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Grenze Polen-Deutschland: Zwischen Kontrollen und Bürgerwehr

Monika Stefanek (aus Slubice)
Veröffentlicht 8. Juli 2025Zuletzt aktualisiert 15. Juli 2025

Jahrelang haben Menschen in der deutsch-polnischen Grenzregion ihr Leben grenzüberschreitend aufgebaut. Nun müssen sie sich daran gewöhnen, dass die Grenze wegen der eingeführten Kontrollen sie wieder mehr trennt.

Das Bild zeigt Grenzkontrollen am Grenzübergang in Slubice, Polen, zu Deutschland. Polnische Grenzschützer kontrollieren einen schwarzen Mercedesbus. Im Hintergrund sind Flaggen der EU sowie ein Transparent mit der Aufschrift "Stop Imigracji" zu sehen
Seit Montag, 7. Juli 2025, kontrolliert Polen die Grenze zu Deutschland. Wie hier in Slubice werden ausgewählte Autos, Busse sowie Kleinbusse und Fußgänger angehaltenBild: Monika Stefanek/DW

Die Grenzbrücke zwischen Frankfurt an der Oder und der polnischen Stadt Slubice sieht in diesen Tagen einigermaßen bizarr aus. Auf beiden Seiten des Oderübergangs reihen sich die blauen Flaggen der Europäischen Union. Diejenigen, die von der deutschen Seite kommen, werden von einem Werbeschild begrüßt: "Frankfurt Oder - Slubice. Ohne Grenzen. Bez Granic".

Doch der Slogan, mit dem die beiden Städte jahrelang gemeinsam für sich geworben haben, hat seine Aktualität verloren. Auf der deutschen Seite wird der Grenzverkehr bereits seit Oktober 2023 stichprobenhaft kontrolliert. Am Montag, 7. Juli 2025, führte auch Polen Kontrollen ein.

Antwort auf die deutsche Migrationspolitik

Insgesamt werden von Polen 52 Grenzübergänge nach Deutschland und 13 nach Litauen kontrolliert. Die polnischen Grenzkontrollen, eingeführt von Ministerpräsident Donald Tusk, sind als Reaktion auf die verschärfte Migrationspolitik der Bundesregierung zu sehen. Auf Anweisung des Bundesinnenministers Alexander Dobrindt (CSU) darf die deutsche Bundespolizei seit Mai auch Asylsuchende an der deutschen Grenze abweisen. Ein Vorgehen, das juristisch umstritten und in Polen zum Reizthema geworden ist.

Bundesinnenminister Dobrindt beim Besuch einer Grenzkontrollstelle im Mai 2025Bild: Peter Kneffel/dpa/picture alliance

Wie sehr das Thema Migration die Gemüter erhitzt, zeigt sich auch im Grenzgebiet. Einige Menschen kommen am ersten Tag der Kontrollen am Montag an die Brücke, um zu sehen, was los ist.

Sorgen vor Auswirkungen auf den Alltag

"Das Ganze hier ist nur eine politische Show, eine Manipulation. Wir fühlen uns von Migranten, die angeblich aus Deutschland zurückgeschickt werden, nicht bedroht", sagt Arkadiusz aus Polen, der mit seiner Frau Urlaub in der Region macht und an die Grenze gefahren ist, um sich die Situation anzuschauen. "Es wird nur schwieriger für die Einwohner der Grenzregion werden", fügt seine Frau Dorota hinzu.

Wandbild zur deutsch-polnischen Freundschaft an der GrenzeBild: Monika Stefanek/DW

Die Sorge teilt auch die 17-jährige Schülerin Lilith aus Frankfurt an der Oder. Sie war gerade zu Besuch bei einer Freundin auf der polnischen Seite. Einerseits findet sie die Grenzkontrollen nicht schlecht. Seitdem Deutschland die Kontrollen eingeführt hat, wurde sie selbst nicht oft angehalten. Andererseits leiden ihre polnischen Mitschüler unter den Folgen: "Wegen häufiger Staus durch die deutschen Grenzkontrollen kommen sie oft viel zu spät zur Schule", erzählt die junge Frau. Jetzt, wo auch Polen an der Grenze kontrolliere, könne es noch schlimmer werden, befürchtet sie.

