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PolitikNahost

Deutschlands Nahost-Diplomatie in der Sackgasse

31. Januar 2024

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu lehnt im Gegensatz zu Deutschland die Zweistaatenlösung in Nahost ab. Auch Vorwürfe gegen das Palästinenserhilfswerk UNRWA bringen Berlin in eine schwierige Lage.

Frau mit Sonnenbrille geht neben einem Mann und einer Frau in orangefarbenen Westen, im Hintergrund ein Grenzübergang
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock im Gaza-Streifen: Ihre Mission wird immer schwierigerBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat seine engsten internationalen Verbündeten brüskiert. Die Zweistaatenlösung, die Idee eines unabhängigen, demokratischen Palästinenserstaates neben dem israelischen Staat, hat er rundheraus abgelehnt. "Ich werde keine Kompromisse eingehen, wenn es um die volle israelische Sicherheitskontrolle über das gesamte Gebiet westlich des Jordans geht - und das steht im Widerspruch zu einem palästinensischen Staat", schrieb Netanjahu auf X. Und das hat er auch US-Präsident Joe Biden in einem Telefonat gesagt.

Die Zweistaatenlösung ist aber genau das, worauf die USA, Deutschland und die Europäische Union alle ihre Friedensbemühungen aufbauen. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock hat die Zweistaatenlösung "die einzige Lösung" genannt. Israel könne nur in Sicherheit leben, wenn auch die Palästinenser in Sicherheit und in Würde leben könnten.

Auf diesen Zusammenhang könne Deutschland nur immer wieder hinweisen, meint auch Hans-Jakob Schindler, Nahostexperte von der internationalen Organisation Counter Extremism Project gegenüber der DW. Israelische Wiederbesiedlungspläne im Gaza-Streifen, wie sie zwei israelische Kabinettsmitglieder ins Spiel gebracht haben, wären "das beste Rezept, dass sich der islamistische Extremismus in Gaza und wahrscheinlich darüber hinaus bei den Palästinensern ganz fest auch für die Zukunft verankert".

Umgekehrt könnten aber auch die Palästinenser nur in Würde, Sicherheit und Freiheit leben, wenn Israel in Sicherheit lebe, sagte Baerbock.

Benjamin Netanjahu legt sich auch mit den mächtigen USA an. Die Zweistaatenlösung lehnt er abBild: Ohad Zwigenberg/AP/dpa/picture alliance

Während die Palästinensische Autonomiebehörde unter Mahmud Abbas die Zweistaatenlösung befürwortet, lehnt die Hamas sie bisher ebenso ab wie überhaupt eine Anerkennung Israels. Das Massaker vom 7. Oktober mit rund 1200 Toten sei nur ein Vorgeschmack gewesen, so der frühere Hamas-Vorsitzende Chaled Maschaal: An diesem Tag habe sich gezeigt, wie realistisch der "Traum" vom eigenen Staat "vom Fluss bis zum Meer" sei. Gemeint ist, vom Jordan bis zum Mittelmeer, mit anderen Worten, Israel soll als Staat verschwinden.

Wie realistisch ist die Zweistaatenlösung?

Das macht es schwierig für die deutsche Nahostdiplomatie, die großen Wert auf Ausgewogenheit legt. Deutschland unterstützt Israel in seinem Kampf gegen die Hamas im Gaza-Streifen. Außenministerin Baerbock mahnt aber auch Israel, dabei die Zivilisten zu schonen. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums sind bei der Militäraktion schon mehr als 25.000 Menschen getötet worden.

Der Historiker Michael Wolffsohn nannte jetzt im Sender SWR die Zweistaatenlösung eine "Dummheit" und fragt: "Wie man will man denn die Zweistaatenlösung realisieren?" Es sei "im Grunde genommen nur Gefasel, nichts Umsetzbares". Eine Alternative könnte nach Wolffsohn ein Staatenbund zwischen dem Westjordanland, dem Gaza-Streifen und Jordanien sein. Doch kein Staat macht sich derzeit dafür stark.

