SPD-Manifest fordert Wiederannäherung an Russland
11. Juni 2025
Es gärt in der SPD und das ist keine gute Nachricht für die noch junge Regierungskoalition mit CDU und CSU. Ein als "Manifest" bezeichnetes Grundsatzpapier verspricht der Parteiführung um SPD-Chef und Vizekanzler Lars Klingbeil reichlich Ärger. Mehr als 100 Unterzeichner, die meisten davon vom linken Parteiflügel, fordern ein Umdenken bei der Unterstützung der Ukraine, der geplanten Aufrüstung der Bundeswehr und der NATO und der harten Haltung gegenüber Russland.
"Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung", so ist das Papier überschrieben, das unter anderem die SPD-Bundestagsabgeordneten Rolf Mützenich und Ralf Stegner sowie Ex-SPD-Chef Norbert Walter-Borjans und der frühere SPD-Finanzminister Hans Eichel unterschrieben haben. Mützenich war lange SPD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag.
Mit Russland wieder ins Gespräch kommen
"In Deutschland und in den meisten europäischen Staaten haben sich Kräfte durchgesetzt, die die Zukunft vor allem in einer militärischen Konfrontationsstrategie und hunderten von Milliarden Euro für Aufrüstung suchen", heißt es. Es werde "der Zwang zu immer mehr Rüstung und zur Vorbereitung auf einen angeblich drohenden Krieg beschworen". Die Verfasser fordern, "notwendige Verteidigungsfähigkeit" mit einer Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik zu verknüpfen, "um gemeinsame Sicherheit und gegenseitige Friedensfähigkeit zu erreichen".
Gefordert werden Gespräche mit Russland als Alternative zur massiven militärischen Aufrüstung. Es müsse der "außerordentlich schwierige Versuch unternommen werden, nach dem Schweigen der Waffen wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen". Die Rede ist von einer "schrittweisen Rückkehr zur Entspannung der Beziehungen und einer Zusammenarbeit mit Russland".
Fünf-Prozent-Ziel der NATO "irrational"
Die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland solle gestoppt werden. Eine solche Stationierung weitreichender, hyperschneller US-Raketen-Systeme "würde unser Land zum Angriffsziel der ersten Stunde machen", heißt es in dem Papier. Zudem werden die Pläne der NATO, bis zu fünf Prozent der Wirtschaftskraft in die Verteidigung zu stecken, als "irrational" bezeichnet.
In einem Interview im Deutschlandfunk sagte Co-Autor Stegner, mit dem "Manifest" solle eine Diskussion für einen außenpolitischen Kurs abseits von Aufrüstung angestoßen werden. Deutschland müsse zwar schon seine Verteidigungs- und NATO-Bündnisfähigkeit steigern. Aber "wir können nicht zugucken, dass es immer mehr Kriege gibt". Auch mit Blick auf die Ukraine werde "Militärlogik allein nicht helfen gegen die Nuklearmacht Russland". Nötig seien zusätzliche diplomatische Anstrengungen, "auch mit Ländern, deren Regierungen uns nicht gefallen".
NATO-Gipfel und SPD-Parteitag
In der aktuellen Debatte werde ungehemmt über den nächsten Landkrieg und über die Wehrpflicht gesprochen. Gegen diese Form der Militarisierung müssten sich die Sozialdemokraten wehren. Ziel des "Manifests" sei auch, die parteiinterne Debatte in der SPD neu zu justieren. Die Partei müsse Teil der Friedensbewegung bleiben.
Für SPD-Chef Klingbeil kommt die Debatte zur Unzeit. Am 24. und 25. Juni findet der NATO-Gipfel in Den Haag statt, auf dem ganz sicher über eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben gesprochen wird. Unmittelbar danach findet der dreitägige Bundesparteitag der SPD statt, auf dem eine neue Parteispitze gewählt werden soll. Klingbeil wird erneut kandidieren.
