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Die polarisierte Gesellschaft – wie umgehen mit der AfD?

12. Mai 2025

In Deutschland wächst die Sorge, dass sich die Gesellschaft immer weiter spaltet. Die Frage, wie rechtsextrem die AfD ist, könnte dies noch befeuern.

AfD-Chefin Alice Weidel (m) gratuliert Friedrich Merz (l) zur Kanzlerwahl im Bundestag, bei ihr Tino Chrupalla, AfD-Bundesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender der AfD, und Alexander Gauland (r), Bundestagsabgeordneter der AfD,
AfD-Chefin Alice Weidel gratuliert Friedrich Merz zur Kanzlerwahl im BundestagBild: Markus Schreiber/AP Photo/picture alliance

Ist die Alternative für Deutschland (AfD) nun eine rechtsextreme Partei oder nicht? Vom deutschen Inlandsgeheimdienst, dem Verfassungsschutz, wurde sie erst kürzlich als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft. Dagegen ist die AfD jedoch vor Gericht gezogen und hat geklagt. Bis zu einem Gerichtsurteil wird der Nachrichtendienst die Aussage nicht wiederholen. Dies ist ein üblicher Vorgang in einem schwebenden Verfahren.

Die AfD feiert die sogenannte "Stillhaltezusage" indes als Erfolg. "Das ist ein erster wichtiger Schritt hin zu unserer eigentlichen Entlastung und damit dem Vorwurf des Rechtsextremismus zu begegnen", erklärten die AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla und Alice Weidel. "Wir wehren uns mit allen juristischen Mitteln gegen die Hochstufung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz."

Debatte über Antrag auf AfD-Verbot

Zwei von drei Deutschen teilen indes die Einschätzung, dass die Ziele der AfD gegen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde gerichtet sind.

Viele Deutsche sind gegen demokratiefeindliche Einstellungen und für ein AfD-VerbotBild: Matthias Schumann/epd/picture alliance

Der Umgang mit der AfD wird dabei zum Thema, dass die deutsche Gesellschaft weiter spalten könnte. Eine Frage birgt für die neue Regierung um Bundeskanzler Friedrich Merz besonders viel Zündstoff: Soll einAfD-Verbot vor dem Bundesverfassungsgericht geprüft werden? Gegner argumentieren, dies würde die gesellschaftliche Spaltung noch weiter befördern und die zehn Millionen Wählerinnen und Wähler der AfD würden so nicht verschwinden. Befürworter pochen darauf, dass Feinde der Demokratie nicht in die Lage versetzt werden sollten, die Demokratie abzuschaffen.

Johannes Kiess, stellvertretender Direktor des Else-Frenkel-Brundwik-Instituts für Demokratieforschung an der Universität Leipzig spricht sich im DW-Interview dafür aus, einen AfD-Verbotsantrag zu prüfen.

"Wie stark können Demokraten mobilisieren und der erfolgreichen rechten Mobilisierung etwas entgegensetzen?" - Johannes KiessBild: Privat

"Wenn es zu dem Ergebnis kommt, dass die AfD die demokratische Grundordnung nicht gefährdet, wird man sich weiter mit ihr in den Parlamenten auseinandersetzen müssen. Wenn man aber zu dem Resultat kommt, ja, sie ist tatsächlich eine Gefährdung, dann werden wir uns zwar trotzdem weiterhin mit dem Thema der gesellschaftlichen Spaltung auseinandersetzen müssen. Aber wir haben zumindest einen Akteur, der diese Spaltung bewusst und mit Absicht fördert, nicht mehr."

Umgang von Journalisten mit der AfD in der Kritik

Die ursprüngliche Neubewertung des Verfassungsschutzes zur AfD hat auch die Debatte befeuert, wie Medien in Zukunft mit der Partei umgehen sollen. Der Deutsche Journalisten-Verband hat diese aufgefordert, ihre Berichterstattung anzupassen und deutlicher zu machen, dass es sich bei der AfD um keine normale Partei aus dem demokratischen Spektrum handle.

Auch Josef Holnburger, Geschäftsführer beim Thinktank CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie) befürwortet, dass die Medien ihre Berichterstattung ändern und nennt ein Muster aus dem Bundestagswahlkampf: Das Thema Migration sei im Vergleich zu anderen Themen überproportional behandelt worden, obwohl die AfD ständig behauptet habe, ihre Themen würden medial keine Rolle spielen.

"Man darf nicht einfach die Punkte der AfD übernehmen und denken, dass sie dadurch kleiner wird" - Josef Holnburger Bild: CeMAS

Er sagt der DW: "Die AfD wird aber nie zufrieden sein mit der medialen Berichterstattung. Deswegen hilft es auch nicht, ihre Themen wieder und wieder aufzugreifen und zu hoffen, die AfD-Wähler damit zu befrieden. Die Partei wird immer die Opferrolle einnehmen und behaupten, ihre Themen würden negativ beleuchtet, auch wenn man ihnen ständig das Mikrofon unter die Nase hält."

