Viele Fragen an Mursi
30. Januar 2013 Der Beginn der ägyptischen Revolution jährte sich kürzlich zum zweiten Mal, aber zum Feiern ist derzeit den wenigsten Bürgern zumute. Wieder versammeln sich in Kairo Tag für Tag Demonstranten, um gegen die Zustände in ihrem Land zu protestieren. "Geht raus auf die Plätze, um die Ziele der Revolution zu vollenden", fordert Mohammed el-Baradei, der ehemalige Direktor der Internationalen Atomenergieorganisation und nun Führer des Oppositionsbündnisses "Nationale Heilsfront".
Auch die großen Zeitungen vermitteln den Eindruck, die Revolution habe sich um ihre wesentlichen Anliegen bringen lassen. "Wir träumten von Veränderungen", schrieb etwa die Zeitung "Al masry al yaum". "Doch leider hat sich nichts verändert, ganz so, als hätte die Revolution gar nicht stattgefunden." Auch das Blatt "Al Shouruq" zog eine nüchterne Bilanz. Man habe vor zwei Jahren von einem Wunder geträumt, so einer ihrer Kommentatoren. Dieses Wunder sehe nun so aus: "Unsere Kinder werden in zivile und in Militärgefängnisse gesteckt. Die Armen werden ärmer, während die Reichen unter anderem Namen und in neuen Bündnissen ihren Reichtum mehren."
Unbequeme Fragen
Es ist keine einfache Zeit, in der der ägyptische Staatspräsident Mohammed Mursi in Deutschland erwartet wird. An diesem Mittwoch (30.01.2013) will ihn Bundeskanzlerin Angela Merkel mit militärischen Ehren empfangen. Doch Mursi wird sich in Berlin auch kritischen Fragen stellen müssen, selbst wenn die Gastgeber Verständnis für die schwierige Lage Ägyptens haben.
Nach Jahrzehnten der Diktatur suchten die Ägypter nun neue Formen gesellschaftlichen Miteinanders, erklärt der CDU-Politiker Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, im Gespräch mit der DW. "Es wäre vermessen, zu erwarten, dass das ein völlig gradliniger, rückschlagfreier Prozess werden könnte."
Gemäßigte Islamisierung
Wohin dieser Prozess letztlich führt, gilt in den außenpolitischen Kreisen der Bundesrepublik allerdings noch nicht als ausgemacht. Der SPD-Politiker Klaus Brandner, Vorsitzender der Deutsch-Ägyptischen Parlamentariergruppe, erwartet im Gespräch mit der DW, dass die Islamisierung der ägyptischen Gesellschaft zunehmen wird. Das heiße aber nicht, dass sich das Land in Richtung eines Gottesstaates bewegen werde. Eher gehe es in Richtung des türkischen Modells, das zwischen Kirche und Staat eine klare Trennung vorsehe. Zwar gebe es in dem Land am Nil ein gewachsenes religiöses Selbstbewusstsein. "Das bedeutet aber nicht, dass konservativ-klerikale Kräfte allein die gesellschaftliche Orientierung des Staates vornehmen."
Dennoch könnten diese Kräfte sich pluraler zeigen, erklärt Ruprecht Polenz. Es sei schade, dass es nicht gelungen sei, eine Verfassung zu verabschieden, auf die sich die Ägypter quer über alle Lager hinweg verständigen hätten können. Zwar sei es schwer, von außen die Gründe für das Scheitern zu erkennen. Tatsache sei aber, dass die säkularen Kräfte das Gefühl gehabt hätten, sich gegen die Muslimbrüder und andere islamische Gruppierungen nicht durchsetzen zu können. Dass die Verfassung dann per Referendum angenommen worden sei, erstaune ihn nicht: "Das liegt in der Natur der Sache, wenn man nur ja oder nein sagen und bei einzelnen Artikeln nicht noch einmal nach anderen Formulierungen suchen kann."
Darum, erklärt Brandner, seien die in diesem Jahr anstehenden Parlamentswahlen eine Chance für das Land. Sie böten Gelegenheit, den Demokratisierungsprozess voranzubringen. Denn ein starkes Parlament sei Voraussetzung dafür, dass ein Land nicht nur eine formale, sondern eine tatsächliche Demokratie sei. "Es geht um soziale Rechte, die Menschenrechte und ganz besonders die Rechte der Frau. Ohne diese ist auch eine erfolgreiche Wirtschaft nicht möglich."
Zukunft der Konrad-Adenauer-Stiftung
Wie es um die Freiheitsrechte in Ägypten steht, zeigt sich für Ruprecht Polenz auch an der künftigen Situation der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ägypten. Diese stecke momentan in einigen Schwierigkeiten: "Und wir sollten schon von Mursi hören, wie er die Arbeit zum Aufbau einer Zivilgesellschaft in seinem Land einschätzt, auch wenn dabei Strukturen entstehen, die nicht bei den Muslimbrüdern landen, sondern ihnen möglicherweise auch eine gewisse Konkurrenz machen."
Angesichts der jüngsten Unruhen in Ägypten wurde Mursis ursprünglich auf zwei Tage angelegtes Deutschland-Programm mittlerweile auf "einige Stunden" zusammengestrichen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Mena berichtete. Sein im Anschluss geplanter Besuch in Frankreich wurde sogar komplett abgesagt.