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Klimaneutralität: Wie teuer wird das?

Tim Schauenberg
21. September 2021

Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein. Klar ist: Der Umbau unserer Wirtschaft wird Billionen verschlingen. Doch das Geld nicht zu investieren, würde uns noch viel mehr kosten.

Ökostrom vs konventioneller Strom Windrad Kohlekraftwerk Overlay
Bild: picture-alliance/dpa

Von Rekordtemperaturen und Waldbränden in Nordamerika, Südeuropa und Sibirien, Taifunen in Südost-Asien, bis zu Hochwasser in Deutschland oder China - der Klimawandel hat schon heute Einfluss auf jede bewohnte Gegend der Erde.

Nur eine schnelle Reduzierung der weltweiten Treibhausgasemissionen kann einen weiteren Anstieg der Temperaturen, und damit noch extremeres Wetter, verhindern. 

Deutschland hat dieses Jahr nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts seine Klimaziele nachgebessert und will bis 2045 klimaneutral sein. Doch die Klimabilanz des EU-Landes mit dem weitaus größten Ausstoß von Treibhausgasen auf null zu bringen, kostet viel Geld: Sechs Billionen Euro, damit rechnet eine die aktuelle "Net-Zero Deutschland" Studie der Beratungsfirma McKinsey. 

Demnach müssten sieben Prozent der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung in grüne Technologien und Infrastruktur gesteckt werden, insgesamt rund 240 Milliarden Euro. "Eine nie dagewesene Aufgabe", sagt Ruth Heuss, Co-Autorin der Studie.

Nur rund eine Billion echte Zusatzinvestitionen 

Doch nur eine von sechs Billionen Euro müssten dafür zusätzlich investiert werden, pro Jahr 40 Milliarden Euro. Die restlichen fünf Billionen sind Ausgaben, die ohnehin anfallen. Sie müssen nur anders - nämlich in grüne Technologien - investiert werden. Damit können etwa Zuschüsse für den Kauf von privaten Elektroautos finanziert werden, oder die Unterstützung für Unternehmer, die in klimafreundliche Produktionsverfahren investieren, statt alte Anlagen zu sanieren. Dazu gehören auch Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr, Ladestationen für E-Autos, Batteriespeicher oder in den Ausbau einer landesweiten Infrastruktur für grünen Wasserstoff, statt beispielsweise den Flugverkehr zu subventionieren. 

Geschwindigkeit verdreifachen

Kritisch wird es weniger beim Geld, so Co-Autorin Heuss, sondern beim Faktor Zeit. Denn die ist knapp. "Die nächsten zehn Jahre sind die entscheidenden. Wir müssen die Geschwindigkeit, mit der wir Dekarbonisieren, in etwa verdreifachen." Jahrelange Genehmigungsverfahren für Solarparks, Stromtrassen oder den Standort von Windrädern könne man sich dann im wahrsten Sinn des Wortes nicht mehr leisten, weder aus ökologischer noch aus wirtschaftlicher Sicht. Und je länger der Umbau verzögert wird, umso schneller müssten die Maßnahmen dann umgesetzt werden, was wiederum zu höheren Kosten führt, so die Expertin. Darum sei es entscheidend "jetzt relativ zügig die Rahmenbedingungen zu schaffen".

Wo und ob neue Stromtrassen gebaut werden, ist ein ewiges StreitthemaBild: Karl-Josef Hildenbrand/dpa/picture alliance

Gerade im Energiesektor, der etwa 32 Prozent der deutschen Emissionen verursacht, muss der Ausstoß klimaschädlicher Gase bis 2030 jetzt doppelt so schnell verringert werden wie in den vergangenen 30 Jahren. Das gilt auch für den Industrie, wo 23 Prozent der Gesamtemissionen erzeugt werden. Weitere Maßnahmen für die Klimaneutralität sind die Elektrifizierung des Verkehrs, die Versorgung der Stahl- und Zementindustrie und anderer Betriebe mit grünem Strom, und mehr Investitionen in Recycling und Technologien für verbesserte Batteriespeicher.  

Auch Forschung und Investitionen in Speicherverfahren von CO2 sind aus der Sicht von Detlef Stolten vom Forschungszentrum Jülich wesentlich, damit die Klimabilanz am Ende wirklich null ist. "Ohne die geht es nicht."

