Deutschland räumt illegalen Müll in Tschechien auf
12. September 2025
In einer Dezembernacht wurden heimlich hunderte Tonnen Sondermüll in dem kleinen tschechischen Ort Jirikov abgeladen: Glasfaserreste von Windturbinen, geschredderte Festplatten und Autobatterien landeten auf einem Gelände. Ohne den Einsatz von Bürgermeisterin Barbora Siskova wäre die illegale Müllhalde noch größer geworden. Doch sie stoppte weitere LKW, die von einer deutschen Firma zum Abladen geschickt worden waren.
"Mir wurden Lieferpapiere gezeigt, die zeigen sollten, dass das alles ganz okay und legal ist", so Siskova im DW-Gespräch. "Aber ich wusste gleich, dass da etwas nicht stimmt." Angeblich sollte reiner Plastikmüll fürs Recycling angeliefert werden. "Aber man konnte auf den ersten Blick sehen, dass das keine Plastikflaschen oder Säcke mit reinem Kunststoff waren."
Wie kam der Sondermüll nach Jirikov?
Siskova erzählt, dass ein tschechischer Mann nach Jirikov gekommen sei und vorgegeben habe, das Gelände einer alten Sägemühle zunächst mieten und dann kaufen zu wollen. Angeblich, um dort eine Anlage zum Plastikrecycling zu bauen, und er gab an, übergangsweise Materialen zwischenlagern zu wollen.
"Er hat nur einmal die Miete bezahlt, hat den Abfall hier abgeladen und dann ist er weg", sagt Siskova. Mithilfe von Polizei- und Zollbeamten schaffte sie es, weitere LKW zurückzuschicken. Dann begannen die Ermittlungen. Inzwischen wurde illegaler Müll auch in anderen tschechischen Gemeinden gefunden, wie etwa in Horni Herspice am Stadtrand von Brünn.
Deutsche Behörden haben inzwischen den Geschäftsführer eines deutschen Entsorgungsunternehmens aus Bayern und einen tschechischen LKW-Fahrer in Untersuchungshaft genommen. Der Tatverdacht: Seit 2022 sollen in 21 Fällen illegal Abfälle ins europäische Auslandgebracht worden sein. Dabei sollen Abfälle absichtlich falsch eingestuft worden sein. "Die Firma hat das sicher nicht zum ersten Mal in Jirikov gemacht", so Bürgermeisterin Siskova.
Wer bezahlt die Müllbeseitigung?
Weil die beschuldigte Firma inzwischen Insolvenz angemeldet hat lagen die Aufräumarbeiten monatelang auf Eis. Die Behörden in Deutschland und Tschechien mussten sich gemeinsam um den illegalen Müll kümmern. Das Entfernen der rund 300 Tonnen Abfall konnte diese Woche endlich beginnen, berichtet Bürgermeisterin Siskova. Der erste LKW voller Müll fuhr am Montag nach Deutschland. "Bis Ende nächster Woche soll alles weg sein", sagte sie der DW.
Die ersten Ladungen mit Verbundwerkstoffen wurden bereits Anfang der Woche an einen Standort in Thüringen transportiert. Abfälle von insgesamt rund 260 Tonnen aus glas- bzw. carbonfaserverstärktem Kunststoff, etwa von Rotorblättern von Windkraftanlagen, werden zu einem zentralen Standort bei Hof/Oberfranken in Bayern gebracht und dort sortiert, berichtet die lokale Behörde, die die Aufräumarbeiten koordiniert.
Die Rückholaktion "soll zeitnah abgeschlossen werden", sagte eine Sprecherin der lokalen Oberpfalz-Regierung in Bayern der DW. Bislang konnte noch nicht abschließend beziffert werden, wie teuer die Aufräumarbeiten und die Entsorgung werden. Weil die beschuldigte Firma inzwischen insolvent ist, trägt Bayern zunächst die Kosten. "Inwiefern die Kosten dem Freistaat Bayern im laufenden Insolvenzverfahren erstattet werden, ist derzeit nicht abzusehen."
Umweltauswirkungen bislang unklar
Sobald die Aufräumarbeiten in Jirikov abgeschlossen sind, werden Boden- und Wasserproben genommen, um zu überprüfen, ob es Umweltschäden gibt, so Bürgermeistern Siskova. Die tschechische Umweltorganisation Arnika hatte bereits im März Proben genommen und dabei verschiedene Arten von Giftstoffen gefunden, wie etwa Pestizide und Verbindungen von Ewigkeitschemikalien PFAS. Diese Substanzen waren dabei nicht nur im Abfall selbst, sondern auch im Boden, was darauf hinweise, dass diese Schadstoffe aus dem Müll in die Umwelt gelangten, so die Analyse von Arnika.
