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NRW-Kommunalwahl als Stimmungstest für die Bundesregierung

13. September 2025

Vor allem die Sozialdemokraten müssen bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen am 14. September mit einem weiteren Abstieg in ihrem früheren Stammland rechnen, während die AfD nach Umfragen zulegen dürfte.

Große Wahlplakate verschiedener Parteien nebeneinander an einer Straße
Die meisten Parteien setzen im Kommunalwahlkampf vor allem auf PersonenBild: Revierfoto/dpa/picture alliance

Es ist zwar 'nur' eine Kommunalwahl. Aber sie ist die erste Wahl in Deutschland seit dem Amtsantritt der Bundesregierung aus den konservativen Unionsparteien CDU und CSU und den Sozialdemokraten (SPD) im Mai. "Das ist gewissermaßen der Lackmustest für die Bundesregierung", sagt Oliver Lembcke, Politikwissenschaftler an der Universität Bochum im Ruhrgebiet, der DW.

Bedeutsam ist die Wahl auch, weil Nordrhein-Westfalen (NRW) im Westen Deutschlands mit seinen rund 18 Millionen Einwohnern das bevölkerungsstärkste Bundesland ist. Und es ist wegen seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vielfalt auch wie Deutschland im kleinen: Es hat sowohl große Städte wie Köln, Düsseldorf und Dortmund als auch ländliche Gebiete, sowohl Industrie und Dienstleistungen als auch Landwirtschaft. Der Strukturwandel im Ruhrgebiet weg von Kohle und Stahl und hin zu Dienstleistungen steht ebenfalls für eine Entwicklung wie in vielen Teilen des Landes. Und etwa jeder vierte Einwohner hat einen Migrationshintergrund, ähnlich wie in ganz Deutschland.

Viele der alten Industrieanlagen im Ruhegebiet sind längst Denkmäler wie diese früheren Hochöfen in DuisburgBild: Caroline Seidel/dpa/picture alliance

Dazu kommt, dass Nordrhein-Westfalen und speziell das Ruhrgebiet immer als "Herzkammer der Sozialdemokratie" galt und dass auch Bundeskanzler Friedrich Merz von der CDU aus Nordrhein-Westfalen stammt. Beide Parteien warten daher gespannt darauf, wie sie jeweils abschneiden werden.

Gefühl, dass sich die Politik nicht kümmert

Gewählt werden am 14. September Stadt- und Gemeinderäte, Kreistage und direkt die Bürgermeister und Landräte. Dabei spielen bei Kommunalwahlen oft Personen eine wichtigere Rolle als Parteien: Die Kommunalvertreter sind vor Ort, haben mit konkreten örtlichen Fragen zu tun, etwa zu Schulen, öffentlichem Nahverkehr und lokaler Wirtschaft. Daher wählen Menschen bei Kommunalwahlen mitunter parteipolitisch anders als bei Bundestagswahlen, wo es um die "große" Politik geht.

Doch klar ist schon jetzt: Viele Menschen in NRW sind unzufrieden mit dem Zustand ihrer Kommunen, vor allem mit der Infrastruktur, sagt Oliver Lembcke: "Straßen, Brücken, Nahverkehr, Schulen, das macht Menschen ganz schön schnell unzufrieden, vor allem, wenn sie dann das Gefühl haben, dass sich die Politik nicht darum kümmert."

Durch die jahrelange Sperrung einer Autobahnbrücke wegen Baufälligkeit quält sich der Verkehr durch die Kleinstadt LüdenscheidBild: Rüdiger Wölk/IMAGO

Aber es gehe nicht nur um kommunale Probleme, räumt Lembcke ein: "Wir sehen es auch im Wahlkampf, dass Themen, die bundespolitische Bedeutung haben, im Wahlkampf auch eine Rolle spielen, Stichwort Migration, Überforderung der Migration, Integrationsfolgen der Migration." Einige dieser Probleme könnten kommunalpolitisch überhaupt nicht gelöst werden, aber "sie spielen trotzdem eine Rolle".

AfD-Bürgermeister trotz Stimmengewinnen unwahrscheinlich

Geht es nach den Umfragen, müssen vor allem die Sozialdemokraten mit starken Einbußen rechnen, insbesondere in den Brennpunktstädten im Ruhrgebiet wie Gelsenkirchen oder Duisburg, während die in Teilen rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) dort stärker werden dürfte. Dabei waren gerade diese Kommunen traditionell Hochburgen der SPD. Bei der letzten Kommunalwahl vor fünf Jahren bekam die AfD nur rund 5 Prozent, diesmal sagen die Demoskopen der Partei eine Verdreifachung voraus. Die in Teilen rechtsextreme Partei würde damit zwar noch nicht die Spitzenwerte von teils über 30 Prozent bekommen, die sie im Osten Deutschlands auch bei Landtagswahlen inzwischen einfährt, aber im Westen stark aufholen.

