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Berlin und Ankara: Wirtschaftliche Freundschaft

16. November 2023

Deutschland ist der wichtigste Handelspartner der Türkei. Auch die größten ausländischen Investoren in die türkische Wirtschaft sind deutsch. Ein Überblick der wirtschaftlichen Beziehungen vor Erdogans Besuch in Berlin.

Türkische und deutsche Fahnen
Bild: picture alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan besucht am 17. November Deutschland. Israels Krieg gegen die Hamas sowie Migrationsfragen werden dabei die Tagesordnung beherrschen.

Erdogans Besuch kommt kurz nach seinen kontroversen Äußerungen Anfang November, in denen er Israel "Faschismus" und "Kriegsverbrechen" vorwarf und die Terrororganisation Hamas als "Befreier" lobte. Israel berief daraufhin seine Diplomaten aus der Türkei ab.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte Erdogans Vorwürfe gegenüber Israel "absurd" und kündigte an, bei seinem Treffen Klartext zu reden.

Auch im jüngsten Türkei-Bericht der Europäischen Kommission heißt es, die Position des türkischen Präsidenten sei nicht mit der Haltung des Westens vereinbar.

Doch trotz der vielen Kontroversen und Krisen in den letzten Jahren sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei immer besser geworden. Deutschland gilt seit Jahren als der wichtigste Handelspartner der Türkei und der wichtigste ausländische Investor in diesem Land.

Handelsbeziehungen stärker denn je

Laut Auswärtigem Amt erreichte das bilaterale Handelsvolumen 2022 "einen neuen Rekordwert" von 51,6 Milliarden Euro. Die türkischen Ausfuhren nach Deutschland erhöhten sich im Vergleich zum vergangenen Jahr um ein Viertel auf 24,6 Milliarden Euro und die türkischen Importe aus Deutschland um ein Drittel auf 27 Milliarden Euro.

Auch im Bereich Tourismus spielt Deutschland eine wichtige Rolle für die Türkei: Die Deutschen stellen nach den Russen die zweitgrößte Touristengruppe in der TürkeiBild: Mustafa Kaya/Xinhua/picture alliance

Deutschland ist weiterhin das wichtigste Zielland für türkische Exporte. Laut den Angaben des Türkischen Exporteurverbands (TIM) betrugen die türkischen Exporte nach Deutschland in diesem Jahr bis Ende Oktober rund 14,5 Milliarden Euro. Aus der Türkei werden vor allem Produkte für die Autoindustrie, Textilien, Nahrungsmittel, Heizungskessel sowie Zwischenprodukte aus Eisen, Stahl und Aluminium nach Deutschland exportiert.

Aus Deutschland importiert die Türkei vor allem Maschinen, Fahrzeuge, Plastikprodukte, Flugzeuge, Chemikalien sowie medizinische Geräte. Nur aus Russland und China importiert die Türkei noch größere Warenwerte als aus Deutschland.

Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und der Türkei seien tief verwurzelt und offenbar krisenfest, sagt Ayhan Zeytinoglu, Präsident der Stiftung für Wirtschaftliche Entwicklung (IKV) in Istanbul. "Unter den größten Handelspartnern der Türkei steht Deutschland im Vordergrund. Wir haben ein bemerkenswertes Handelsdefizit mit Russland und China, während wir mit Deutschland ein ausgeglichenes Verhältnis genießen", so Zeytinoglu.

Wirtschaft nicht im Vordergrund

Die Vertreter der türkischen Wirtschaft fordern, dass während Erdogans Besuch in Berlin zusätzlich zu den anderen drängenden Themen auch die Modernisierung der Zollunion zwischen der EU und der Türkei auf den Tisch kommt. Deutschland solle hier seinen Einfluss geltend machen.

Zeytinoglu betont, das Handelsvolumen könne sich fast verdoppeln und die 90-Milliarden-Euro-Marke erreichen, wenn die Zollunion modernisiert würde. "Wir hoffen, dass während des Besuchs unseres Präsidenten einige Schritte genommen werden."

Auch ein Treffen zwischen Olaf Scholz (l.) und Recep Tayyip Erdogan ist geplant. Die türkische Wirtschaft erwartet, dass sie auch über Handel redenBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Die Zollunion ist seit 1995 in Kraft und sieht den freien Warenverkehr zwischen beiden Seiten sowie die Angleichung von Tarifen und Rechtsvorschriften vor.

Kritiker sehen Verbesserungsbedarf und verweisen auf Schwierigkeiten in er Beratung und bei Mechanismen zur Streitschlichtung. Die türkische Seite klagt zudem über Visaprobleme von Geschäftsleuten und LKW-Fahrern, die den Warenverkehr behindern.

Auch Exporteure sind mit dem Stand der Dinge unzufrieden. Bülent Aymen ist der Ehrenpräsident des Mediterranen Exportverbandes für Möbel-, Papier- und Waldprodukte (AKAMIB). Die Zollunion sei jetzt mehr als 25 Jahre alt, und der globale Handel habe sich in dieser Zeit weiterentwickelt. "Die Zollunion ist nicht mehr in der Lage, die Bedürfnisse der Wirtschaft zu befriedigen", sagt Aymen.

