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Deutschland kontrolliert alle seine Grenzen

16. September 2024

Wegen Überlastung des Asylsystems lässt die Innenministerin seit Montag früh alle deutschen Grenzen kontrollieren. Eigentlich soll das eine Ausnahme in der EU sein. Doch das gilt nicht mehr.

Grenze zu Deutschland, ein Bundespolizist mit Kelle stoppt einen heranfahrenden Transporter, seitlich ist ein Polizeitransporter zu sehen
Regelmäßige Grenzkontrollen sind nun an allen deutschen Außengrenzen möglich Bild: Tino Plunert/picture alliance/dpa

Von diesem Montag an wird die deutsche Bundespolizei nicht nur an den östlichen und südlichen Landgrenzen, sondern auch an den deutschen Grenzen im Norden und Westen Einreisende für mindestens sechs Monate Einreisende kontrollieren. Die neue Regelung betrifft Grenzübertritte aus Dänemark, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und Frankreich.

Da Deutschland mitten in der "Schengenzone" liegt, könnten die zusätzlichen Kontrollen zu Behinderungen im Personen- und Güterverkehr führen. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk kritisierte, Deutschland werde mit seinen umfassenden Kontrollen das ganze Schengensystem gefährden. Eigentlich sind in der Schengen-Zone Reisen ohne Personenkontrollen und Warteschlangen möglich, nur an den Außengrenzen und auf Flughäfen muss der Pass vorgezeigt werden.

Schengen: Kontrollen nur als letztes Mittel

Kontrollen an den Binnengrenzen sind nur unter bestimmten Voraussetzungen vorgesehen. Allerdings entscheiden die Mitgliedsstaaten allein, ob sie erfüllt sind, und müssen die Grenzkontrollen dann lediglich bei der EU-Kommission in Brüssel anmelden.

Die EU-Zentrale kann die Grenzkontrollen rügen, hat dies bisher aber noch nie getan. Sie weist nur darauf hin, dass die Grenzkontrollen eine Ausnahme und das "letzte Mittel" bleiben sollen, wie zuletzt Anitta Hipper, die Sprecherin der EU-Kommission. Außerdem sind die Kontrollen "vorübergehend" einzurichten, im längsten Fall nach dem gerade geänderten Schengen-Grenzkodex für drei Jahre.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Grenzposten zu Polen in Görlitz: Einreisende abfangenBild: Paul Glaser/dpa/picture alliance

Dass Deutschland diesen Schritt nun geht, begründet Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit den hohen Zahlen von unerlaubt einreisenden Migranten und einer Überlastung des Asylsystems.

Hunderte Ausnahmen im Schengen-Raum

Deutschland ist mit seinen ausgeweiteten Grenzkontrollen nicht allein. Acht weitere Schengen-Mitglieder haben zurzeit an den Binnengrenzen Posten aufgestellt. Seit 2006 gab es insgesamt 441 angemeldete Kontrollmaßnahmen in den Schengenstaaten. Frankreich ist Spitzenreiter. Seit den islamistischen Terroranschlägen von 2015 und 2016 behält sich Paris das Recht vor, alle Landgrenzen ständig zu kontrollieren. Mit wechselnden Begründungen wie Terrorgefahr, Migrationsdruck, russische Spionage oder sportlichen Großereignissen werden die Kontrollen immer wieder verlängert. Auch Deutschland kontrolliert bereits seit 2015 die Grenze zum südlichen Nachbarn Österreich mit der Erklärung, es wolle die Zahl der einreisenden Asylsuchenden und Terrorgefahren verringern. Österreich wiederum kontrolliert seine Grenzen zur Slowakei, Tschechien, Ungarn und Slowenien mit der gleichen Begründung.

Den Höhepunkt erreichten die Kontrollen während der Coronapandemie vor vier Jahren, als fast alle mitteleuropäischen Staaten die Ausbreitung des Virus durch Passkontrollen und teilweise Schließung der Grenzen bekämpfen wollten. Damals gab es lange Staus und viel Unmut bei Pendlern und Spediteuren.

Stichproben an Autobahnen

Die Kontrollen zwischen dem Bundesland Bayern und Österreich zum Beispiel beschränken sich nach Angaben des bayrischen Innenministers Joachim Herrmann auf Sichtkontrollen und Stichproben an den Autobahnen. Demnach muss nicht jede Person tatsächlich ihre Papiere prüfen lassen. Nur verdächtig wirkende Fahrzeuge werden herausgewinkt. Kontrollen an Bundesstraßen seien auch möglich, so Hermann, aber nicht flächendeckend und rund um die Uhr.