Die AfD setzt viel auf nationale Themen wie Migration, auch wenn Kommunalpolitik oft nicht zuständig istBild: Rene Traut/Rene Traut Fotografie/picture alliance

Der stellvertretende Bundeskanzler Lars Klingbeil von der sozialdemokratischen SPD mahnte im Wahlkampf seine Parteifreunde: "Wir müssen uns um die Sorgen der Menschen kümmern." Viele Beschäftigte in der Stahl- ,Chemie- oder Automobilindustrie fürchteten um ihren Arbeitsplatz. 

Der Politikwissenschaftler Oliver Lembcke meint, die AfD verknüpfe Wohnungsmangel, hohe Mieten oder schlechte Schulen mit Migration: "Diese Verknüpfung, davon lebt die AfD, das ist ihr Gewinnerthema, und die SPD verliert hier am meisten, weil sie diese Verknüpfung, in vielerlei Weise auch zurecht so streng gar nicht sieht, sich dagegen auch wehrt, oftmals aber die Themen eher beschwiegen hat als angegangen ist."

Die SPD-Bundesvorsitzende Bärbel Bas kommt aus Duisburg, aber sie hat es nicht immer so leicht wie hier, bei den Menschen im Ruhegebiet anzukommenBild: Henning Kaiser/dpa/picture alliance

Trotzdem dürfte es nach der Kommunalwahl keine AfD-Bürgermeister geben, glaubt Lembcke: "Bei den Personalwahlen (wo Kandidaten direkt gewählt werden) wird es zu den Abwehrallianzen kommen, weil sich die anderen Parteien auf den aussichtsreichsten Gegenkandidaten/Gegenkandidatin einigen, sich dahinter versammeln und damit verhindern, dass Rathäuser blau (die AfD-Parteifarbe) werden. Aber Kreistage und in den Gemeinden selber, da werden wir einen Zuwachs erleben."

Große Unzufriedenheit mit der Bundesregierung

Die schlechte Stimmung in NRW fällt mit den Ergebnissen des jüngsten ARD-Deutschlandtrends vom 3. September für ganz Deutschland zusammen. Und diese Zahlen dürften die Berliner Regierungsparteien CDU/CSU und SPD ebenfalls beunruhigen.

Danach zeigen sich nur noch 22 Prozent mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden. Besonders brisant für die Bundesregierung: In verschiedenen Bereichen, etwa Wirtschaft, Außenpolitik oder Steuer- und Finanzpolitik wird der rechtspopulistischen AfD inzwischen deutlich mehr Kompetenz bei der Lösung der Probleme zugetraut als früher. In der Flüchtlings- und Asylpolitik trauen die Befragten der AfD zum ersten Mal sogar die höchste Kompetenz zu, noch vor der CDU/CSU.

Dabei hatte Friedrich Merz im Frühsommer noch zuversichtlich verkündet, jetzt komme die wirtschaftliche Wende. Doch die Wirtschaft kommt seit fast drei Jahren aus der Rezession nicht heraus, während die Arbeitslosigkeit jetzt erstmals seit zehn Jahren auf über drei Millionen gestiegen ist.

Die Konflikte in der Koalition könnten zunehmen

Starke AfD-Ergebnisse in NRW könnten Druck auf die Berliner Regierungskoalition ausüben, vor allem in Fragen zu Migration, innerer Sicherheit und sozialen Themen. Sie wären auch ein Hinweis auf eine politische Polarisierung in Westdeutschland, die es bisher vor allem in den ostdeutschen Bundesländern gab, wo die AfD deutlich stärker ist als im Westen.

CDU-Bundeskanzler Friedrich Merz (r.) und SPD-Vizekanzler Lars Klingbeil haben nach den jüngsten Umfragen eigentlich nichts zu lachenBild: John Macdougall/AFP

Bundeskanzler Friedrich Merz will sich offenbar von vornherein gegen mögliche schlechte Ergebnisse in NRW absichern. "Kommunalwahlen sind Kommunalwahlen", sagte er kürzlich bei einem Besuch in dem Bundesland, auch wenn es natürlich "einen gewissen Blick auf die Landespolitik und auf die Bundespolitik" gebe. Nach den Umfragen in NRW muss sich seine CDU weniger Sorgen machen. Sie dürfte stärkste kommunale Partei bleiben, was aber auch am beliebten nordrhein-westfälischen CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst liegt, der in NRW zusammen mit den Grünen regiert.

Doch wenn es so kommt wie vorausgesagt - weitere starke Verluste der SPD und ein Zuwachs für die AfD -, dann würde das die Zusammenarbeit zwischen Union und SPD in Berlin noch schwieriger machen als ohnehin schon. Ausgerechnet jetzt, wo beide Partner nach den jüngsten Konflikten um die Sozialpolitik gesagt haben, sie würden sich zusammenraufen.

Oliver Lembcke findet unterdessen, die umfangreichen, kreditfinanzierten Investitionen, die der Bund angekündigt hat, sollten im Wahlkampf eine viel stärkere Rolle spielen: "Das Geld ist ja da, und es sollte auch vor Ort ankommen. Wo sind eigentlich die vielen Bürgerbewegten, die sagen: 'Großartig, jetzt machen wir damit mal Wahlkampf!'"

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