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Deutschland rückt nach rechts

9. Oktober 2023

Nach den Wahlschlappen für die Regierungsparteien bei zwei Landtagswahlen stehen Bundeskanzler Scholz und sein Mitte-links-Bündnis unter Druck. Vor allem in der Asylpolitik zeichnen sich Verschärfungen ab.

Alice Weidel von AfD winkt und lacht
Co-Vorsitzende der "Alternative für Deutschland", Alice Weidel Bild: WOLFGANG RATTAY/REUTERS

Die Drei-Parteien-Regierungskoalition von Bundeskanzler Olaf Scholz verzeichnete bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen ausschließlich Verluste. Besonders bitter waren sie für Scholz und seine Sozialdemokraten: In beiden Bundesländern ist es das schlechteste Ergebnis bei Landtagswahlen in der Geschichte der Bundesrepublik. Und der liberale Regierungspartner FDP schaffte es in Bayern nicht einmal mehr in das Landesparlament.

Gleichzeitig triumphiert die in Teilen rechtsextreme Partei Alternative für Deutschland (AfD). Die vom Inlandsgeheimdienst als verfassungsfeindlicher Verdachtsfall eingestufte Partei erzielte bei beiden Wahlen Rekordergebnisse. In Bayern wurde sie mit 14,6 Prozent Stimmenanteil drittstärkste politische Kraft, in Hessen mit 18,4 Prozent sogar zweistärkste.

Rechtsverschiebung in Deutschland

Insgesamt haben die Wahlen keine unmittelbaren Auswirkungen auf die politischen Kräfteverhältnisse in Deutschland, da sowohl in Bayern als auch auch in Hessen die bestehenden Regierungsbündnisse unter konservativer Führung weiterregieren können. "In Deutschland dominiert nach wie vor die politische Mitte", analysiert der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte den Ausgang der Wahl für das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF). "Dahinter sehen wir aber, dass es eine Rechtsverschiebung nicht nur im öffentlichen Diskurs gibt, sondern jetzt auch bei Wahlen", so Korte.

Die Asylzahlen in Deutschland sind im Jahr 2023 wieder angestiegen. Fast die Hälfte der Antragsteller kommt aus Syrien und Afghanistan.Bild: Patrick Pleul/ZB/dpa/picture alliance

Die AfD hat im Wahlkampf vor allem auf die Themen Asyl und Migration gesetzt. Die Partei fordert die millionenfache Abschiebung von Asylbewerbern aus Deutschland und Europa. Und sie schürt seit Jahren Ängste vor Muslimen und Einwanderern - vor allem, wenn sie aus Afrika, Afghanistan oder dem Nahen Osten kommen. Einwanderung nach Deutschland will die AfD radikal begrenzen. Das scheint bei vielen deutschen Wählerinnen und Wählern derzeit anzukommen: nach aktuellen Zahlen des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap konnte die AfD mit ihrer Kampagne aus allen politischen Lagern Wähler für sich gewinnen. Unter den Jungwählern wurde sie zweitstärkste Kraft. Infratest dimap analysiert, dass die AfD zunehmend aus Überzeugung gewählt werde und immer weniger aus Protest.

AfD fordert Massenabschiebungen

In einer aktuellen Pressekonferenz der AfD zu den Wahlergebnissen, kritisierte die Co-Vorsitzende der AfD, Alice Weidel, dass in Deutschland "ungebremst" Menschen aus dem Irak, Syrien und anderen Ländern ins Land gelassen werden. Weidel forderte: "Es muss einen sofortigen Zuzugstopp von Menschen aus diesen Staaten geben." Allerdings verschwieg sie dabei, dass der überwältigende Anteil der Asylbewerber aus Ländern wie Syrien kommt, somit einen rechtlichen Anspruch auf Asyl hat und daher auch rechtmäßig im Land ist.

Das Thema Asyl beherrscht die politischen Debatten in Deutschland seit Monaten. Forderungen nach verstärkten Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern werden lauter. Zuletzt waren die Asylbewerberzahlen wieder angestiegen. Bis einschließlich September wurden in Deutschland im Jahr 2023 über 250.000 Asylanträge gestellt - das sind mehr als im Vorjahr insgesamt, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mitteilte. Die Mehrheit der Asylbewerber hat dabei nach Angaben der Behörde auch einen rechtlichen Anspruch auf Schutz und damit ein Bleiberecht. In der Asyl-Debatte mehren sich Stimmen für eine Begrenzung der Zahlen, ohne das genau absehbar ist, wie das geschehen soll.

Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD. Seit Monaten ringt die Dreier-Koalition der Bundesregierung um Gemeinsamkeiten. Bild: Kay Nietfeld/picture alliance/dpa

Vor allem die konservativen Christdemokraten und Christsozialen haben die Themen Asyl und Migration aufgegriffen. Am Tag nach den Wahlen in Bayern und Hessen forderten sie Bundeskanzler Scholz in der Migrationspolitik zum Handeln auf. "Wir sehen doch, dass es gekippt ist in Deutschland", sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann mit Blick auf die hohen Flüchtlingszahlen im ARD Morgenmagazin.

Schulen und Kitas hätten nicht genug Personal, um Kinder zu betreuen, die gesellschaftliche Belastung zeige sich auch im Gesundheitssystem. Das sei durch Geflüchtete besonders belastet. Nach Einschätzung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, stimmt die Behauptung so aber nicht. "Grund dafür sind jedoch nicht abgelehnte Asylbewerber, sondern ein chronisch unterfinanziertes Gesundheitssystem", so der Vorstandsvorsitzende Andreas Gassen im ZDF Interview. 

Asylrecht als historische Verantwortung

Die Diskussionen über Asyl und Migration dürften sich bald im Regierungshandeln niederschlagen. Die Parteivorsitzende der regierenden Sozialdemokraten, Saskia Esken versprach beim Thema Migration schnelle Entscheidungen: "Kanzler Olaf Scholz hat sowohl Ländern, Kommunen als auch der Union die Hand für eine Zusammenarbeit ausgestreckt", sagte Esken nach der Sitzung des Parteipräsidiums.

Gleichzeitig warnen zahlreiche Initiativen und Verbände vor einer Aushöhlung des deutschen Asylrechts. Ein Bündnis aus 270 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern appelliert dabei an die historische Verantwortung Deutschlands. In einer Erklärung heißt es: "Im Zweiten Weltkrieg hat die nationalsozialistische Gewalt zur Verfolgung, Vertreibung und Ermordung von Millionen von Menschen geführt. Versuche, in der internationalen Staatengemeinschaft eine Einigung zur Aufnahme von jüdischen und anderen Flüchtlingen zu erzielen, scheiterten; im Angesichts des Todes standen daher viele vor verschlossenen Türen."

Statt Ängste vor Einwanderern und Geflüchteten zu schüren, solle die Politik eine "sachorientierte, empiriebasierte und konstruktive" Debatte führen.

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