"Kopf hoch!" - diese Trainer machen Deutschland einzigartig
Mariya Ilcheva
3. Dezember 2025
Die Kultur der deutschen Sportvereine ist unvergleichlich: Dank des Ehrenamts kann man zum kleinen Preis fast jede Sportart betreiben und trainieren. Entscheidend dafür sind begeisterte Trainerinnen und Trainer.
Sport ist ihr Leben: Melissa Rathmann (Karate), Chris Leize (Fußball) und Maria Helwich (Rückenfit) lieben den Sport in ihren VereinenBild: Mariya Ilcheva/DW
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Stellen Sie sich vor, Sie machen als Hobbysportler Karate und werden von einer zehnfachen Europameisterin trainiert. Und zwar für rund 20 Euro im Monat. Unwahrscheinlich?
In Deutschland ist das möglich - im Karateverein Dojo Ochi Bonn . Dort ist Melissa Rathmann ehrenamtlich engagiert - als Teil eines achtköpfigen Trainerteams.
Neben ihren zehn EM-Titeln hat die 33-Jährige etliche deutsche Meisterschaften gewonnen und war zweimal Vize-Weltmeisterin. Trotz ihrer großen sportlichen Erfolge blieb sie ihrem Verein aber stets treu.
"Hier geht es um das Miteinander und die Liebe zum Sport"
"Hier geht es nicht um Macht, Politik, Vetternwirtschaft und andere Vorteilsnahmen", sagt die studierte Gesundheitsökonomin. "Es herrscht ein harmonisches Vereinsleben, in dem es um das Miteinander und die Liebe zum Sport geht."
Während sich in vielen Ländern der Breitensport eher als lukratives Geschäftsmodell etabliert hat, sind in Deutschland die gemeinnützigen Vereine die erste Adresse für Sportinteressierte. Sie finanzieren sich hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge, öffentliche Förderungen und ehrenamtliches Engagement.
Melissa Rathmann, zehnfache Europa- und zweifache Karate-Vizeweltmeisterin, ist Trainerin im Karateverein Dojo Ochi BonnBild: Mariya Ilcheva/DW
Auch Melissa Rathmann hat in einem Verein mit Karate angefangen - mit sechs Jahren. Mit 15 wurde sie Teil der deutschen Nationalmannschaft. Heute teilt sie ihr Expertenwissen mit den 59 Mitgliedern von Dojo Ochi Bonn. Sie gibt Oberstufen- und Karatefitnesstraining und bereitet die Karatekas für Wettkämpfe und Prüfungen vor.
Das alles macht Rathmann, die an der Uniklinik Bonn als Controllerin arbeitet, in ihrer Freizeit. Die Tätigkeit im Verein ist ihr wichtig, denn dabei geht es um mehr als Sport.
"Sportvereine fördern auch die Sozialkompetenz. Da kommen Menschen mit unterschiedlichen Geschichten, Herkunft und Alter zusammen." Diese Begegnungen stärken den Zusammenhalt in der Gesellschaft, sagt die Trainerin, die sich den Alltag ohne Karate nicht vorstellen kann. "Der Sport und das Umfeld sind fester Bestandteil meines Lebens."
"Der Sport hat mich zurück ins Leben gebracht"
Auch für Chris Leize wäre ein Leben ohne seinen Lieblingssport unvorstellbar. Der 41-Jährige ist ehrenamtlicher Fußballtrainer beim TSG Steinheim . Nach einem schweren Autounfall vor 10 Jahren und 17 Operationen hat er sich mit viel Mühe zurück ins Leben gekämpft. Dabei hat der Sport eine wichtige Rolle gespielt.
"Das ist meine große Leidenschaft. Ich wollte wieder so gut auf dem Fußballfeld werden wie vor dem Unfall", erzählt der gelernte KFZ-Meister. Die gesundheitlichen Langzeitfolgen haben ihm das jedoch nicht ermöglicht. Und so wurde er Kindertrainer. "Ich möchte den Jungs das beibringen, was ich in meiner besten Zeit konnte", sagt Leize.
Fußball ist die mitgliederstärkste Sportart in deutschen Vereinen . Allein beim Turn-, Sport- und Gesangverein in Steinheim - der Ort hat rund 12.000 Einwohner - trainieren 300 Kinder und Jugendliche mehrmals wöchentlich Fußball - für einen Mitgliedsbeitrag von 65 Euro pro Jahr.
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"Hier lernen die Kinder Empathie, Respekt und Fairness"
"Hier lernen sie nicht nur fußballerische Fähigkeiten und Disziplin. Es wird auch viel Wert auf das menschliche Miteinander gelegt", sagt Leize. Empathie, Respekt, Fairness sind ebenfalls wichtige Werte, dazu Selbstvertrauen und Mut.
"Auch verlieren lernen ist wichtig, denn im Leben läuft nicht alles rund, wie mein Schicksal zeigt. Durch den Fußball habe ich gelernt, nie aufzugeben", sagt der Fußballtrainer. "Das Spiel ist erst zu Ende, wenn der Schiedsrichter abpfeift."
Diesen Kampfgeist bringt der 41-Jährige auch den jungen Sportlern weiter. "Kopf hoch", ruft er ihnen zu - nach jeder verpassten Chance, nach jedem Gegentor.
Chris Leize spielt seit seinem fünften Lebensjahr Fußball und gibt seine Begeisterung für den Sport heute an Kinder weiterBild: Mariya Ilcheva/DW
Seine Spieler sind zwischen elf und 13 Jahre alt. Für viele von ihnen ist der Verein ein Zufluchtsort vom Alltag. "Auf dem Fußballfeld bekommen sie Anerkennung, dort fühlen sie sich frei und können sich entfalten", erklärt Leize. "Das ist wichtig für ihr Alter. Und gilt eigentlich auch für mich. Egal wie stressig meine Woche war, beim Training vergesse ich meine Sorgen. Selbst mit den chronischen Schmerzen, die ich seit dem Unfall habe."
Was er am Vereinsleben am meisten mag? "Dass es sich wie eine große Familie anfühlt. Hier sind alle Helfer wichtig, egal welche Stärken oder Schwächen der Einzelne hat."
"Es ist nie zu spät, mit Sport anzufangen"
"Dem Chris hat der Sport geholfen, sich ins Leben zurückzukämpfen und mich hält der Sport am Leben", sagt Maria Helwich, als sie von Leizes Geschichte hört. Die 78-Jährige leitet seit fast drei Jahrzehnten den Kurs "Rückenfit für Frauen" beim Alfterer SC .
Die Leidenschaft zum Sport hat die gelernte Kauffrau erst durch ihre Kinder entdeckt. Mit Mitte 30 wurde sie Vereinsmitglied, mit 50 machte sie den Übungsleiterschein und wurde Trainerin. "Davor war die Pflicht, aber dann kam die Kür", sagt sie mit einem ansteckenden breiten Lächeln.
Helwich macht jeden Morgen Gymnastik - direkt nach dem Aufstehen. "Ich möchte fit sein - für meine Damen", sagt die Rentnerin und erzählt, dass sie sich für jede Stunde fleißig vorbereitet. Sie guckt sich Videos im Internet an, überlegt sich neue Choreografien, sucht die passende Musik aus.
Die Teilnehmerinnen ihrer Kurse sind zwischen 50 und 80 Jahre alt und lieben die Lebensfreude, die ihre Trainerin ausstrahlt. "Sie ist immer gut gelaunt. Der Sport bei ihr macht so viel Spaß", sagen sie.
"Das Zusammensein ist heute so wichtig"
Und Maria Helwich gibt zu, dass die größte Belohnung für sie ist, die Frauen beim Sport strahlen zu sehen. Das Ehrenamtliche sei etwas Gegenseitiges - Trainer motivieren und leiten, Teilnehmerinnen und Teilnehmer geben Anerkennung zurück und machen die Übungsleiter damit ebenfalls glücklich.
Die 78-jährige Maria Helwich hat die Leidenschaft zum Sport erst durch ihre Kinder entdecktBild: Mariya Ilcheva/DW
Ihr Verein bietet auch Yoga , Volleyball und viele andere Sportarten und Kurse an - und all das gegen 60 Euro pro Jahr. "Wir veranstalten auch Weihnachtsfeiern und Sommerfeste", erzählt sie. "In den heutigen Zeiten ist das Zusammensein so wichtig."
Maria Helwich möchte ihren Kurs noch einige Jahre leiten - und "ihre Damen" werden ihr dankbar sein. Denn ohne Trainer und Kursleiterinnen wie sie, Chris Leize und Melissa Rathmann, die mit ganzem Herzen ehrenamtlich dabei sind, könnte das niederschwellige Vereinsangebot nicht funktionieren. Genau das macht Deutschlands Sportvereinskultur aber einzigartig.
Pionierinnen des Sports
Frauen, die gleichberechtigt mit Männern ihren Sport ausüben - das war und ist nicht selbstverständlich. Es gibt einige Vorkämpferinnen, die in Männerdomänen eindringen - nachhaltig ist ihr Erfolg aber nicht immer.
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Sport nur für Männer?
Dass sportlicher Wettbewerb nur etwas für das männliche Geschlecht sein soll, damit will sich Alice Milliat nicht abfinden. Die 1884 geborene Französin spielt Hockey, rudert und fährt Autorennen. 1917 gehört sie zu den Begründerinnen des französischen Frauensportverbands FSFSF und des Internationalen Frauensportverband FSFI, der 1921 die ersten Frauen-Weltspiele veranstaltet.
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Publikumsliebling
Die Radsportlerin Alfonsina Strada schreibt sich 1924 als Alfonsin Strada beim Giro d'Italia ein. Die Veranstalter halten sie für einen Mann. Als die Wahrheit herauskommt, darf sie dennoch starten. Sie scheidet nach einigen Etappen wegen Zeitüberschreitung aus, bleibt aber im Feld, weil das Publikum sie so liebt. Sie ist die einzige Frau, die je bei einer großen Rundfahrt bei den Männern startete.
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Als "Pilota" in die Königsklasse
Maria Teresa de Filippis ist Ende der 50er-Jahre die erste Frau in einem Formel-1-Boliden. Die Italienerin findet 1948 als 22-Jährige zum Rennsport. Maserati verpflichtet sie als Werksfahrerin. Daraufhin nimmt sie 1958 an einigen Rennen der Automobil-Weltmeisterschaft teil, die heute als Formel 1 bezeichnet wird. Als ein Jahr später ein enger Freund tödlich verunglückt, beendet sie ihre Karriere.
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Gegen jeden Widerstand
Obwohl der erboste Renn-Direktor des Boston Marathon (2.v.r.) versucht, ihr die Startnummer zu entreißen, läuft Kathrine Switzer 1967 als erste Frau bei einem Marathon mit und beendet ihn auch erfolgreich. Sie hatte sich heimlich angemeldet. Die längste erlaubte Frauen-Distanz sind damals die 800 Meter. Einige Jahre nach Switzers Coup werden Frauen auch offiziell bei Langstreckenrennen zugelassen.
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Keine Unterschiede
Anfang der 1970er-Jahre kämpft Billie Jean King dafür, dass männliche und weibliche Tennisprofis gleiche Preisgelder erhalten. Aus Protest gründet die zwölfmalige Grand-Slam-Gewinnerin mit anderen Spielerinnen eine eigene Turnierserie, aus der später die Women's Tennis Association WTA entsteht. 1973 haben King und Co. Erfolg: Bei den US Open sind die Siegprämien für Frauen und Männern gleich.
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Recht aufs Fliegen
Bis Anfang der 1990er-Jahre ist Frauen-Skispringen vom Weltverband nicht zugelassen. Eva Ganster kann sich nur als Vorspringerin bei den Männern zeigen. 1997 springt die Österreicherin als erste Frau von einer Skiflugschanze. Gansters Vorarbeit wirkt: Seit 2011 gibt es einen Frauen-Weltcup, 2014 ist ihre Sportart erstmals olympisch. Wunschziel ist eine eigene Vierschanzentournee.
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Sehr oft "die Erste"
2003 übernimmt Meredith Michaels-Beerbaum als erste und bisher einzige Frau die Führung in der Weltrangliste der Springreiter. Sie ist auch die erste Frau in der deutschen Equipe bei einem großen Championat und stößt damit Türen auf für jüngere Reiterinnen. "Als ich nach Deutschland kam, war sehr deutlich, dass Frauen in meinem Sport zweitrangig sind", sagt die gebürtige US-Amerikanerin später.
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Respektiert an der Pfeife
Die Schweizerin Nicole Petignat ist 2003 die erste Frau, die ein Fußball-Europapokalspiel der Männer leitet: die UEFA-Cup-Qualifikation zwischen AIK Solna und Fylkir Reykjavik. Petignat pfeift außerdem Erstligaspiele der Männer in der Schweiz und in Österreich. Hauptsächlich wird sie aber bei Frauen-Spielen eingesetzt. Höhepunkte sind das EM-Finale 2001 und das WM-Endspiel 1999.
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Anerkannte Autorität
Bis eine Frau auch ein WM-Spiel der Männer leitet, dauert es allerdings mehr als zwei Jahrzehnte. Stéphanie Frappart wird bei der WM in Katar von der FIFA in der Partie zwischen Deutschland und Costa Rica eingesetzt. Die Französin hat zuvor bereits in der Nations League, der Champions League sowie der EM- und WM-Qualifikation Männerspiele gepfiffen. Sie bleibt aber eine absolute Ausnahme.
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First Down!
Erstmals in der Geschichte des Super Bowl gehört 2021 mit Sarah Thomas eine Frau zur Schiedsrichter-Crew im Finale der American-Football-Liga NFL. Sie setzt sich damit gegen viele Vorurteile durch. "Kollegen, Trainer und Spieler sehen mich mittlerweile einfach als Offizielle. So will ich es haben", sagt Thomas. "Ich habe nie zugelassen, dass mein Geschlecht Ausrede oder Vorwand für Menschen ist."
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"Nicht menschlich"
"Ich fühle mich im Moment weder weiblich noch männlich oder gar menschlich", sagt Rachael Blackmore nach ihrem Sieg im Grand National. Die 31-jährige Irin hat auf ihrem Pferd Minella Times soeben Sportgeschichte geschrieben: Als erste Frau gewinnt sie das härteste Hindernis-Galopprennen der Welt, das seit 1839 ausgetragen wird. Die erste Frau überhaupt im Grand National ist 1977 Charlotte Brew.
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Durch die Wüste
Hitze, Staub, unwegsames Gelände und die zahlreiche männliche Konkurrenz - all das macht Rallyepilotin Jutta Kleinschmidt nichts aus, als sie 2001 als erste Frau die Rallye Dakar gewinnt. Nach dem Sieg wird sie in Deutschland auch zur "Sportlerin des Jahres" gewählt. Die gelernte Diplom-Ingenieurin nimmt insgesamt 18 Mal an der härtesten Rallye der Welt teil, außerdem an etlichen anderen Rennen.
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Schnellste auf zwei Rädern
Die deutsche Motorrad-Rennfahrerin Katja Poensgen ist eine der wenigen Frauen, die in der WM starten. Einige von ihnen schaffen es in der Moto3-Serie, die bis 125 ccm geht, in die Punkte, allerdings ist Poensgen die Einzige, die in der 250-ccm-Klasse unter den besten 15 landet. 2001 und 2003 tritt sie auf einer Honda-Maschine an und fährt insgesamt 25 WM-Rennen.
Bild: Sven Simon/picture alliance
Treffsicher
Als im Dezember 2019 ihr letzter Dart im Ziel landet, steht der "Ally Pally" in London Kopf. Zum ersten Mal hat eine Frau ein Duell bei der Darts-WM gewonnen. Fallon Sherrock, eine Friseurin aus England, schreibt damit in der ersten Runde Dart-Geschichte und scheitert nach einem weiteren Sieg erst in Runde drei.
Bild: Getty Images/J. Mansfield
Frauen stark machen
Eine echte Pionierin ist die deutsche Fußballtrainerin Monika Staab. Seit Jahren ist Staab als Fußball-Entwicklungshelferin in der Welt unterwegs und veranstaltet Trainingsprogramme für Frauen und Mädchen - besonders in Ländern, in denen Frauenrechte keine große Rolle spielen. "Positives Feedback im Sport stärkt das Selbstbewusstsein", sagt sie. "Das brauchst du, um durchs Leben zu gehen."
Bild: FAYEZ NURELDINE/AFP
Männer besser machen
Als Corinne Diacre 2014 als Trainerin bei Frankreichs Zweitligist Clermont Foot anfängt, dauert es nicht lange, bis sie ihre Kritiker überzeugt. Die Ex-Nationalspielerin ist damals die erste Frau, die ein Männer-Profi-Team coacht. Sie bleibt drei erfolgreiche Jahre im Amt. Allerdings ist Diacre eine seltene Ausnahme. Auch viele erfolgreiche Frauenteams werden nach wie vor von Männern trainiert.
Bild: picture-alliance/dpa
Klarer Sieg gegen die Männer
Mit neun Schlägen Vorsprung verweist die Schwedin Linn Grant beim Scandinavian-Mixed-Turnier die - auch männliche - Konkurrenz in die Schranken. Als erste Frau gewinnt sie ein offizielles Golf-Turnier der DP World Tour. "Ich hatte die ganze Woche das Gefühl, dass die Frauen gegen die Männer spielen und wer auch immer diesen Pokal holt, das entsprechende Feld repräsentiert", sagt sie.