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Deutschland lieben: Ausländische Stadtführer zeigen wie

Inga Janiulytė /suc 12. September 2016

Manchmal schlägt das Herz ausländischer Stadtführer stärker für Deutschland als das ihrer deutschen Kollegen. Wir wollten wissen, warum das so ist und wie man mehrere Jahrhunderte Geschichte in zwei Stunden packt.

Tour-Guide George Carillo aus den USA organisiert Touren durch Berlin. (Foto: SANDEMANs)
Tour-Guide George Carillo aus den USA: "Ich kann unbefangen über deutsche Geschichte und Identität sprechen."Bild: SANDEMANs

"Ich kam nach Deutschland und habe mich verliebt", erzählt Rhonda Rhodes – und sie meint das ganz wörtlich: Vor einem Jahr ist die 27-jährige Australierin nach Hamburg gezogen und hat kürzlich ihren deutschen Partner geheiratet.

Aber nicht nur durch ihren Ehemann ist sie Deutschland verbunden: Rhondas Ur-Großvater war gebürtiger Hamburger und wanderte in den 1920er Jahren nach Australien aus. Deswegen war sie ganz besonders gespannt darauf, seine alte Heimatstadt kennenzulernen. Nachdem sie die Hansestadt kilometerlang abgelaufen und gründlich erforscht hatte, begann sie als Stadtführerin für "Robin and the Tour Guides" zu arbeiten. Bei den Gratis-Stadtrundgängen kann sie ihre Begeisterung für Hamburg mit Touristen teilen.

Jeder gibt so viel er möchte

"Gratis" bedeutet allerdings nicht, dass man sein Portemonnaie zuhause lassen kann. Am Ende jedes Rundgangs lässt die Stadtführerin eine kleine Box rumgehen, in die jeder so viel hineinwirft, wie er möchte. Für Reisende, die auf ihr Budget achten müssen, ist das eine gute Alternative zu anderen Führungen.

"Bei meiner Reise durch Europa habe ich viele Stadtrundgänge mitgemacht und war fasziniert von den Geschichten, die erzählt wurden", erinnert sich die Australierin. "Ich habe meine zukünftigen Kollegen so lange genervt, bis sie mir auch einen Job gaben. Ich war wild entschlossen, eine Stadtführerin zu werden, die es schafft, die Geschichte eines Ortes für die Touristen wieder zum Leben zu erwecken." Im Moment ist das ihr Hauptberuf, aber Rhodes träumt davon, Geschichte zu studieren und ihr Wissen zu vertiefen.

Als Tour-Guide in Hamburg konnte die Australierin Rhonda Rhodes auch schon Einheimischen ganz neue Seiten der Stadt zeigenBild: R. Rhodes

Außergewöhnliche Geschichten und Orte

Bei den Rundgängen könnte ihre Klientel nicht unterschiedlicher sein. Da gibt es Geschäftsleute, die in ihrer Pause mal eben eine Tour einschieben, Familien, Einzelreisende, Studierende und manchmal sogar Flüchtlinge. Sie alle haben eines gemeinsam: die Liebe zum Reisen und die Lust darauf, etwas Neues zu entdecken.

Einige interessieren sich für die Stadt während des Zweiten Weltkriegs, andere wollen etwas über die Beatles wissen, die zwischen 1960 und 1962 in mehreren Hamburger Clubs spielten. "Die Leute hören gerne Geschichten, die sie nicht so leicht irgendwo nachschlagen können," sagt Rhodes. Außerdem hat sie festgestellt: "Einige Gäste fühlen sich einem ausländischen Stadtführer näher, weil er irgendwann einmal genauso fremd hier war, wie sie es gerade sind. Ich zeige ihnen Hamburg mit den Augen einer Touristin."

Geheimtipps statt Massenattraktionen

Zu verdanken ist das "Free Tour"-Konzept dem amerikanischen Studenten Chris Sandeman. 2003 rief er es ins Leben und mittlerweile ist aus seiner Idee ein florierendes Unternehmen mit 170 Angestellten in 18 Städten geworden. Inzwischen haben andere Unternehmen die Idee aufgegriffen, zum Beispiel "Freewalk Cologne", für die Steve Howard in der Domstadt am Rhein arbeitet. Der 29-jährige Australier kam vor sechs Monaten nach Deutschland.

Vor sechs Monaten ist er von Australien nach Deutschland gekommen. Jetzt führt Steve Howard Touristen durch KölnBild: S. Howard

Aus seiner Sicht bringt es mehr, eine Anekdote über Köln zu erzählen als Jahreszahlen aneinanderzureihen. Außerdem habe er festgestellt, dass die Besucher stärker an abseitigen Plätzen als an den Hauptsehenswürdigkeiten interessiert sind. Deshalb zeigt er ihnen gerne die Überreste einer römischen Mauer in einem Parkhaus oder Streetart, die ihm gefällt.

"Das 20. Jahrhundert interessiert besonders"

Natürlich tummeln sich auch in Berlin ausländische Stadtführer. George Carrillo aus den USA ist einer von ihnen. Wie so oft, zog es auch ihn wegen der Liebe in die Fremde - eine deutsche Urlauberin in Missouri hatte es ihm angetan. Jetzt arbeitet der 31-Jährige sowohl für das Unternehmen "Sandemans", das sich über Trinkgelder finanziert, als auch für Anbieter, die für ihre Dienste Geld verlangen. Ursprünglich wollte er Englischlehrer werden, stieß dann aber im Netz auf den Job als Stadtführer in der Hauptstadt.

Seine Gäste kommen aus der ganzen Welt: aus Malaysia, China, Argentinien, Australien und den USA. "Viele Reisende scheinen schon eine Menge über die deutsche Geschichte zu wissen, besonders über das 20. Jahrhundert", erzählt Carillo. "Sie kommen nach Berlin, um mehr über den Zweiten Weltkrieg und den Kalten Krieg zu erfahren."

Die Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert in gerade mal zwei Stunden zu erklären, ist eine große Herausforderung. Aber Carillo geht sie voller Enthusiasmus an. "Ich habe eine Botschaft an die Leute. Was Deutschland von anderen Ländern unterscheidet, die ebenfalls unvorstellbare Verbrechen begangen haben, ist die Tatsache, dass es sich seiner Vergangenheit stellt."

Ein anderer Blick auf Deutschland und die Deutschen

George Carrillo ist überzeugt, dass es Ausländern oft leichter als den Deutschen selbst fällt, als Stadtführer zu arbeiten. Im Gegensatz zu ihnen könne er unbefangen über deutsche Geschichte und Identität sprechen. "Vor allem die Nazi-Verbrechen lasten immer noch schwer auf ihnen. Daher haben sie bis heute Probleme, stolz auf ihr Land und ihre nationale Identität zu sein."

Einer der beliebtesten Anziehungspunkte für Touristen in Berlin: Checkpoint CharlieBild: picture-alliance/dpa/Maurizio Gambarini

Eins ist dem US-Amerikaner besonders wichtig: Er möchte, dass seine Tour-Gäste Berlin nicht nur mit historischem Wissen verlassen. "Auch sie sollen die Zuneigung und den Respekt für Deutschland und die Deutschen mitnehmen, den ich während meines Aufenthalts hier erworben habe."