"Einige Konzentrationen waren höher als die auf Elektroschrottdeponien in der thailändischen Provinz Kalasin", jahrelang ein höchst giftiger Hotspot. "PFAS-Verbindungen zeigten eine hohe Mobilität mit dem Potenzial zur Grundwasserverschmutzung", sagte Nikola Jelinek, Expertin für Giftstoffe bei Arnika.
Ein grenzüberschreitendes Müllproblem
Illegale Müllentsorgung sei ein gesamteuropäisches Problem, sagen tschechische Politiker. "Das Problem der illegalen Müllexporte über Grenzen hinweg muss auf der europäischen Ebene angegangen werden", sagte eine Sprecherin des tschechischen Umweltministers Petr Hladik der DW. Der Minister hatte bereits im Frühjahr auf mehr Kooperation gepocht, so die Sprecherin weiter.
"Illegale Abfalltransporte sind eine schwerwiegende Form der Umweltkriminalität, die oft durch wirtschaftliche Faktoren motiviert ist."
Und es ist ein lukratives kriminelles Geschäft. Im Februar dieses Jahres verhafteten kroatische Strafverfolgungsbehörden 13 Personen, die beschuldigt werden, Teil eines Netzwerks für Umweltkriminalität zu sein, berichtete das europäische Polizeiamt EUROPOL. Die Strippenzieher des Netzwerkes sollen dabei den illegalen Import von gefährlichen Abfällen aus Deutschland, Italien und Slowenien nach Kroatien orchestriert und dabei den Müll abgeladen bzw. verschüttet zu haben, anstatt ihn ordentlich zu entsorgen. Das soll ihnen einen Profit von mindestens 4 Millionen Euro eingebracht haben.
"Mehrere Staaten in ganz Europa sind derzeit mit erheblichen Problemen im Zusammenhang mit illegaler Abfallentsorgung und Abfallhandel über Grenzen hinweg konfrontiert", sagte Jelinek von der tschechischen Umweltorganisation Arnika.
"Das Problem wurde verschärft durch strengere Regularien in asiatischen Ländern, die früher europäischen Müll angenommen hatten. Das führte zu einem Anstieg in illegaler Müllentsorgung in Europa selbst", so Jelinek. Solche Hotspots ließen sich zurzeit in Polen, Slowakei, Rumänien, Bulgarien und Kroatien finden. "Kriminelle Organisationen haben sich vermehrt Abfallhandel zugewandt, weil es dort hohe Profitmargen sowie ein relativ geringes Risiko gebe."
Wie lassen sich solche Umweltverbrechen verhindern?
Diese Verbrechen verursachen oft irreparable Schäden an der Umwelt, sagt EUROPOL. Sie werden meist in Verbindung mit gefälschten Papieren und Finanzverbrechen wie Korruption und Geldwäsche ausgeführt. "Der Fall in Jirikov zeigt, dass in Zukunft eine viel stärkere grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Rechenschaftspflicht erforderlich ist, wenn man illegale Müllentsorgung in Zukunft verhindern will", so Jelinek.
Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung OLAF hat eine Taskforce ins Leben gerufen, die Strafverfolgung als auch die operative Zusammenarbeit sowohl innerhalb der EU als auch mit Drittstaaten verbessern soll. Gemeinsam mit Zoll- und Umweltbehörden überwacht OLAF verdächtige Abfalltransporte.
"Abfall muss innerhalb der EU verfolgbar sein, mit digitalem Tracking und transparenten Datenbanken, die nicht manipulierbar sind", sagte Jelinek. Das sagt auch Bürgermeisterin Siskova, die die für nächstes Jahr geplante EU-weite digitale Dokumentation begrüßt. "Und die Strafen sollten höher sein."
Bislang sieht es so aus, als ob die deutschen Steuerzahler auf den Kosten der Müllentsorgung sitzen bleiben werden.
"Prävention bedeutet auch, in sichere Entsorgungskapazitäten, strengere Strafen und schnellere Rechtsverfahren zu investieren", so Jelinek, "damit Unternehmen nicht von Insolvenzen oder Schlupflöchern profitieren können, während der Abfall weiter vor Ort liegen bleibt."