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Klassik im Jahr 2014

Rick Fulker26. Dezember 2014

Jubiläen, Festivals, Stars, Kontroversen und Trends: Es war ein Jahr des Wandels in der Klassikszene.

Klassik Kammerochester Daniel Harding Kolja Blache
Bild: picture-alliance/dpa

2014 war das Jahr der Jubiläen: der 300. Geburtstag von Christoph Willibald Gluck und Carl Philipp Emanuel Bach sowie 150 Jahre Richard Strauss. Vor allem Letzterer wurde über das ganze Jahr landauf und landab gespielt. Höhepunkte der Festivitäten waren im November die "Richard-Strauss-Tage" in Dresden und etliche Neuproduktionen seiner Opern an großen und kleinen Bühnen.

2014 mussten sich Klassikliebhaber von einigen bekannten Namen verabschieden: Die Dirigenten Claudio Abbado (20.1.), Gerd Albrecht (2.2.) und Lorin Maazel (13.7.) segneten das Zeitliche, ebenso wie der Regisseur und Theaterintendanten Gerard Mortier (9.3.), der maßgeblich an den Salzburger Festspielen und der Ruhrtriennale gewirkt hatte.

Kathedralen der Klassik: Bayreuth und Salzburg

Auf dem Grünen Hügel in Bayreuth kam es zu einer wahrhaft historischen Panne: Zum ersten Mal in der 138-jährigen Geschichte der Festspiele musste eine Aufführung abgebrochen werden, weil bei der Eröffnungsoper "Tannhäuser" die Technik zur Unterbühne streikte.

Gar nicht überraschend hingegen ein alljährlicher öffentlicher Streit: "Ring"-Regisseur Frank Castorf beklagte sich über die angebliche Einschränkung seiner künstlerischen Freiheit und drohte mit Gerichtsklage. Und im November meldete sich dann Skandalregisseur Jonathan Meese zu Wort. Er sollte 2016 "Parsifal" inszenieren, sein Vertrag wurde jedoch "aus Kostengründen" gekündigt. Das stimme so nicht, schoss Meese zurück, die Gründe seien "politisch-ideologischer Natur". Die Reaktionen darauf reichten bei Fans und Presse von Empörung bis Erleichterung - ebenso auf die Nachricht, dass die 36-jährige Wagner-Urenkelin Katharina Wagner für weitere fünf Jahre als Festspielleiterin bestätigt wurde. Die andere Hälfte des Führungstandems, ihre Halbschwester Eva Wagner-Pasquier (69), gab im Frühjahr ihren Rücktritt bekannt.

Das Publikum strömt nach der Unterbrechung wieder ins Bayreuther FestspielhausBild: DW/R.Fulker

Obwohl Deutschland als Klassik-Nation Nummer Eins gilt, liegt das Zentrum der Klassikwelt in Österreich, genauer gesagt: in Salzburg. Bei insgesamt 270 Veranstaltungen wurde 2014 auch dort viel Richard Strauss gespielt (er war 1920 Mitbegründer der Festspiele), außerdem wurden fünf neue Opernproduktionen aufgeführt. Es war das letzte Jahr des ehrgeizigen Intendanten Alexander Pereira, der an die Mailänder Oper La Scala gewechselt ist. Perieras Vermächtnis: die Erweiterung der Salzburger Festspiele einerseits, finanzielle Engpässe andererseits.

Preise und Auszeichnungen

Vom Echo-Klassik erhielt der 85-jährige Dirigent Nikolaus Harnoncourt einen Preis für sein Lebenswerk, und die Wiener Philharmoniker wurden mit dem Birgit Nilsson Preis und den Herbert von Karajan Preis gleich zweifach prämiert. Im April waren bei den "International Opera Awards" in London deutsche Opernhäuser und Künstler vorne dabei, darunter der russischstämmige Österreicher Kirill Petrenko als künstlerische Leiter der Bayerischen Staatsoper in München, der Chor der Bayreuther Festspiele und der Australier Barrie Kosky, Intendant und Chefregisseur an der Komischen Oper Berlin.

Nach seiner ersten Saison wählten Kritiker Barrie Koskies Komische Oper Berlin zum 'Opernhaus des Jahres'Bild: picture-alliance/dpa

Eine weitere Berliner Oper, die Staatsoper, haust indessen weiterhin im Schiller Theater. Die Kosten für die 2010 begonnene Sanierung des Stammplatzes "Unter den Linden" explodierten von 242 auf fast 400 Millionen Euro, was neben dem Flughafen BER zu einem weiteren Berliner Bauskandal ausartete. Darüber konnte man die Elbphilharmonie in Hamburg fast vergessen, deren Eröffnung von 2010 auf 2017 verschoben wurde. Bei Baukosten von inzwischen 865 Millionen Euro rangiert das Bauwerk auf Rang acht in der Liste der zehn teuersten Wolkenkratzer der Welt.