Zerstörungen im Gaza-Streifen: Israel gerät immer stärker in die KritikBild: Xinhua/IMAGO

Der ägyptische Diplomat Mohammed el-Baradei, früher Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, wirft unterdessen dem Westen Heuchelei vor. Ende Januar schrieb er im "Journal für Internationale Politik und Gesellschaft": "Dieselben Politiker, die jetzt für eine Zweistaatenlösung eintreten, haben stillschweigend zugesehen, wie Israel den größten Teil des für einen palästinensischen Staat vorgesehenen Gebiets (durch Annexion und Siedlungsausbau) an sich gerissen hat. Die Zeit nach der aktuellen Gewalt bietet möglicherweise die letzte Chance auf einen gerechten und dauerhaften Frieden, bevor die gesamte Region in Flammen aufgeht."

Vorwürfe gegen UNRWA

Noch komplizierter wird es für die deutsche Nahostpolitik seit den jüngsten Vorwürfen gegen UNRWA, das UN-Hilfswerk für Palästinensische Flüchtlinge. Um etwas für die leidende Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen zu tun, finanziert Deutschland seit langem großzügig diese Organisation. Doch nach Vorwürfen, auch einige ihrer Mitarbeiter seien an dem Massaker vom 7. Oktober beteiligt gewesen, hat Deutschland neben zahlreichen anderen westlichen Staaten seine Hilfe vorläufig eingestellt. Kritiker sagen, die Bundesregierung habe jahrelang nicht so genau hingeschaut, was mit den Geldern passiert.

Hans-Jakob Schindler bezeichnet die UNRWA als "eine schwierige Organisation", aber auch als "im Grunde die einzige humanitäre Infrastruktur, die im Gaza-Streifen besteht". Ihre Herausforderung sei, "sie müssen halt täglich mit der Hamas im Gaza-Streifen umgehen, und dann ist natürlich klar, dass auch solche Sachen passieren können".

Aber keine andere Organisation habe das Personal, die Mittel und die Erfahrung von UNRWA. "Es gibt eigentlich keine Alternative", meint Schindler. Noch nicht einmal Israel habe bisher erklärt, wer statt der UNRWA die humanitäre Arbeit im Gaza-Streifen machen könne.

Aber auch die deutsche Unterstützung Israels wird immer schwieriger. Südafrika hat Israel sogar vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Völkermords verklagt. Ein endgültiges Urteil steht noch aus, aber der Haager Gerichtshof hat Israel in einer vorläufigen Entscheidung aufgefordert, alles dafür tun, dass es bei seinem Militäreinsatz im Gazastreifen eben nicht zu einem "Völkermord" komme.

Deutschland hat sich in diesem Verfahren als "Drittpartei" ausdrücklich an die Seite Israels gestellt, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit kürzlich erläuterte: "Wir sehen uns aufgrund unserer Vergangenheit, aufgrund des Holocausts, besonders verpflichtet, bei diesem Thema sehr genau hinzuschauen, und wir sind nicht überzeugt, dass die Argumente, die dargelegt worden sind, diesen Vorwurf (des Völkermordes) rechtfertigen", so Hebestreit.

Vernachlässigte Nahostpolitik

Die Fronten verhärten sich, und der Spielraum für die westliche Nahostdiplomatie scheint kleiner zu werden. Druck auf Israel in der Frage einer Zweistaatenlösung kann der Westen kaum ausüben, glaubt jedenfalls der Historiker Michael Wolffsohn, nicht einmal die USA. Denn: "Nahost ist ein ganz, ganz entscheidender geopolitischer, geowirtschaftlicher Baustein für die Vereinigten Staaten von Amerika, ebenso wie für andere Staaten, und der einzig zuverlässige Partner in Nahost für Amerika ist nun einmal Israel", sagte Wolffsohn dem SWR. Auch die EU habe "nur begrenzt Möglichkeiten. Sie braucht Israel erstens im Antiterrorkampf, zweitens in Bezug auf Militärtechnologie."

Speziell die deutsche Nahostpolitik, sagt Hans-Jakob Schindler, spiele schon seit längerem keine wichtige Rolle mehr. Das liege aber nicht an der Unterstützung Israels, sondern daran, dass sich Deutschland als Vermittler "sehr lange viel zu sehr zurückgehalten" habe. Schindler erinnert an Deutschlands Arbeit im Nahostquartett aus den USA, Russland, EU und UN, das jahrelang versucht hat zu vermitteln. "Dieses Quartett hat nie geendet, aber es ist einen langsamen, stillen Tod gestorben", klagt Schindler. "Man hat die Palästinenserfrage einfach geparkt. Alle haben sie geparkt über die letzten paar Jahre."

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