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Politik

Deutschland nimmt Kurs auf Jamaika

Nina Werkhäuser
24. September 2017

Den Kampf um Platz 3 haben FDP, Grüne und Linke verloren - die rechtspopulistische AfD erzielte aus dem Stand ein besseres Ergebnis. Zwei der drei kleinen Parteien könnten aber mit an die Regierung kommen.

Jamaika Fahne vor Reichstag
Bild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Der Jubel in der Parteizentrale der FDP war riesig: Mit über 10 Prozent der Stimmen haben die Liberalen die Rückkehr in den Bundestag geschafft. 2013 waren sie nach 64 Jahren ununterbrochener Parlamentszugehörigkeit aus dem Bundestag geflogen - ein Tiefpunkt in der Parteigeschichte. Die FDP aus diesem Tal heraus geführt hat der 38-jährige Parteichef Christian Lindner, auf den die Wahlkampagne der FDP voll und ganz zugeschnitten war. "Ab jetzt gibt es wieder eine Fraktion der Freiheit in Deutschland", rief Lindner unter dem tosenden Beifall der Parteimitglieder.

Ziel erreicht: FDP-Chef LindnerBild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

 

Künftig nicht mehr "außerparlamentarische Opposition"

Die Menschen hätten die FDP aus dem Wunsch heraus gewählt, dass sich in Deutschland etwas verändere, sagte Lindner. Der FDP-Chef machte Union, SPD, Grüne und Linke für den Aufstieg der rechtspopulistischen AfD mit verantwortlich, weil in der vergangenen Legislaturperiode "die politische Mitte verwaist" gewesen sei. "Wir werden diese Lücke im Parlament schließen und wir werden unseren Platz in der Mitte wieder einnehmen", kündigte Lindner an. Die FDP sei "der klarste Gegenpol zur AfD". Über die Option, in einer Jamaika-Koalition mitzuregieren, sagte Lindner in der "Elefantenrunde" der Spitzenkandidaten bei ARD und ZDF: "Wir sind nicht zum Regieren verdammt, aber wir sind natürlich bereit, Verantwortung zu übernehmen." 

Grüne verbessern sich etwas gegenüber 2013

Ihr Ziel, drittstärkste Kraft im Bundestag zu werden, haben die Grünen zwar klar verfehlt. Doch auch sie jubelten, als auf ihrer Wahlparty in Berlin-Neukölln das Ergebnis verkündet wurde - mit 8,9 Prozent erzielten sie ein etwas besseres Ergebnis als bei der letzten Wahl und auch mehr, als viele Umfragen prognostiziert hatten. Die große Erleichterung darüber, dass der befürchtete Absturz ausgeblieben war, war auch den beiden Spitzenkandidaten anzusehen, Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt. Vor der Wahl hatten sie den Anspruch ihrer Partei formuliert, im Bund wieder mitzuregieren.

Erleichterung und Freude: Die Spitzenkandidaten der Grünen, Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir Bild: Reuters/S. Loos

Nun rückt dieser Wunsch in greifbare Nähe: Nachdem die SPD eine Neuauflage der Großen Koalition ausgeschlossen hat, ist ein Jamaika-Bündnis aus CDU/CSU, FDP und Grünen wahrscheinlichste Option. Parteichef Cem Özdemir nannte drei Voraussetzungen für eine solche Koalition: Erstens "klare Vorfahrt für den Klimaschutz", zweitens brauche "Gerechtigkeit eine Stimme in der Regierung" und drittens müsse gegen Rassismus gekämpft werden. Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt sprach der Parteibasis aus der Seele, als sie sagte: "Das werden schwierige Gespräche, wir sind keine einfachen Partner."

Skepsis gegenüber Jamaika

Die in Berlin versammelte Parteibasis schien sich für die Aussicht auf ein Jamaika-Bündnis aber nicht zu erwärmen, obwohl die Grünen seit dem Sommer in Schleswig-Holstein an einer solchen Koalition beteiligt sind. Die programmatischen Unterschiede zu den anderen Parteien sind teilweise riesig, unter anderem in der Klima- und der Flüchtlingspolitik. Auf den Einzug der AfD in den Bundestag reagierten die Grünen geschockt. "Nazis und Rassisten werden im Deutschen Bundestag sitzen", sagte Göring-Eckardt. "Das wird dieses Land verändern", ergänzte Özdemir. Die demokratischen Parteien müssten jetzt zusammenrücken. Keine andere Partei wird von der AfD und ihren Anhängern so geschmäht wie die Grünen - und die Abneigung ist gegenseitig.

Linke nicht mehr Oppositionsführer

Die Linke freute sich ebenfalls über ihr Wahlergebnis, wenn auch verhalten. Die Hoffnung auf ein rot-rot-grünes Bündnis musste die Partei schon lange vor dem Wahltag begraben, vor allem wegen der schlechten SPD-Umfragewerte. Letzte Hoffnung war, Platz drei im Partei-Ranking verteidigen zu können. Aber auch daraus wurde nichts.

Die Linke verliert die Rolle der stärksten Oppositionspartei an die AfD - hier Spitzenkandidatin Sahra WagenknechtBild: picture-alliance/dpa/J. Woitas

Die Linke habe zugelegt, dass sei ein "Signal", betonte Spitzenkandidat Dietmar Bartsch. Er räumte aber auch ein, Protestwähler nicht erreicht zu haben. Die Menschen hätten ihr Ventil gesucht - "aber nicht bei der Linken". Eine Anspielung auf den AfD-Erfolg. Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht, die sich mit Bartsch auch den Fraktionsvorsitz im Bundestag teilte, freute sich zwar über das Ergebnis, sagte aber auch: "Uns allen liegt etwas im Magen" - das Ergebnis der AfD. Es sei die Folge einer Politik der Großen Koalition, von der sich viele Menschen "komplett im Stich" gelassen gefühlt hätten. "Hoffentlich kommt bei der SPD der Warnschuss an." Sie fände es "super", wenn sie in die Opposition ginge und sich regeneriere.

Soziale Themen nach vorne gestellt

Dietmar Bartsch sieht die Linke zwar weiterhin als Protestpartei gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse, sie sei "aber selbstverständlich auch Gestaltungspartei". Er verwies auf die drei Landesregierungen, an denen die Linke beteiligt ist. Neben Berlin und  Brandenburg ist das Thüringen, wo seit 2014 mit Bodo Ramelow der erste linke Ministerpräsident amtiert.

Parteichefin Katja Kipping fühlt sich durch das Ergebnis für die Linke bestätigt. Man habe Themen angesprochen, die in den Talkshows höchstens am Rande eine Rolle gespielt hätten: Mangel an bezahlbaren Wohnraum, Altersarmut, Pflegenotstand. "Wir haben diese Themen stark gemacht." Vor der Linken stehe eine wichtige Aufgabe: Es brauche einen gesellschaftlichen Schub. Man werde sich jedenfalls nicht damit abfinden, "dass Nazis wieder stark werden".

 

Nina Werkhäuser Reporterin
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