Klimaneutralität "bezahlbar"

Von dem Geld, das in den Umbau der Wirtschaft fließt, erwarten die Experten nicht nur einen positiven Effekt für die Umwelt, sondern auch für die deutsche Wirtschaft insgesamt. Und: durch den Umbau sollen auch mehr Arbeitsplätze  geschaffen werden.

Bei einem optimalen Szenario gehen die Autoren der Studie sogar davon aus, dass sich die zusätzlichen Investitionen mit den Einsparungen decken könnten. Das heißt: Klimaneutralität käme gesamtgesellschaftlich im besten Fall sogar zum Nulltarif. Dass sich die Kosten tatsächlich die Waage halten werden, davon geht Stolten allerdings nicht aus. Wie viel die Mehrkosten potentiell ausmachen könnten, berechnet sein Institut derzeit mit einem anderen Ansatz. Die genauen Ergebnisse sollen im Oktober erscheinen. 

Der Klimawandel machte die Flutkatatrophe in Westdeutschland wahrscheinlicherBild: Sabine Kinkartz/DW

Stolten schätzt, dass für das 2045-Ziel etwa 1,8 Billionen Mehrkosten - rund 70 Milliarden Euro jährlich - anfallen könnten. Damit lägen die zusätzlichen Investitionen für die Klimaneutralität des Landes insgesamt etwa so hoch wie die Kosten der deutschen Wiedervereinigung. "Nach allem, was wir jetzt sehen, ist das bezahlbar," sagt Stolten. Er verweist auf die hohen Kosten durch die Hochwasserkatastrophe in Westdeutschland Mitte Juli, die zahlreiche Menschenleben forderte, viele Existenzen zerstört hat und schwere Infrastrukturschäden verursachte. "Wenn wir jetzt 30 Milliarden für den Wiederaufbau kleiner Teile von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalens brauchen - und das ist mit Sicherheit nicht der Gesamtschaden, der wird höher liegen - dann sehen Sie doch schon, dass sich das unheimlich relativiert."

Nichts tun ist keine Alternative

Klar ist schon heute: nicht zu investieren wird noch teurer. Das Umweltbundesamt schätzt den Schaden am deutschen Wohlstand, den jede weitere Tonne ausgestoßenes CO2 schon heute verursacht,  auf 201€ - Tendenz steigend.  Darin eingeschlossen sind nicht nur die Schäden an Häusern, Straßen oder Ernteschäden durch Hochwasser, Stürme oder Dürre, sondern auch die gesundheitlichen Folgen durch Hitzewellen oder Luftverschmutzung, sowie die ökologischen Kosten durch die Abnahme der Artenvielfalt oder zerstörten Wäldern und Böden. Allein die weltweit verursachten Schäden an den Ökosystemen könnten bis 2050 auf 14 Billionen Euro ansteigen - das sind sieben Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Es ist "auf jeden Fall auch in Summe für alle günstiger," sagt Carolin Schenuit, geschäftsführende Vorständin vom Forum soziale-ökologische Marktwirtschaft. Und sie betont, "dass unter den Klimafolgen natürlich auch die Schwächsten der Gesellschaft überproportional leiden."

Hält sich die Weltgemeinschaft an das Pariser Abkommen und begrenzt den Klimawandel auf unter 1,5 Grad, könnte damit immenser sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Schaden verhindert werden. 

Die Voraussetzungen dafür, dass die Klimawende in Deutschland bis 2045 gelingt, "sind so gut wie noch nie", stellen die Autoren der McKinsey-Studie fest. Konsumenten würden sich immer häufiger für nachhaltige Produkte entscheiden und viele Unternehmen nachhaltige Wertschöpfungsketten vorantreiben.

Doch selbst wenn das Ziel, bis 2045 klimaneutral zu sein, tatsächlich erreicht wird, würde Deutschland noch weit hinter den Vereinbarungen des Pariser Klimaabkommens für das 1.5 Grad-Ziel zurückbleiben. Dafür müsste die deutsche Klimabilanz schon möglichst vor  2032 auf Null stehen.

 

In einer vorherigen Version hieß es Deutschland müsse für die Erreichung des 1,5 Grad Ziels 2038 klimaneutral sein. Zu diesem Zeitpunkt ist eine Erwärmung auf 1,75 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts aber bereits wahrscheinlicher. Wir haben die Zahl korrigiert.

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