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Deutschland: Kaum Sparpotenzial beim Bürgergeld

27. Oktober 2025

CDU-Kanzler Friedrich Merz meinte, beim Bürgergeld ließen sich fünf Milliarden Euro einsparen. Davon ist jetzt keine Rede mehr. Stattdessen sollen es noch zweistellige Millionenbeträge jährlich sein.

Deutschland Berlin | Eine blonde Frau in einem grünen Mantel steht vor einem großen Schild, auf dem das Jobcenter Berlin-Tempelhof anzeigt, in welchem Stockwerk welche Abteilung zu finden ist. Die Frau ist von hinten zu sehen.
In Deutschland sind mehr als 400 Jobcenter mit der Betreuung der Bürgergeld-Empfängerinnen und -Empfänger beschäftigtBild: Jens Kalaene/dpa/picture alliance

Für Arbeitslose gibt es in Deutschland zwei soziale Sicherungssysteme: Das Arbeitslosengeld und das sogenannte Bürgergeld. Arbeitslosengeld bekommen angestellte Menschen, wenn sie ihren Job verlieren. Es wird von einer Versicherung abgedeckt, in die Arbeitnehmer monatlich einen bestimmten prozentualen Anteil ihres Gehalts einzahlen müssen. Noch einmal so viel zahlen die Arbeitgeber. Selbstständige können sich freiwillig versichern. Etwa zwei Drittel des letzten Gehalts werden an Arbeitslosengeld gezahlt, bis man einen neuen Job gefunden hat - aber maximal für zwei Jahre. 

Wer länger arbeitslos ist, rutscht ins Bürgergeld, das vor 2023 Arbeitslosengeld II oder umgangssprachlich auch Hartz IV hieß. Es ist eine staatliche Leistung, die aus Steuergeldern finanziert wird. Sie steht in Deutschland den Menschen zu, die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft erwirtschaften können. Laut dem Statistischen Bundesamt beziehen, Stand Juni 2025, knapp 5,5 Millionen Menschen Bürgergeld. Darunter sind etwa 3,95 Millionen erwerbsfähige Erwachsene und knapp 1,5 Millionen Kinder

Bürgergeld kostet 51 Milliarden Euro pro Jahr

Im Gegensatz zum Arbeitslosengeld ist die Höhe des Bürgergelds einheitlich geregelt und orientiert sich am sogenannten Existenzminimum. Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, Bedürftigen ein menschenwürdiges Leben und ein Mindestmaß an Teilhabe zu ermöglichen.

Alleinstehende bekommen aktuell 563 Euro Bürgergeld pro Monat. Bei Paaren sind es 506 Euro pro Person. In diesem Fall spricht man von einer "Bedarfsgemeinschaft". Gezahlt wird auch für Kinder, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Sie bekommen je nach Alter zwischen 357 und 471 Euro pro Monat. Alleinerziehende und Schwangere bekommen etwas mehr Geld. 

Die Wohnkosten für eine Wohnung in angemessener Größe werden ebenfalls übernommen und die Kosten für Heizung, Wasser und andere Miet-Nebenkosten. Ein Paar mit zwei Kindern und einer angenommenen Miete von 850 Euro kommt auf monatlich rund 2700 Euro. Die Regierung, gibt jährlich rund 51 Milliarden Euro für das Bürgergeld aus: Steuergelder aus dem Bundeshalt.

Mehr Menschen in Arbeit bringen

Als erwerbsfähig gelten Bürgergeldempfänger, wenn sie physisch in der Lage sind, mindestens drei Stunden am Tag zu arbeiten. Bei ihnen will die Reform ansetzen, auf die sich die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD geeinigt haben.

Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) hat einen Gesetzentwurf erarbeitet, der voraussichtlich zum 1. Juli 2026 in Kraft treten soll. Das Bürgergeld soll erneut umbenannt werden - in "neue Grundsicherung für Arbeitssuchende". Ziel sei es, das Gleichgewicht zwischen Solidarität und Eigenverantwortung neu zu justieren und mehr Menschen dauerhaft in Arbeit zu bringen. 

Die Reform sieht verschärfte Regeln vor. Verstößt ein Leistungsberechtigter gegen seine Pflichten - etwa durch die Ablehnung einer zumutbaren Arbeit, den Abbruch einer Fördermaßnahme oder nachweislich ausbleibende Bewerbungen - gibt es für drei Monate 30 Prozent weniger Geld. In Extremfällen soll es auch möglich sein, die Zahlungen vorübergehend ganz einzustellen

Wie hoch ist das Einsparpotenzial?

