Deutschland soll sparen - wirklich?
31. Januar 2024Mit zwei Monaten Verspätung hat der Deutsche Bundestag den Bundeshaushalt für das bereits begonnene Jahr auf den Weg gebracht. Die Verzögerung hat die Regierung zu verantworten. SPD, Grüne und FDP waren sich bis zuletzt uneins, ob und wie 2024 gespart werden kann.
Rund 477 Milliarden Euro soll der Staat ausgeben dürfen, 39 Milliarden Euro davon sollen kreditfinanziert werden. Das ist das Maximum, das die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse erlaubt, die Kredite an die Wirtschaftsleistung des Landes koppelt.
Zweieinhalb Billionen Euro Schulden
Bevor die Schuldenbremse eingeführt wurde, war es üblich, dass Regierungen hohe Kredite aufnahmen, wenn die Staatseinnahmen nicht ausreichten. So türmte sich über Jahrzehnte ein Schuldenberg auf, der inzwischen rund 2500 Milliarden Euro umfasst. Mehrere hundert Milliarden Euro kamen während der Corona-Pandemie hinzu und nachdem Russland die Ukraine überfiel. Die Schuldenbremse war wegen der Notlagen so lange ausgesetzt.
Für die Schulden müssen Zinsen gezahlt werden. 2024 sind es allein 36 Milliarden Euro. Es sei daher ein "Gebot der Vernunft", die Schuldenbremse wieder einzuhalten, sagte Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner im Bundestag. Die Koalitionspartner SPD und Grüne würden hingegen gerne mehr Kredite aufnehmen, um damit das Land zu modernisieren. Die Schuldenbremse sei eine "Zukunftsbremse" ist aus beiden Parteien immer wieder zu hören.
Kredite für Investitionen?
SPD und Grüne drängen darauf, die Schuldenbremse zu reformieren. Um die Vorschriften im Grundgesetz zu ändern, ist aber eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag nötig. Die gibt es derzeit nicht. Auch die größte Oppositionsfraktion, die CDU und CSU bilden, winkt ab. Eine Zustimmung zu "einer Aufweichung der Schuldenbremse" schließe er aus, sagte der Unionsfraktionsvorsitzende und CDU-Chef Friedrich Merz im Bundestag. "Damit können Sie nicht rechnen."
Dabei sehen inzwischen auch manche Volkswirte die Schuldenbremse kritisch. Sie erschwere wichtige Investitionen in Klimaschutz und Infrastruktur und müsse gelockert werden, fordert der Sachverständigenrat Wirtschaft, der die Bundesregierung berät. Auch vom Internationalen Währungsfonds IWF kommen solche Forderungen.
Hoher Investitionsbedarf
In Deutschland ist viel verschlissen und kaputt. Straßen, Brücken, das Schienennetz, aber auch Gebäude staatlicher Bildungseinrichtungen, also Schulen und Universitäten, sind marode. Investiert werden müsste auch in die Digitalisierung. Hier liegt Deutschland im internationalen Vergleich genauso zurück wie bei den Leistungen der Schülerinnen und Schüler.
Ämter und Gerichte sind überfordert, in den Verwaltungen türmen sich die Akten. Bundesweit fehlen hunderttausende Wohnungen, vor allem im Sozialbau für Menschen mit geringen Einkommen.
Der schwere Abschied von Gas, Öl und Kohle
Das meiste Geld aber fehlt für den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern und den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft. 60 Milliarden Euro hatte die Regierung dafür vorgesehen, finanziert über Kredite, die während der Corona-Pandemie nicht gebraucht worden waren. Ein Plan, der vom Bundesverfassungsgericht gestoppt wurde.
Eng ist es auch im militärischen Bereich. Die Bundeswehr, die sich seit Jahren in einem desolaten Zustand befindet, soll wieder besser ausgerüstet werden. 100 Milliarden Euro sind dafür vorgesehen, auf mehrere Jahre verteilt. Das Geld wird nicht ewig reichen.
Wie geht es weiter in der Ukraine
Zumal aus dem sogenannten Sondervermögen Bundeswehr nun auch die Waffenlieferungen für die Ukraine finanziert werden sollen. Eine Notlösung angesichts der knappen Haushaltslage. Die sich noch verschärfen könnte, sollte die Ukraine mehr Geld brauchen. SPD und Grüne haben bereits gefordert, dass in diesem Fall die Schuldenbremse erneut ausgesetzt werden müsste.
