Nach dem US-Angriff: Berlin im diplomatischen Niemandsland
23. Juni 2025
Mehr als 35 Stunden, nachdem die USA die iranischen Atomanlagen bombardiert hatten, nahm Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) erstmals vor Kameras dazu Stellung. Merz sprach am Montag auf einer Veranstaltung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) in Berlin, ein Termin, der schon lange feststand. Das Motto des Events: "Neue Zeiten, neue Antworten." Und Merz formuliert einen Satz, den noch vor kurzem wohl kaum ein Bundeskanzler gesagt hätte: "Es gibt für uns, auch für mich persönlich keinen Grund, das zu kritisieren, was Israel vor einer Woche begonnen hat. Und auch keinen Grund, das zu kritisieren, was Amerika am letzten Wochenende getan hat. Es ist nicht ohne Risiko. Aber es so zu belassen, wie es war, war auch keine Option."
Friedrich Merz und die "Drecksarbeit"
Mit anderen Worten: Nicht nur Israel, auch die USA machen jetzt die "Drecksarbeit" im Kampf gegen den Iran. Mit dieser Formulierung hatte Merz in der vergangenen Woche auf dem G7-Gipfel in Kanada die Angriffe der Israelis beschrieben und gelobt. Nicht allen Politikern in Deutschland gefiel diese harte Wortwahl.
Den Sonntag hatte die deutsche Regierung hauptsächlich damit verbracht, sich ein Bild von der neuen Lage zu machen. Merz telefonierte mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem britischen Premier Keir Starmer. Danach veröffentlichten die drei eine Erklärung, in der es hieß: "Unser Ziel bleibt zu verhindern, dass der Iran eine Nuklearwaffe erlangt." Eine Kritik an dem US-Angriff gab es nicht. Weiter hieß es: "Wir rufen den Iran dringend auf, keine weiteren Maßnahmen zu ergreifen, die die Region destabilisieren könnten."
Deutschland nicht vorab informiert worden - schon wieder
Schon am Sonntagvormittag rief Merz das Sicherheitskabinett zusammen, die wichtigsten Minister der Regierung sind darin vertreten. Einen nationalen Sicherheitsrat gibt es noch nicht in Deutschland, die Regierung will ihn aber einführen, schon bald. Am Sonntag stand dann schnell fest: Deutschland wurde von den USA über die bevorstehenden Angriffe erst informiert, nachdem die Bomben schon gefallen waren. Das war dann eine Wiederholung der Erfahrung von vor mehr als einer Woche: Als die Israelis die iranischen Atomanlagen angriffen, wurde Außenminister Johann Wadephul (CDU) von seinem israelischen Kollegen Gideon Saar in Kairo aus dem Bett geholt. Mitten in der Nacht, ebenfalls, nachdem die Angriffe schon begonnen hatten. Wadephul, der sich eigentlich bei einer Nahost-Reise mit zahlreichen Besuchen noch einmal für eine friedliche Lösung stark machen wollte, informierte dann Merz, der seinerseits mit Israels Premier Benjamin Netanjahu sprach. Seinen eigentlich geplanten Besuch in Israel musste Wadephul dann absagen.
US- Angriff wenige Stunden nach Genfer Treffen
Einen ähnlichen Ablauf gab es jetzt auch nach dem US-Angriff auf den Iran. Noch am Freitag hatte sich Wadephul in Genf zusammen mit seinen Kollegen aus Frankreich und Großbritannien mit dem iranischen Außenminister Abbas Araghtschi getroffen , um einer Verhandlungslösung näher zu kommen, ohne Erfolg. In der Nacht zu Sonntag griffen dann die USA in den Krieg ein.
Pistorius und Wadephul mühen sich um Deutungen
Am Sonntag nach dem US-Angriff bemühten sich deutsche Minister in Fernsehinterviews, den Bürgern zu erklären, wo das Land bei diesem Thema steht und was die Regierung tun kann. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) etwa versuchte sich in der ARD-Talkshow mit Gastgeberin Caren Miosga am späten Abend an einer Einordnung. Er begann so: "Es ist nie gut, wenn eine Konfrontation militärisch eskaliert und fortgeführt wird. Das kann erstmal per se keine gute Nachricht sein, weil es zeigt und beweist, dass die Friedensordnung der Welt gerade unter Druck steht. Und zwar überall." Aber, so der SPD-Politiker: Wenn der Iran tatsächlich mit seinem Atomprogramm so weit fortgeschritten gewesen sein sollte, dass er eine akute Gefahr darstellte, dann "ist die Zerstörung der Anlagen zur Herstellung von nuklearen Waffen mit Sicherheit keine schlechte Nachricht für die Stabilität und die Sicherheit in der Region und für Israel".
Ähnlich klang Wadephul in mehreren Interviews. Der Iran habe eine "rote Linie" überschritten und müsse nun wieder zu Verhandlungen bereit sein. Aber offenkundig wohl eher mit den USA als mit den Europäern. Der Newsletter der Zeitung "Politico" in Deutschland schrieb dazu am Montagmorgen über die Bemühungen der europäischen Staaten, mit der Entwicklung Schritt zu halten: "Komparsen der Weltpolitik".
Treffen der Fraktionen im Kanzleramt - auch mit der AfD
Ebenfalls am Montagmorgen lud der Chef des Kanzleramtes, Thorsten Frei (CDU), alle Vorsitzenden der Fraktionen des Bundestages ein, um über die neue Lage im Nahen und Mittleren Osten zu informieren. Auch die in Teilen rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) war dabei . Zuvor sagte Frei in Berlin auf die Frage, ob der US-Angriff vom Völkerrecht gedeckt gewesen sei: "Aus meiner Sicht haben wir heute noch nicht alle Informationen, die eine völkerrechtliche Einordnung wirklich abschließend zulassen."
Die Frage nach dem Völkerrecht
Die Frage nach dem Völkerrecht beschäftigte am Montag aber andere deutsche Politikerinnen und Politiker schon. Die Verteidigungsexpertin der Grünen, Agnieszka Brugger, schrieb auf der Plattform X: "Die blinde Gefolgschaft zu Donald Trump, die führende Unionsabgeordnete jetzt zum Ausdruck bringen, halte ich für naiv und gefährlich. Es ist auch eine komplette Abkehr vom Völkerrecht. Das könnte mehr als schnell von einer heftigen Realität eingeholt werden." Und auch Vertreter der Regierungspartei SPD meldeten Bedenken an. So schrieb die SPD-Bundestagsabgeordnete Isabel Cademartori auf X: "Eine Welt, in der Länder, die keine Atomwaffen besitzen, von denen, die Atomwaffen besitzen, ohne jegliche völkerrechtliche Legitimation jederzeit angegriffen werden können, einfach weil sie es können, ist keine sichere Welt. Für niemanden."