schwerverletzten kommt, und der Notarzt muss jetzt priorisieren, wer stirbt und um wen er sich noch kümmert." So ergehe es jetzt seiner Hilfsorganisation, sagt Klose-Zuber. Man könne sich nur noch auf die Länder konzentrieren, wo die Not mit Abstand am größten sei.
Dass andere Länder die entstandenen Lücken füllen, hält er für ausgeschlossen: "Wir befinden uns weltweit in einer grundsätzlichen Bewegung, insbesondere von den traditionellen westlichen Geberländern, sich aus dem vereinbarten multilateralen System finanziell herauszuziehen", kritisiert der "Help"-Generalsekretär den globalen Trend.
Grüne halten Kürzungen für verantwortungslos
Aus Sicht der oppositionellen Grünen sind die massiven Kürzungen bei der Entwicklungs- und Nothilfe verantwortungslos. "Niemand hat behauptet, dass wir allein die Lücke füllen können, die die USA hinterlassen mit ihrem Rückzug", sagt die Abgeordnete Jamila Schäfer. "Aber dass wir nicht mal den Versuch unternehmen, irgendwie gegen diese Lücke anzuarbeiten, das schmerzt. Und zwar vor allem die Leute, die betroffen sind."
Einen völlig anderen Blick auf die Wirksamkeit der deutschen und internationalen Entwicklungshilfe haben die regierenden Unionsparteien: "Globale Panikmache halte ich für falsch", sagt die CDU-Parlamentarierin Inge Gräßle in der Bundestagsdebatte. Man wolle zeigen, dass man auch mit zehn Milliarden Euro gute Ergebnisse in der Entwicklungszusammenarbeit erzielen könne.
Die AfD wollte Entwicklungshilfe noch viel stärker beschneiden
Wäre es nach der Alternative für Deutschland (AfD) gegangen, hätte der Etat des Entwicklungsministeriums radikal auf 2,5 Milliarden Euro gestutzt werden sollen. Trotz der Kürzungen ist er rund viermal so hoch. Mirco Hanker hält das für "Verschwendung von Steuergeld".
Als Beispiel nennt er ein von Deutschland unterstütztes Konzept für Elektromobilität in Indien. "Man kann zumindest mal die Frage stellen, ob Indien als große Nation und aufstrebende Macht, die erfolgreich mit Sonden auf dem Mond gelandet ist, seine Konzepte und Infrastruktur nicht selbst finanzieren kann?" Kritik an einzelnen Projekten ist so alt wie die Entwicklungshilfe selbst. Gleichzeitig profitiert aber oft auch die deutsche Wirtschaft davon.
Das konnte unter anderem ein Team der Universität Göttingen in einer 2024 vorgelegten Studie im Auftrag der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) nachweisen: "Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit bekämpft globale Krisen und verbessert die Lebensbedingungen in den Partnerländern - und sie hat belegbare positive Effekte für die deutsche Exportwirtschaft", schlussfolgerte die KfW-Vorständin Christiane Laibach.
Wie die deutsche Wirtschaft von Entwicklungshilfe profitiert
Demnach fließt von jedem Euro, der in Entwicklungszusammenarbeit investiert wird, mehr als Drittel wieder in die deutsche Wirtschaft zurück. Auch solche Effekte sind der deutschen Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan bekannt. "Jeder Euro, der weltweit klug investiert wird, fördert Sicherheit und Frieden, auch für uns in Europa und in Deutschland", sagt die Sozialdemokratin.