Frankreich hat Kontrollen angemeldet, aber oft finden sie gar nicht statt wie hier an der französisch-belgischen Grenze bei Neuville-en-FerrainBild: Sebastien Courdji/Xinhua/picture alliance

Für ständige Kontrollen auch an Nebenstraßen hätte die Polizei auch gar kein Personal, klagt etwa die Gewerkschaft der Polizei. Schon jetzt seien die Einsatzkräfte überlastet, 5000 zusätzliche Beamtinnen und Beamte seien notwendig, um die Kontrollaufgaben zu erfüllen. Die Führung der Bundespolizei widerspricht. Es gebe genügend verfügbare Kräfte, heißt es aus dem Bundesinnenministerium. Der Innenminister von Luxemburg, Leon Gloden, erklärte der DW, Faeser habe ihm versichert, dass die Kontrollen den Verkehr und das Alltagsleben möglichst nicht beeinträchtigen sollten und nicht auf den Brücken zu Luxemburg stattfinden würden.

Faeser will Einreisen verhindern

Bundesinnenministerin Nancy Faeser will mit den neuerlichen Kontrollen Personen aufspüren lassen, die versuchen "unerlaubt" einzureisen. Diesen Menschen kann die Einreise aber nur dann verweigert werden, wenn sie kein Asylbegehren vorbringen. Sie würden dann technisch gesehen zum Beispiel an der Grenze zu Österreich gar nicht nach Deutschland einreisen, sondern immer noch in Österreich sein. Deshalb sei eine formale Zurückweisung in diesen Fällen nach EU-Regeln gar nicht notwendig, argumentiert der bayrische Innenminister Joachim Hermann. 

Trägt eine Person jedoch an der Grenze ein Asylbegehren vor, müssen die deutschen Behörden prüfen, ob sie zuständig sind oder ob der Einreisende schon in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag gestellt hat beziehungsweise hätte stellen können. Dann könnte dieser Mensch in das Land des ersten Asylantrages oder der ersten Einreise in den Schengenraum zurückgewiesen werden - sofern dieses Land zustimmt. Diese Verfahren nach den sogenannten Dublin-Regeln konnten bislang Monate dauern. Jetzt, so verlangt es Bundesinnenministerin Nancy Faeser, sollen die Abfragen bei Asyldatenbanken der EU und die Verhandlungen mit den zuständigen EU-Staaten beschleunigt werden. Dazu sollen die Asylsuchenden nahe der deutschen Grenze untergebracht und bei Fluchtgefahr sogar inhaftiert werden. Diese grenznahen Lager müssen die Bundesländer aber erst noch einrichten.

Bisher befinden sich Aufnahmelager auch weit im Inland wie hier in Braunschweig, künftig sollen sie an die Grenzen verlegt werdenBild: Julian Stratenschulte/dpa/picture alliance

50 Prozent konnten nicht einreisen

Die Bundespolizei gibt an, dass von Januar bis Juli dieses Jahres 34.000 Personen unerlaubt nach Deutschland einreisen wollten. 17.000 sei die Einreise unmittelbar an der Grenze verweigert worden. Die andere Hälfte konnte einreisen und wird in Verfahren nach den Dublin-Regeln behandelt. Im vergangenen Jahr hatte die Bundespolizei 127.000 Menschen an den Grenzen aufgegriffen, die unerlaubt einreisen wollten. Ein Viertel wurde direkt an der Grenze die Einreise verweigert. Wie hoch die Dunkelziffer bei den Einreiseversuchen ist und wie viele Menschen durch mehr Grenzkontrollen zusätzlich hätten aufgespürt werden können, ist unklar.

Ungarn spürt Genugtuung

Der derzeitige Ratspräsident der EU, Ungarn, hat sich zu Wort gemeldet und die deutschen Grenzkontrollen mit einer gewissen Häme kommentiert. Jahrelang sei Ungarn wegen seiner harten Haltung gegen illegale Migration kritisiert und angeklagt worden. "Jetzt scheint es so, dass diejenigen, die unseren Ansatz immer verworfen haben, jetzt eben diesen selbst verfolgen", heißt es in einer Pressemitteilung der rechtspopulistischen Regierung in Budapest. Und weiter: "Es ist schon komisch, wie ein paar Jahre und eine Migrationskrise die Meinung ändern können." 

Europa ohne Grenzen- das Schengen-Abkommen

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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