Noch schwieriger könnte die Lage 2025 werden, sollte der nächste US-Präsident Donald Trump heißen. Die USA sind der größte Finanzier der Ukraine, auf Platz zwei folgt Deutschland. Sollte Trump die Unterstützung der Ukraine beenden, müssten die Europäer finanziell einspringen. Das hätte enorme Auswirkungen auf den deutschen Haushalt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnt allerdings vor zu hohen Erwartungen. Deutschland sei nur eine "Mittelmacht" und könne keine militärisch hochgerüstete Supermacht ersetzen.
2025 ist Bundestagswahl
Um den zukünftigen Etat ist es ohnehin eng bestellt. In der Finanzplanung für 2025 klafft nach derzeitigem Stand ein Loch von mindestens 16 Milliarden Euro. Einzelheiten könnten im März bekannt werden, sollte Bundesfinanzminister Lindner dann die Eckpunkte für den Haushaltsentwurf vorlegen.
2025 wird für die drei Regierungsparteien ein entscheidendes Jahr, denn im September findet die nächste Bundestagswahl statt. SPD, Grüne und FDP stehen in Umfragen miserabel da. Die Konfliktlinien bei der Haushaltsplanung sind absehbar. Die SPD wird versuchen, Einschnitte im Sozialbereich zu verhindern, die Grünen werden auf ausreichend Mittel für den Klimaschutz drängen und die FDP wird weiterhin sparen wollen.
Deutsche Wirtschaft in der Rezession
Es gebe drei Kostenblöcke, die neu verhandelt werden müssten, fordert Finanzminister Lindner: die Sozialleistungen, die internationale Finanzhilfen und Subventionen, die nicht dazu beitragen, die Wirtschaft zu entlasten.
Während weltweit und auch in der Euro-Zone die Wirtschaftsleistung wächst, ist sie in Deutschland geschrumpft. Das wird Auswirkungen auch auf die Steuereinnahmen haben. Im Mai findet die nächste Steuerschätzung statt, die Grundlage auch für die Haushaltsplanung ist.
Nicht nur die AfD will bei Flüchtlingen sparen
Einschnitte bei den Sozialleistungen fordert auch die größte Oppositionsfraktion im Bundestag, die der CDU/CSU. Im Visier hat die Union vor allem das Bürgergeld, das Arbeitslose und Erwerbsunfähige bekommen. Es schlägt pro Jahr mit 44 Milliarden Euro zu Buche. Von "subventionierter Arbeitslosigkeit" spricht der Unionsfraktionsvorsitzende Merz. Finanzielle Spielräume im Haushalt ließen sich erzielen, "wenn Sozialleistungen auf diejenigen konzentriert werden, die sie brauchen".
Auch die Ausgaben für Flüchtlinge und Asylbewerber sind der Union zu hoch. "27 Milliarden Euro geben wir dafür aus, inklusive Fluchtursachenbekämpfung", listete Unions-Vize Mathias Middelberg auf. "Gehen Sie ran an das Thema."
Weniger Geld für Entwicklungshilfe
Fluchtursachenbekämpfung, damit ist auch die Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe gemeint. Die beiden Bereiche seien schon im Haushalt 2024 die größten Verlierer, klagen Nichtregierungsorganisationen wie VENRO. Der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit BMZ wird um knapp zehn Prozent gekürzt, die humanitäre Hilfe um 20 Prozent. Zusammen macht das gut 1,4 Milliarden Euro aus.
Michael Herbst, Vorstandsvorsitzender von VENRO, findet es bedenklich, dass Kürzungen inzwischen nicht mehr nur von der in Teilen rechtsextremen AfD gefordert werden. "Besonders besorgniserregend ist die Tendenz, populistische Kritik an der Entwicklungspolitik, wie sie ganz rechts Standard ist, als Argumente für derart drastische Kürzungen in der Mitte und gar weiter links wiederzufinden."
Widersprüchliche Aussagen
Im Bundestag wandte sich Finanzminister Lindner zwar gegen weitere Kürzungen. "Ich höre sehr wohl, dass aus der Union und aus der Opposition insgesamt verlangt wird, dass bei unserem internationalen Engagement gekürzt werden soll. Ich rate ab, und zwar nicht nur aus humanitärer Verantwortung, sondern weil internationale Zusammenarbeit und Krisenprävention zutiefst im deutschen Interesse ist, beispielsweise um Migration zu kontrollieren."
Tatsächlich sind im Etat für 2025 aber bereits weitere Kürzungen angedacht.
Der Artikel wurde am 30. Januar veröffentlicht und am 31. Januar und am 2. Februar aktualisiert.