Bürgerwehr "kontrolliert" die Grenze

Die deutsch-polnische Grenze wird allerdings nicht nur von Grenzschützern überwacht. In Slubice - wie auch an vielen anderen Grenzübergängen - tauchen seit Ende Juni selbsternannte "Bürgerpatrouillen" auf. Die Zahl der Mitglieder der "Bewegung zur Verteidigung der Grenze", die die Grenze "bewachen", ist in Slubice zwar nicht so hoch wie anderswo. Aber auch hier finden sich jeden Tag einige Leute in neonfarbenen Warnwesten ein.

Am Montagmorgen ist lange niemand von der Bürgerwehr auf der Brücke. Nur ihre Transparente hängen am Metallgeländer: "No Immigration", steht auf einem, und: "Stop imigracji".

Erst gegen Mittag tauchen zwei Männer auf, dann wächst die Gruppe auf fünf Personen an. Sie stehen zusammen und filmen mit ihren Handys die Beamten bei den Kontrollen. Grenzschutz und polnische Polizei, die vor Ort ebenfalls anwesend ist, reagieren nicht auf sie.

Mitglieder der selbsternannten Bürgerwehr "Bewegung zur Verteidigung der Grenze" stehen in Slubice an der Grenze zu Deutschland und beobachten die Arbeit der polnischen GrenzbeamtenBild: Monika Stefanek/DW

Die selbsternannten "Grenzschützer" sind kurz angebunden und misstrauisch gegenüber allem, was sie als deutsch wahrnehmen. Einer, der aus Slubice stammt, antwortet auf Fragen, die ihm in polnischer Sprache gestellt werden, stets auf Deutsch. "Ihr seid doch von den deutschen Medien", wirft er dem DW-Team vor. Offiziell will er keinen Kommentar abgeben.

Verschwörungserzählungen zu "heimlich zurückgeschickten Migranten"

Mehr zu sagen hat Tomasz, der ebenfalls aus Slubice kommt, und eine Baseballkappe mit der Aufschrift "Trump 2024. Take America back" trägt. Er selbst nimmt nicht an den Patrouillen teil, hält sie aber für richtig: "Diese Kontrollen gibt es nur, weil die 'Bewegung zur Verteidigung der Grenze' die polnische Regierung dazu gezwungen hat, sie durchzuführen", sagt er. Seiner Meinung nach sollten aber eher die Wälder des Grenzgebiets kontrolliert werden. Das würde mehr Sinn machen, meint er. Denn auch wenn es dafür keinerlei Beweise gibt, ist Tomasz fest überzeugt: Migranten werden dort heimlich von der Bundespolizei nach Polen zurückgeschickt.

Nächster Schlag für den Schengenraum

Im Laufe des Tages erscheinen an der Grenze auch diejenigen, die sich wünschen, dass beide Staaten auf die Kontrollen verzichten. Drei Männer vom Netzwerk "Frankfurt bleibt bunt" haben Transparente mitgebracht. Auf einem davon haben sie auf Deutsch die Worte von Papst Franziskus geschrieben: "Die Zukunft liegt nicht in der Abschottung", auf dem anderen: "Die Doppelstadt bleibt solidarisch".

Unterstützer des Netzwerks "Frankfurt bleibt bunt" protestieren mit selbstgebastelten Plakaten gegen die Kontrollen auf beiden Seiten der GrenzeBild: Monika Stefanek/DW

Einer der Deutschen, Jan Augustyniak, befürchtet, dass die Reisefreizügigkeit zwischen Polen und Deutschland, die beide Länder seit Dezember 2007 durch Polens Beitritt zum Schengenraum verbindet, immer mehr eingeschränkt wird. "Als im Oktober 2023 Deutschland die Kontrollen eingeführt hat, sollten sie nur drei Monate gelten. Jetzt haben wir Juli 2025 und Kontrollen auf beiden Seiten der Grenze", sagt er. Durch den Alleingang von immer mehr Ländern, die immer mehr Ausnahmegenehmigungen beantragen, werde das Schengener Abkommen irgendwann nutzlos, glaubt der Frankfurter.

