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Politik

Inflation und Krieg ängstigen mehr als der Klimawandel

2. Juni 2022

Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik musste eine Regierung mit so vielen Problemen gleichzeitig umgehen. Finden die Politiker die richtigen Antworten? Aufschluss gibt der ARD-Deutschland-Trend.

Deutschland | Supermarkt in Neubiberg
Bild: Sven Hoppe/dpa/picture alliance

Die Ukraine soll das  modernste Flugabwehrsystem bekommen, das Deutschland zu bieten hat. Außerdem vier Mehrfachraketenwerfer und ein leistungsstarkes Ortungsradar, um russische Raketen und Drohnen aufzuspüren. Mit dieser Ankündigung überraschte Bundeskanzler Olaf Scholz in dieser Woche seine Kritiker. Seit Wochen wurde dem Kanzler vorgeworfen, er stehe bei Waffenlieferungen in die Ukraine auf der Bremse.

Wer nach Gründen für die bisher zögerliche Haltung sucht, wird auch in Scholz' Partei fündig. In der SPD ist der Pazifismus tief verwurzelt. Das gilt auch für die Mehrheit der sozialdemokratischen Wähler. Danach gefragt, ob die Bundesregierung bei der militärischen Unterstützung der Ukraine eher zurückhaltend oder entschlossen handeln sollte, ist fast jeder zweite SPD-Wähler für ein zurückhaltendes Vorgehen, um Russland nicht zu provozieren. Das geht aus dem aktuellen ARD-Deutschlandtrend hervor, einer repräsentativen Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut infratest-dimap regelmäßig im Auftrag der "Tagesthemen" durchführt.

Ganz anders sieht es bei den Grünen aus. 74 Prozent der Parteianhänger sind der Ansicht, die Bundesregierung sollte bei der militärischen Unterstützung der Ukraine möglichst entschlossen agieren und Härte gegenüber Russland zeigen. Das ist durchaus beachtlich, denn die Grünen sind einst nicht nur aus der Umwelt- sondern auch aus der Friedensbewegung entstanden. 

Massive Unterschiede gibt es beim Blick auf den Osten und den Westen Deutschlands. Bei Entscheidungen über militärische Hilfen an die Ukraine halten 53 Prozent der Westdeutschen Härte gegenüber Russland für angebracht, im Osten sind es jedoch lediglich 35 Prozent.

Waffenlieferungen, Sanktionen, Diplomatie

Insgesamt sind 42 Prozent der Befragten in ganz Deutschland der Meinung, dass die Bundesregierung die Ukraine angemessen mit Waffen unterstützt. 29 Prozent geht die Unterstützung nicht weit genug. Infratest-dimap hat in seiner repräsentativen Befragung aber auch erhoben, was die Deutschen über die Sanktionspolitik und die diplomatischen Bemühungen der Bundesregierung denken. 

Die diplomatischen Möglichkeiten zur Beilegung des Krieges sind derzeit begrenzt. Kürzlich telefonierten Kanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin - ohne greifbares Ergebnis. 41 Prozent der Befragten sind trotzdem der Meinung, dass Deutschland mehr Energie in die Diplomatie stecken sollte. Genauso vielen Befragten gehen die Sanktionen nicht weit genug.

Klimawandel auf Platz 3

Der Krieg in der Ukraine ist aber nicht das einzige Problem, mit dem Deutschland umgehen muss. Es gibt eine ganze Reihe von Krisen, die derzeit zusammenkommen. Das prägt die Wahrnehmung der Bürger und hat in den vergangenen Monaten zu einer Verschiebung der Prioritäten geführt. Während im September noch der Klimawandel als das wichtigste Problem genannt wurde, um das sich die deutsche Politik vornehmlich kümmern sollte, werden nun der Ukraine-Krieg und die Inflation am häufigsten genannt. Der Klimawandel rangiert nur noch auf Platz drei.

Inflation wächst

Der Krieg treibt vor allem die Energiepreise nach oben, doch auch die Preise für Lebensmittel sind deutlich gestiegen. Mit 47 Prozent gibt fast die Hälfte der Deutschen an, sich wegen der Preisentwicklung mittlerweile im Alltag sehr stark oder stark einzuschränken zu müssen, darunter überdurchschnittlich viele Wahlberechtigte aus Haushalten mit geringem Einkommen (77 Prozent) sowie Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutschland (59 Prozent).

Die Bundesregierung hat verschiedene Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Bürger finanziell zu entlasten. Von Juni bis August kostet ein Monats-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr nur neun Euro, außerdem wurde die Benzinsteuer um 30 Cent gesenkt. Jeder Erwerbstätige bekommt pauschal 300 Euro ausgezahlt, um die gestiegenen Heizkosten abzufedern. Auch wenn die Maßnahmen nur befristet sind, finden die meisten Bürger sie gut.

Schlechtere Noten für die Bundesregierung

Liegt es an den massiven Herausforderungen oder an den begrenzten Möglichkeiten von SPD, Grünen und FDP, Antworten auf die Probleme zu finden? Die Kritik am Regierungshandeln des Drei-Parteien-Bündnisses ist so groß wie nie zuvor seit dem Amtsantritt im Dezember: 59 Prozent (+2) der Befragten äußern sich unzufrieden, nur 39 Prozent (-2) zufrieden. In den Reihen der Koalitionsparteien stellen die Anhänger von SPD (72 Prozent) und Grünen (62 Prozent) der Ampel zwar weiterhin ein gutes Zeugnis aus, bei den FDP-Anhängern überwiegt dagegen das Unbehagen (55 Prozent).

Deutliche Kritik am Berliner Regierungskurs üben viele Wähler der Union (62 Prozent), vor allem aber der AfD (95 Prozent) sowie Wahlberechtigte, die derzeit keiner Partei zuneigen (77 Prozent). Überdurchschnittlich groß ist die Unzufriedenheit mit der SPD-geführten Bundesregierung ferner bei Personen aus Haushalten mit geringerem Einkommen (70 Prozent) sowie generell im Osten Deutschlands (69 Prozent).

Antworten von Anhängern der Linkspartei wurden nicht ausgewiesen, da nur Parteien berücksichtigt werden, die in der Sonntagsfrage mindestens fünf Prozent der Stimmen erreichen. Dies ist bei der Linken seit längerem im ARD-Deutschlandtrend nicht der Fall.

Wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre, würde die CDU/CSU stärkste Kraft werden. Sie liegt in der bundespolitischen Stimmung mit 27 Prozent (+1) vorne und kann damit ihren Vorsprung im Vergleich zur letzten Befragung Ende April weiter ausbauen. Die SPD verliert drei Prozentpunkte auf 21 Prozent. Die Grünen verbessern sich auf 21 Prozent (+3). Für die FDP entscheiden sich im ARD-Deutschlandtrend acht Prozent (-1), für die AfD unverändert elf Prozent. Die Linke würde mit vier Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.

Baerbock und Habeck beliebt wie nie

Bei der Frage nach den beliebtesten Politikern in Deutschland liegen weiterhin Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen mit einem Zuspruch von jeweils 60 Prozent (jeweils +4) vorne und erzielen neue persönliche Bestwerte. SPD-Kanzler Olaf Scholz kommt auf 43 Prozent (+4) und FDP-Finanzminister Christian Lindner auf 42 Prozent (+1). CDU-Chef Friedrich Merz, der auch Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag ist, tut sich schwerer. Zu seiner Person äußern sich kaum verändert 35 Prozent (+2) zufrieden.

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