Er befürchtet allerdings, das Thema werde während Erdogans Besuch in den Hintergrund rücken. "Dabei ist es für die türkische Wirtschaft ein sehr dringendes und wichtiges Thema. Ich hoffe, es wird in Deutschland mindestens thematisiert", so Aymen.

"Wir brauchen uns gegenseitig"

Laut den Statistiken der deutschen Auslandshandelskammer (AHK) in der Türkei investierten deutsche Unternehmen zwischen 2002 und 2022 etwa 11,5 Milliarden Euro in dem Land. Mehr als sechs Prozent aller ausländischen Investitionen in der Türkei kommen damit aus Deutschland.

Über 8.000 deutsche Firmen in deutschem Besitz oder mit deutscher Kapitalbeteiligung sind in der Türkei tätig - überwiegend in den Bereichen Industrie, Einzelhandel, Logistik und Vertrieb.

Deutschland und die Türkei brauchen sich gegenseitig, glaubt Zeytinoglu: "Die Türkei kann von der technologischen und finanziellen Macht Deutschlands profitieren, und Deutschland von der geopolitischen Macht der Türkei. In Bezug auf die Zollunion können wir zusammen neue Synergien schaffen."

Mit dem Elektroauto "TOGG" möchte die Türkei möchte auch den deutschen Markt erobern. In der Türkei rollt der Wagen seit März vom Band, die Lieferdatum für Deutschland wurde zuletzt von 2024 auf 2026 verschobenBild: Murat Cetinmuhurdar/Turkish Presidency/HandoutAA/picture alliance

Türkische Wirtschaftsvertreter fordern zudem ein Mitspracherecht der Türkei bei Freihandelsabkommen der EU. Es sei "eine große Ungerechtigkeit", dass die EU mit Drittstaaten Freihandelsabkommen ohne türkische Beteiligung unterschreibe, klagt Zeytinoglu. "Als Mitglied der Zollunion müssten wir bei solchen Entscheidungen auch am Tisch sitzen."

In ausländischen Märkten mache die Türkei deshalb sogar "bedeutende Verluste", sagt Aymen vom Exporteursverband. In vielen Ländern, etwa Südafrika oder Algerien, könnten türkische Unternehmen heute viel erfolgreicher sein, wenn die Türkei bei den Verhandlungen um Freihandelsabkommen mit am Tisch gesessen hätte, glaubt Aymen.

Zusammenarbeit bei erneuerbaren Energien

Zusätzlich zu den traditionellen Handelsbereichen entstehen seit einigen Jahren auch neue Geschäftsfelder zwischen den beiden Ländern - oft mit Bezug zur Energiewende.

2012 riefen die Regierungen beider Länder die "Deutsch-Türkische Energiepartnerschaft" ins Leben. In diesem Rahmen tauschen sich Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zum Thema Energiewende aus.

Deutsche Hersteller von Windkraftanlagen wie Enercon und Nordex haben zudem große Werke in der Türkei.

Politik schadet der Wirtschaft

Allerdings trägt die Rhetorik der türkischen Führung immer wieder dazu bei, das Vertrauen der Investoren in die Türkei zu erschüttern.

Im Juni 2023 ernannte Erdogan Mehmet Simsek zum Finanzminister und hoffte, damit die Inflation einzudämmen und gleichzeitig im Ausland punkten zu können.

Simsek, ein international anerkannter Wirtschaftsexperte und Vertreter eines marktliberalen Ansatzes, war schon in den Jahren 2009 bis 2015 Finanzminister des Landes - also in den eher liberalen Zeiten der AKP-Regierung.

Derzeit reist Simsek viel und versucht, die Türkei wieder vertrauenswürdig zu machen. Dies scheint ihm aber nicht zu gelingen: Seit der Parlaments- und Präsidentschaftswahl im Mai gibt die Türkische Lira wieder stark nach.

Kurz vor der Wahl musste man für einen Euro 21,50 Lira bezahlen - heute über 31 Lira. 

Mehmet Simsek (r.) traf empfing im Oktober den deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck in AnkaraBild: DHA

Auf einer Podiumsdiskussion im Juli in Salzburg forderte Simsek die EU auf, die Zollunion zu modernisieren.

Die ausweichende Antwort des dafür zuständigen EU-Kommissars Paolo Gentiloni zeigt, wie problematisch die Beziehungen zwischen Europa und der Türkei derzeit sind.

Es gebe "schwierige Themen, die wir ausarbeiten müssen", so Gentiloni. Man werde nun schauen, "ob es möglich ist, dass wir Fortschritte machen können".

Burak Ünveren Redakteur. Themenschwerpunkte: Türkische Außenpolitik, Deutsch-Türkische Beziehungen.
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