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Politik

Deutschland: neuer Umgang mit Saudi-Arabien?

21. Oktober 2018

Die Bundesregierung hatte sich in den letzten Monaten um ein gutes Verhältnis zu Saudi-Arabien bemüht, nicht zuletzt durch großzügige Genehmigungen von Waffenexporten. Nun steht diese Politik auf dem Prüfstand.

Saudi Arabien Wandbilder Familie Saud
Bild: Getty Images/AFP/F. Nureldine

Zuerst deutete Außenminister Heiko Maas die Kehrtwende an. Solange die Untersuchungen um den Fall Jamal Khashoggi andauerten, gebe es keine Grundlage, auf der positive Entscheidungen für Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien zu treffen seien, so Maas in den ARD-Tagesthemen von Samstag.

Nun also zog die Bundeskanzlerin nach und legte Rüstungsexporte an Saudi-Arabien vorerst auf Eis. Diese könnten "nicht stattfinden in dem Zustand, in dem wir momentan sind", sagte Merkel. Weitere Reaktionen will die Kanzlerin international koordinieren.

Verhältnis zu Riad erst vor kurzem verbessert

Die Erklärungen der Kanzlerin und ihres Außenministers läuten zumindest bis auf weiteres eine Kurswende zum bisherigen Verhalten gegenüber Saudi-Arabien ein. Noch im September dieses Jahres hatte die Bundesregierung die Lieferung von vier Artillerie-Ortungssystemen an Saudi-Arabien genehmigt. Auch hatte sie sich um ein besseres Verhältnis zu dem Königreich bemüht.

Dieses war sich stark abgekühlt, nachdem Maas' Vorgänger Sigmar Gabriel Saudi-Arabien - ohne das Land beim Namen zu nennen - anlässlich der Affäre um den in Riad festgehaltenen libanesischen Premierminister Rafiq al-Hariri "außenpolitisches Abenteurertum" vorgeworfen hatte. Saudi-Arabien hatte daraufhin seinen Botschafter aus Deutschland zurückgerufen. Erst Anfang Oktober, eine Woche nach dem Verschinden Khashoggis, war der Botschafter nach Berlin zurückgekehrt.

Die Korrektur der Korrektur?

Nun also die Korrektur der Korrektur? Geht die Bundesregierung wieder auf Distanz zu Saudi-Arabien? Zumindest deute sich ein "ernsthaftes Nachdenken" darüber an, ob Kronprinz Mohammed bin Salman, der das Königreich faktisch regiert, tatsächlich der Reformer ist, den man bisher in ihm gesehen habe, sagt Thomas Richter, Experte für die Golfstaaten am Hamburger GIGA-Institut. Es sehe aus, dass es sich um einen Herrscher handele, der vor keiner Form von Repression zurückschreckt. "Darum hoffe ich", so Richter, "dass sich ein realistischerer Blick auf Saudi-Arabien und die anstehende Entwicklungen in Saudi-Arabien durchsetzt - realistisch in dem Sinn, dass es sich weiterhin um eine autoritäre, von ganz wenigen Leuten geführte Monarchie handelt."

Prunkvoller Partner: Königspalast in RiadBild: picture-alliance/dpa/A. Burgi

Dass es sich so verhalten könnte, hätte die Bundesregierung bereits vor drei Jahren zur Kenntnis nehmen können. Damals, im Dezember 2015, warnte der Bundesnachrichtendienst (BND) dem Magazin "Der Spiegel" zufolge vor dem neuen starken Mann in Saudi-Arabien. "Die bisherige vorsichtige diplomatische Haltung der älteren Führungsmitglieder der Königsfamilie wird durch eine impulsive Interventionspolitik ersetzt", hieß es in einer Analyse des Dienstes.

Warnung des BND

Der BND warnte damals vor allem vor den außenpolitischen Risiken, die mit der Ernennung des neuen Kronprinzen einhergehen könnten. König Salman und sein Sohn Mohammed wollten sich als "Anführer der arabischen Welt profilieren". Sie versuchten, die außenpolitische Agenda Saudi-Arabiens "mit einer starken militärischen Komponente sowie neuen regionalen Allianzen zu erweitern".

Saudi-Arabien verliere das Vertrauen in seine bisherige Schutzmacht USA, heißt es in der Analyse weiter. Darum strebe das Königreich nun selbst eine neue Rolle als regionale Hegemonialmacht an, und zwar in offener Konkurrenz zu seinem Erzrivalen Iran. Seinen neuen Anspruch dokumentiere Saudi-Arabien auch durch den Krieg im Jemen. Die Machthaber in Riad zögerten nicht,  enorme "militärische, finanzielle und politische Risiken einzugehen, um regionalpolitisch nicht ins Hintertreffen zu geraten", heißt es in dem Papier.