Im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2025 sprach der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, der inzwischen Bundeskanzler ist, von fünf Milliarden Euro, die sich durch eine Reform des Bürgergelds einsparen ließen. Aus dem CDU-Wirtschaftsrat, einem Verband, der Unternehmen und Politik vernetzt, heißt es unverdrossen, man könne 30 Milliarden Euro einsparen, wenn ein Viertel der 3,9 Millionen erwerbsfähigen Bürgergeldbezieher in Arbeit käme.

Die Bürgergeld-Reform wurde von den Koalitionsspitzen beschlossen: CSU-Chef Markus Söder, CDU-Chef und Kanzler Friedrich Merz, die SPD-Vorsitzenden Bärbel Bas (Arbeitsministerin) und Lars Klingbeil (Finanzminister)Bild: Sean Gallup/Getty Images

CDU/CSU haben hohe Erwartungen an eine Reform, doch die SPD hat von Anfang an gebremst. Das sozialdemokratisch geführte Bundesarbeitsministerium kalkuliert, dass 100.000 Bürgergeld-Bezieher weniger rund 850 Millionen Euro pro Jahr einsparen würden. Könnten 100.000 sogenannte Bedarfsgemeinschaften, also Paare mit oder ohne Kinder, ihren Unterhalt selbst sichern, entspräche dies einer Einsparung von rund 1,6 Milliarden Euro jährlich.

Wunsch und Wirklichkeit beim Bürgergeld

In ihrem Gesetzentwurf geht Ministerin Bärbel Bas für 2026 allerdings von lediglich rund 86 Millionen Euro Einsparpotenzial aus. 2027 könnten es weitere 69 Millionen Euro sein. Ein erheblicher Unterschied zu den CDU-Prognosen. 

Grund dafür ist einerseits die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Die deutsche Wirtschaft ist in einer schlechten Verfassung. Derzeit sind die Chancen, dass Arbeitslose einen neuen Job finden, laut der Bundesagentur für Arbeit so schlecht wie selbst während der Corona-Pandemie nicht. 

Die deutsche Automobilindustrie hat enorme wirtschaftliche ProblemeBild: Matthias Schrader/AP Photo/picture alliance

Dazu kommt, dass die meisten Menschen, die von Bürgergeld leben, grundsätzlich schwer in den regulären Arbeitsmarkt zu vermitteln sind. Die Bundesagentur für Arbeit zählte im Dezember 2024 mehr als zwei Millionen Menschen, die schon vier Jahre und länger Bürgergeld bezogen, weil sie keinen Job finden. 

Krank, ohne Ausbildung, geringfügig beschäftigt

Rund 80 Prozent der Langzeitarbeitslosen haben keine abgeschlossene Ausbildung oder nicht einmal einen Schulabschluss. Gesucht werden auf dem Arbeitsmarkt aber vor allem Fachkräfte. Rund 800.000 erwerbsfähige Bürgergeldbezieher arbeiten bereits, verdienen aber so wenig, dass sie sogenannte Aufstocker sind. Sie haben Anspruch auf Bürgergeld, weil ihr Einkommen das Existenzminimum nicht abdeckt. 

Kaum in den Arbeitsmarkt zu vermitteln sind Menschen mit gesundheitlichen Problemen, vor allem wenn sie psychischer Natur sind. Viele Bürgergeldempfänger sind alleinerziehend und finden keine Kinderbetreuung. Oder sie betreuen pflegebedürftige Angehörige, was eine Vollzeitbeschäftigung unmöglich macht. 

Mehr Ausländer beziehen Bürgergeld

Auch Sprachbarrieren sind oft ein Hindernis für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt. Bis 2015 waren drei Viertel der Leistungsbezieher Deutsche. 2025 sind es nur noch 52 Prozent. Der Anteil der Bedürftigen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit hat sich in den letzten zehn Jahren kontinuierlich erhöht. Deutlich vor allem seit 2022, als Russland die Ukraine überfiel. 

Im Oktober 2025 lebten 1,26 Millionen Ukrainer in Deutschland. Laut der Arbeitsagentur arbeiten knapp 300.000 von ihnen. Die Ukrainer sind mit einem Anteil von 13 Prozent die größte Gruppe unter den Beziehern von Bürgergeld. Syrer machen neun Prozent aus, Afghanen und Türken jeweils rund dreieinhalb Prozent. 

Weniger Hilfe für Ukrainer

In der Politik wird schon länger darüber diskutiert, ob der Bezug von Bürgergeld es für Ukrainer unattraktiv macht, sich schnell einen Arbeitsplatz zu suchen. Die nun anstehende Reform sieht vor, dass ukrainische Geflüchtete, die nach dem 1. April 2025 nach Deutschland gekommen sind, zukünftig kein Bürgergeld mehr bekommen sollen, sondern nur noch Unterhalt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Der monatliche Satz fällt mit 410 Euro deutlich geringer aus als das Bürgergeld. 

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