Abschied und Amtsbeginn

Nach drei Jahren rundete Heiner Goebbels seine Amtszeit als Intendant der Ruhrtriennale ab. Sein Markenzeichen: der Mix von Theater, Kunst, Tanz und Musik in noch nie dagewesenen Darstellungsformen vor spektakulären Industriekulissen. Sein Verdienst: eine 90-prozentige Auslastung und die Verjüngung des Publikums auf ein Durchschnittsalter von 47 Jahren.

Nach der Ruhrtriennale: Wohin geht die Reise für Heiner Goebbels?Bild: DW/ H. Mund

Interdisziplinarisches hat auch Nike Wagner angekündigt, die neue Intendantin des Bonner Beethovenfests. Außerdem soll das Festival leicht verkleinert und stärker in die regionale Kulturszene vernetzt werden. Wagners Vorliebe für thematisch geschlossene Programme soll - so das Kalkül - die Inhalte fürs Publikum nachvollziehbarer machen.

Aufwind oder Rotstift?

In Deutschland gibt es über 500 Musikfestivals aller Art, fast viermal so viele wie vor 20 Jahren. Zu den größten regionalen Veranstaltungen gehören das Schleswig-Holstein Musik Festival, das Klavier-Festival Ruhr und das Rheingau Musikfest. Ohne Frage: Festivals sind eine Wachstumsbranche.

Dagegen befinden sich andere Institutionen im Abwind. 2014 wurde das endgültige Aus für das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg eingeläutet. "Ein beispielloser Vorgang in der bundesrepublikanischen Geschichte", sagte Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrats, im DW-Interview. Umso pikanter wirkte die Nachricht, als das Orchester im Dezember für einen Grammy nominiert wurde.

Dem Trend der Konsolidierung folgend sind insgesamt 37 Sinfonieorchester seit 1992 dem Rotstift zum Opfer gefallen. Immerhin: Es verbleiben noch 131 staatlich subventionierte Konzert- und Opernorchester; rund ein Viertel der Kulturorchester und Opernhäuser der Welt befinden sich in Deutschland.

Politisch motiviert?

Gegen Jahresende sorgte Anna Netrebko gleich zweimal für Schlagzeilen. Da Netrebko mit dem Konzept des Regisseurs Hans Neuenfels nicht einverstanden war, sagte sie ihre Mitwirkung in der Titelrolle von Puccinis Oper "Manon Lescaut" in München ab. Dann war die russische Starsopranistin mit Oleg Zarjow zu sehen, dem russischen Separatistenführer aus dem Kriegsgebiet der Ostukraine - und zwar, vor der Flagge des abtrünnigen Gebiets "Neurussland". Anlass war ihre Spende für das Theater der Stadt Donezk.

Anna Netrebko hielt neben Oleg Zarjow die umstrittene 'Neurusslandfahne'Bild: picture-alliance/dpa/Stringer

Für Aufruhr sorgte auch ein weiterer russischer Patriot und Weltstar: Nach der Annektierung der Krim im Frühjahr unterschrieb Valery Gergiev, designierter Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, einen Brief der Solidarität mit dem russischen Präsidenten Vladimir Putin. Dem Grundsatz der Meinungsfreiheit folgend, fanden die Münchner Stadtväter keinen Grund, Gergievs Berufung zurückzuziehen. Ob Netrebkos und Gergievs politische Haltung ihre Musikkarrieren schaden wird, ist offen.

Neue Vertriebswege

Im April folgten die Berliner Philharmoniker dem Beispiel amerikanischer Klangkörper und gründeten ihr eigenes Label. Ganz andere Wege, um die Gunst des Publikums zu erobern, fand die ukrainischstämmige amerikanische Pianistin Valentina Lisitsa, deren Videos auf YouTube über 62 Millionen Mal abgerufen wurden. Im Dezember schloss der Onlinedienst Medici.tv seine kostenlose Reihe von Live-Webcasts mit dem 23-jährigen russischen Starpianisten Daniil Trifonov ab; der Webdienst verzeichnet rund 485.000 Zuschauer pro Monat. Auch Trifonov wurde für einen Grammy nominiert (in der Kategorie "Bestes klassisches Instrumentalsolo") und mischte das Konzertleben kräftig auf - auch in Deutschland.

Senkrechtstarter Trifonov ist noch lange nicht am ZielBild: imago/United Archives International