Modellregion der EU-Integration

Dabei galten Frankfurt und Slubice lange als Vorbild der europäischen Integration. Die Zahl der Verflechtungen und gemeinsamen Projekte, die innerhalb der vergangenen 30 Jahre entstanden sind, lässt sich nur schwer beziffern. Es gibt ein gemeinsames Fernwärmenetz für die beiden Städte, Kinder und Jugendliche, die Deutsch und Polnisch von der Kita bis zum Abitur lernen, tausende polnische Pendler, die auf der deutschen Seite arbeiten, und Deutsche, die nach Polen zum Einkaufen fahren oder Hilfe beim polnischen Zahnarzt suchen. Und dann gibt es da noch den ganz normalen Grenzgebiet-Alltag: tanken oder Zigaretten holen im Nachbarland, mal eben über die Grenze, um ins Restaurant zu gehen oder Freunde zu besuchen - lange Zeit ganz selbstverständlich.

Die Oder markiert die Grenze zwischen den Nachbarstädten Slubice und Frankfurt - und Polen und DeutschlandBild: DW

"Die Kontrollen, die es auf der deutschen Seite bereits länger gibt, wirken sich auf uns negativ aus. Sowohl menschlich als auch wirtschaftlich und verkehrstechnisch machen sie uns das Leben schwer", sagt Marzena Slodownik, Bürgermeisterin von Slubice, im Gespräch mit der DW. Sie kritisiert, dass niemand von den Entscheidungsträgern in Berlin und Warschau wisse, wie es sei, vor Ort zu leben. "Die von oben eingeführten Vorschriften beeinflussen unser Leben enorm. Das wird sich zwangsläufig in unseren gegenseitigen Beziehungen niederschlagen", sagt Slodownik. Sie wünsche sich eine andere Lösung beim Umgang mit Migration, die auch den besonderen Alltag im Grenzgebiet berücksichtige.

Erste abgewiesene Personen

Die polnischen Kontrollen am ersten Tag verlaufen ohne nennenswerte Zwischenfälle, nur ab und zu kommt es zu Staus. Die polnischen Grenzbeamten kontrollieren neben dem grenzüberschreitenden Bus, der zwischen den beiden Städten verkehrt, stichprobenartig vor allem größere Transporter und Autos mit getönten Scheiben. Auch einige Fußgänger werden aufgefordert, ihre Dokumente vorzuzeigen. Oft wirkt es, als sei das äußere Erscheinungsbild ausschlaggebend dafür, wer passieren darf und wer noch einmal genauer kontrolliert wird. Vor allem migrantisch gelesene Menschen, so scheint es, werden angehalten.

Die polnische Grenzpolizei überprüft zwei tschetschenische Frauen, die in Polen einkaufen wollen. Sie werden später abgewiesenBild: Monika Stefanek/DW

Mehrere Stunden lang finden die polnischen Grenzschützer niemanden, der nicht nach Polen einreisen darf. Schließlich weisen sie zwei tschetschenische Frauen zurück. Sie wollten, wie schon häufig, in Slubice einkaufen, erklären sie später der DW.

Die Frauen zeigen den Beamten ihre Dokumente mit Foto - eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland. Aber um nach Polen zu kommen, müssen sie noch ihre Pässe vorzeigen. Und die haben sie zu Hause gelassen. "Ich wollte nur Tomaten kaufen", sagt eine der Frauen achselzuckend und geht zurück über die Brücke nach Frankfurt.

An Polens Grenze zu Litauen seien in der ersten Woche mittlerweile 40.000 Personen und 19.500 Fahrzeuge kontrolliert worden, sagte ein Sprecher der polnischen Grenzschutzbehörde. Bei den neuen Kontrollen an der Grenze mit Deutschland sei in diesem Zeitraum insgesamt 24 Personen die Einreise verweigert worden.

Speditionen leiden unter Grenzkontrollen

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Monika Stefanek Autorin DW Polnisch
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