Umstritten: deutsche Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien, hier der Kampfpanzer "Leopard"Bild: picture-alliance/dpa/P. Schulze

Waffenexporte: "Eine wahre Gelddruckmaschine"

Trotz dieser Warnung hatten die derzeitige und die vorhergehende Bundesregierung weiter Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien genehmigt. Allein seit März dieses Jahres hat die Waffenlieferungen im Wert von 254 Millionen Euro bewilligt, wie aus einer Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Anfrage des Grünen-Bundestagsabgeordneten Omid Nouripour hervorgeht.

Der Journalist Markus Bickel, Chefredakteur des Journals der Menschenrechtsorganisation "Amnesty International", hatte Waffenexporte nach Saudi-Arabien bereits 2017 in seinem Buch "Profiteure des Terrors" scharf kritisiert. Das Königreich sei auf vielfache Weise in die Krisen und Konflikte auf der arabischen Halbinsel verstrickt. Diese seien für die globale Rüstungsindustrie eine "wahre Gelddruckmaschine" - und zwar ohne Rücksicht auf die Kosten, die diese Kriege auch in sozialer Hinsicht mit sich brächten: "Die in den Jahren des hohen Ölpreises erzielten Haushaltsüberschüsse gehen so zuungunsten anderer gesellschaftlicher Bereiche verloren, vor allem Gesundheit und Bildung."

Im Gespräch mit der DW kritisierte Bickel, dass sich deutsche Unternehmen um zivile und militärische Projekte zugleich bemühten. Ein solches Geschäftsgebaren sei hoch problematisch, so Bickel: "Zwar wollen sich die Golfstaaten bis 2030 von Waffenimporten weitgehend unabhängig machen. Aber auf den Technologietransfer können sie nicht verzichten. Insofern gehen ziviles und militärisches Wirtschaftsengagement Hand in Hand."

Auch Sebastian Sons, Saudi-Arabien-Experte bei der "Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik" (DGAP), weist auf Widersprüchlichkeit der deutschen Politik gegenüber Saudi-Arabien hin. "Einerseits werden die Politiker in Deutschland und in anderen Ländern nicht müde, die destabilisierende Rolle Saudi-Arabiens in den nahöstlichen Regionalkonflikten zu betonen. Andererseits machen sie sich zum Handlanger der saudischen Strategie, wenn sie Waffenexporte ins Königreich absegnen oder tolerieren", so Sons in seinem Buch "Auf Sand gebaut: Saudi-Arabien - ein problematischer Verbündeter".

Krieg im Jemen. Szene aus SanaaBild: Reuters/K. Abdullah

Ulrich Lechte: "Wir müssen dringend handeln"

Diese Politik könnte sich nun aber ändern. "Wir wollen, dass alle G-7-Länder die (jeweiligen saudischen, d.R.) Botschafter einbestellen, am besten sogar alle G-20-Länder", sagt der FDP-Politiker Ulrich Lechte, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags, im DW-Interview. "Wir können natürlich in einer Region, die ihre Stabilität sucht, nicht mit jedem Krach anfangen. Aber Saudi-Arabien hat viele Grenzen überschritten. Wir müssen dringend handeln."

Ähnlich sieht es auch der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt. Die Regierung werde ihre bisherige Politik zumindest überdenken, deutete er in einem Interview im "Deutschlandfunk" an. "Wir müssen auf jeden Fall unsere wirtschaftlichen Hebel so einsetzen, dass die saudische Regierung tatsächlich auf dem Kurs der Stabilität in der Region bleibt. Ich glaube, dass dafür der Boden schon bereitet ist durch die engen wirtschaftlichen Beziehungen, die Europa und Amerika nach Saudi-Arabien haben."

Gewiss, räumte Hardt ein, es gebe auch in Herrschaftshäusern "ein Stück irrationales Element im Handeln". Damit müsse man umgehen. Allerdings sei es noch zu früh, konkrete Vorschläge im Hinblick auf die Umsetzung zu machen.

Saudische Führung weltweit am Pranger

Der Mord an Jamal Khashoggi sollte nach allem, was man bislang weiß, offenbar vor allem ein innenpolitisches Signal setzen, gerichtet an - auch potentielle - Kritiker des Königshauses. Sie sollten auf diese Weise offenbar eingeschüchtert werden. Doch die Urheber verkalkulierten sich: Die Nachricht von der Tat ging um die Welt, und die saudische Führung steht am Pranger - nicht nur in Deutschland.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika