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Deutschland: Streit um Haftbefehl für Netanjahu

29. November 2024

Droht dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu eine Verhaftung, wenn er nach Deutschland kommt? Unter deutschen Völkerrechtlern und Politikern ist darüber ein Streit entbrannt.

Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im März 2023 in BerlinBild: Kay Nietfeld/picture alliance/dpa

Am Donnerstag vor einer Woche brachte eine Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag die deutsche Bundesregierung in arge Bedrängnis: Das Gericht erließ Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und den kürzlich entlassenen israelischen Verteidigungsminister Joav Galant. Die Begründung: Beide hätten sich Verbrechen gegen die Menschlichkeit bei ihrem militärischen Vorgehen im Gaza-Streifen schuldig gemacht. Deutschland ist seit der Gründung des Internationalen Gerichtshofes im Jahr 2002 einer von 124 Unterzeichnerstaaten und gilt als dessen steter Unterstützer. Aber als Folge des Völkermords an den europäischen Juden während der NS-Zeit eben auch als enger Verbündeter Israels.

Barenboim: "Menschliches Leben ist in Gaza unmöglich"

Am Freitag dieser Woche bezeichneten mehrere Experten bei der Bundespressekonferenz in Berlin die Entscheidung aus Den Haag als einen Weckruf für die Bundesregierung. Diese hatte stets betont, die israelische Regierung habe nach dem Terror-Angriff vom Oktober 2023 das Recht, sich auch mit harten Mitteln selbst zu verteidigen.

Christine Binzel, Professorin für Wirtschaft und Gesellschaft des Nahen Ostens an der Universität Erlangen-Nürnberg, sagte, immer wieder habe der Internationale Strafgerichtshof das Vorgehen Israels angeprangert. Deutschland habe dem Gericht aber seine Unterstützung verweigert: "Dieser Verpflichtung kommt Deutschland seit 14 Monaten nicht nach. Deutschland schaute nicht nur zu, die Bundesregierung unterstützt bis heute Israel politisch, finanziell, militärisch und rechtlich. Deutschland ist zweitgrößer Waffenlieferant nach den USA." 

Und Michael Barenboim, Musiker und Professor an der Barenboim-Said-Akademie, fügte hinzu: "Seit Anfang Oktober 2024 hat Israel den Norden Gazas in einen vollständigen Belagerungszustand versetzt und macht auf diese Weise menschliches Leben dort unmöglich."

Was passiert bei einem Berlin-Besuch Netanjahus?

Für die Bundesregierung stand seit der Haager Entscheidung aber eine andere Frage im Mittelpunkt: Was würde passieren, wenn der Regierungschef des befreundeten Staates Israel jetzt nach Berlin käme? Eigentlich müsste die deutsche Justiz Netanjahu dann verhaften. Ein solcher Besuch steht aber zur Zeit nicht an, seit dem Überfall der Terror-Miliz Hamas auf Israel am 7.Oktober vergangenen Jahres war Netanjahu kaum noch im Ausland, sein letzter Besuch in Berlin datiert vom März 2023.

Regierungssprecher: "Gedanke an eine Verhaftung fällt mit schwer"

Vor einer Woche sagte der Sprecher von Bundeskanzler Olaf Scholz, Steffen Hebestreit, Deutschland müsse beides bedenken: Die Solidarität mit Israel als Staat und die Unterstützung des Völkerrechts: "Da ist einerseits die Bedeutung des Internationalen Strafgerichtshofes, den wir sehr unterstützen, und andererseits die geschichtliche Verantwortung. Ich könnte mich dazu hinreißen lassen zu sagen, dass es mir schwerfällt, mir vorzustellen, dass wir auf dieser Grundlage Verhaftungen in Deutschland vornehmen." Zu diesem Zeitpunkt sprach auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) davon, die Regierung müsse den Vorgang sorgfältig prüfen.

Bait Lahia im Norden des Gaza-Streifens nach einem israelischen Angriff Mitte NovemberBild: -/AFP

Juristische Aufarbeitung in Israel?

Mittlerweile klingt aber auch Baerbock etwas anders: "Die Bundesregierung hält sich an Recht und Gesetz, weil niemand über dem Gesetz steht", sagte die Grünen-Politikerin am Rande eines Treffens der G7-Außenminister im italienischen Fiuggi. Und weiter: "Es gilt die Unabhängigkeit der Justiz, die in diesem Fall zu dem Schluss gekommen ist, dass es hinreichend Indizien für sie gibt, diesen Schritt jetzt zu unternehmen."

Ein Ausweg aus der schwierigen Lage wäre nach Ansicht einiger deutscher Politiker: Der Strafgerichtshof wird eigentlich nur aktiv, wenn der betreffende Staat eigene Politiker wegen Verbrechen nicht selbst juristisch belangen kann. Deutschland müsse also darauf hinwirken, dass nach Ende des Krieges eine rechtliche Aufarbeitung in Israel selbst stattfinde, die auch etwa die Rolle Netanjahus umfassen könne. So argumentiert auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD): "Der Strafgerichtshof nimmt sich viel von seiner Glaubwürdigkeit, weil er gegen Kriegsverbrecher und Diktatoren wie Baschar al-Assad nicht vorgeht, aber den Regierungschef eines Landes mit einer unabhängigen Justiz per Strafbefehl verfolgen lässt."

Michael Roth (SPD): "Der Strafgerichtshof hat seine Glaubwürdigkeit verloren"Bild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

USA stehen fest an der Seite Israels

Ganz entschieden auf die Seite der israelischen Regierung stellte sich dagegen US-Präsident Joe Biden. Wie Israel erkennen die USA, aber auch Russland, den Internationalen Strafgerichtshof nicht an. Biden sagte: "Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Was auch immer der Internationale Strafgerichtshof andeuten mag, Israel und die Hamas sind nicht gleichwertig – überhaupt nicht", sagte Biden.

Er bezog sich dabei auf die Tatsache, dass nicht nur gegen die beiden israelischen Politiker, sondern zeitgleich auch gegen ein führendes Mitglied der Hamas Haftbefehl erlassen wurde. Weiter sagte Biden: "Wir werden immer an der Seite Israels stehen, wenn seine Sicherheit bedroht ist." Und die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, sagte, die USA würden keinen Haftbefehl vollstrecken. Ähnlich äußerte sich Ungarns Ministerpräsident Victor Orban, der Netanjahu sogar demonstrativ nach Budapest einlud. Und er fügte hinzu, natürlich würde Netanjahu dabei nicht verhaftet.