Angriff auf die SPD-Spitze
Mit dem Grundsatzpapier stellen sich die Unterzeichner klar gegen Klingbeil und SPD-Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius. Die beiden tragen den gesteckten Kurs der Bundesregierung in der Außen- und Sicherheitspolitik mit. Das gilt auch für die jüngsten Vorstöße von CDU-Bundeskanzler Friedrich Merz. Der hatte erst kürzlich angekündigt, dass die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Armee in Europa aufgerüstet werden soll - und er sprach davon, dass es "keinerlei Reichweitenbeschränkungen mehr für Waffen" gebe, die an die Ukraine geliefert werden.
Vom linken Flügel der SPD kam prompt Protest, der mit dem "Manifest" nun unterfüttert wird. Den Begriff "Manifest" werden die Verfasser nicht ohne Grund gewählt haben. Damit wird eine für die Öffentlichkeit bestimmte, grundsätzliche programmatische Erklärung bezeichnet. Seit der Bundestagswahl, die der SPD ein desaströses Ergebnis von nur noch 16 Prozent beschert hat, wird in der Partei offen über eine programmatische Neuausrichtung diskutiert. Auf dem Bundesparteitag soll der Prozess für ein neues Parteiprogramm beginnen.
Die Russland-Versteher um Gerhard Schröder
Der linke Parteiflügel will die Diskussion in eine Richtung lenken, die in der SPD eine lange Tradition hat. Über Jahrzehnte verstand sich die Partei nicht nur als Teil der Friedensbewegung, sondern setzte auch auf ein enges Verhältnis zwischen Deutschland und Russland. "Wandel durch Handel" oder auch "Wandel durch Verflechtung" hieß die Strategie, die auf eine Modernisierungspartnerschaft mit Russland zielte.
Im Zentrum stand die Energiepartnerschaft. Russland lieferte billiges Gas nach Deutschland. Ex-SPD-Fraktionschef Mützenich forderte damals, Deutschland müsse zu Russland genauso gute Beziehungen haben wie zu den USA. Zwischen Gerhard Schröder, der 1998 SPD-Bundeskanzler wurde, und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin entwickelte sich eine enge Freundschaft, die weit über ein politisches Verhältnis hinausging.
Die SPD verschloss lange die Augen
Der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ein enger Vertrauter von Schröder und sein Kanzleramtsminister, schimpfte noch 2016, also zwei Jahre nach der Annexion der Krim, über "lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul", als 10.000 NATO-Soldaten in Polen und dem Baltikum Manöver abhielten, um die Verteidigung einer (Halb-)Insel wie der Krim zu üben.
Heute spricht Steinmeier davon, "gescheitert" zu sein: "Wir haben an Brücken festgehalten, an die Russland nicht mehr geglaubt hat und vor denen unsere Partner uns gewarnt haben", sagte er nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine 2022.
Gegenwehr aus der SPD
Viele Sozialdemokraten reagieren verärgert auf das "Manifest". "Zusammenarbeit mit einem Kriegsverbrecher, der sich schon für die nächsten Ziele präpariert? Gute Nacht!", so der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Fiedler auf X. Sein ehemaliger Fraktionskollege Michael Roth schreibt: "Dieses 'Manifest' ist kein spannender Debattenbeitrag, sondern eine weinerliche Melange aus Rechthaberei, Geschichtsklitterung und intellektueller Wohlstandsverwahrlosung."
SPD-Fraktionschef Matthias Miersch distanzierte sich ebenfalls: Das Papier sei ein Debattenbeitrag, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Das ist legitim, auch wenn ich zentrale Grundannahmen ausdrücklich nicht teile." Diplomatie bleibe oberstes Gebot, so Miersch. Aber Putin lasse bislang nicht mit sich reden, das hätten viele ausgeschlagene Gesprächsangebote gezeigt.
Selbst ein Regierungssprecher äußerte sich, was bei parteiinternen Diskussionen normalerweise nicht der Fall ist. Steffen Meyer sagte: "Wir befinden uns ja hier nicht in einer Diskussion im luftleeren Raum, in der sich die Bundesregierung zum Spaß aufgemacht hat, die Streitkräfte und die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes zu stärken. Sondern das folgt einer völlig veränderten Bedrohungslage, die wir in Deutschland und Europa sehen."