Gescheiterte Kanzlerwahl Wasser auf die Mühlen der AfD?

Holnburger plädiert dafür, die AfD nicht größer zu machen, als sie sei. Jüngstes Beispiel: die gescheiterte Abstimmung für Friedrich Merz zum Bundeskanzler im ersten Wahlgang. Der allgemeine Tenor sowohl bei Politikern als auch Journalisten war gewesen, dass die mutmaßlich 18 Abweichler aus Union und SPD, die Merz nicht ihre Stimme gegeben hatten, der Demokratie geschadet und der AfD in die Hände gespielt hätten.

"Die vergeigte Kanzlerwahl strahlte eine gewisse Unsicherheit aus. Und wir wissen, dass die AfD immer gerne auf diese Unsicherheit abzielt und versucht, dies für ihr politisches Kapital zu nutzen. Doch nicht jedes Problem der Mehrheitsfindung und nicht jedes Problem der Regierung ist automatisch ein Gewinn für die AfD", glaubt der Rechtsextremismus-Experte. Die Politik müsse dem künftig ein Erfolgsmodell der Demokratie entgegensetzen, wie jüngst in Kanada und Australien geschehen: "Polarisierung kann eben auch bedeuten, dass solche Kräfte der Vernunft stärker werden."

Friedrich Merz nach dem ersten Wahlgang im Bundestag, bei dem er die Mehrheit verfehlt hatteBild: Ralf Hirschberger/AFP

Deutschland: "Gesellschaft rückt in der Mitte zusammen"

Wenn sich jemand mit dem Thema der gesellschaftlichen und politischen Polarisierung auskennt und wie man diese reduzieren kann, das ist das Adrian Blattner. Er nimmt an der Stanford University gerade dazu drei Länder genau unter die Lupe: die USA, Brasilien und Deutschland. Seine These: die sogenannte "affektive Polarisierung“ hierzulande sei gewachsen. Soll heißen: Das Misstrauen und die Abneigung gegenüber Menschen, die eine andere politische Meinung haben, steigt, ist bislang aber noch nicht so stark ausgeprägt wie in den anderen beiden Staaten. Für Deutschland sieht er zwei Trends:

"Heutzutage haben Unterstützerinnen und Unterstützer der SPD sowie der Union deutlich positivere Einstellungen und Gefühle zueinander als noch vor 30 oder 40 Jahren. In diesem Sinne ist die Gesellschaft in der Mitte zusammengerückt.“ Der zweite Trend: Die negativen Gefühle gegenüber den neuen und kleineren Parteien im Bundestag sei deutlich gewachsen. “Das wird dann problematisch, wenn bislang kleine Parteien wie die AfD ihre Unterstützung stark ausbauen und an politischer Bedeutung und größerer Wählerschaft gewinnen. Dann verläuft der Graben nicht mehr am Rand, sondern in der Mitte der Gesellschaft. “

Bestes Mittel gegen Polarisierung: Dialog und Austausch

Ein Forscherteam der Stanford University hat vor drei Jahren eine vielbeachtete Studie vorgelegt. Grundlage war ein Ideenwettbewerb, wie es am besten gelingen kann, Polarisierung zu reduzieren. 25 Vorschläge wurden in einem Versuch bei 32.000 Personen getestet. Am besten schnitt am Ende ein Werbespot einer Biermarke ab.

"Dort sieht man eine Gruppe von Briten und Britinnen, die komplett unterschiedliche Meinungen vertreten und dann in Gruppen von zwei Personen eine Bar aufbauen sollen. Beide Seiten erfahren aber erst danach, dass sie komplett unterschiedliche Ansichten haben.“ Was das bei den Zuschauern auslöste, war verblüffend, erzählt Blattner der DW: "US-Amerikaner, die dieses Video gesehen haben, waren anschließend deutlich weniger polarisiert, der Effekt hat auch einige Tage nach dem Video noch angehalten.“

"Politik und auch die Gesellschaft müssen von der Entwicklung in Brasilien und den USA lernen" - Adrian BlattnerBild: Privat

Eine Initiative in Deutschland setzt diesen Ansatz mit Erfolg in die Praxis um. Das Medium "Zeit Online“ organisiert seit 2017 das Projekt "Deutschland spricht“: Dabei kommen Menschen mit völlig konträren politischen Ansichten ins Gespräch. Adrian Blattner analysierte die Initiative im Bundestagswahljahr 2021 und kam zu dem Ergebnis, dass die Teilnehmer nach dem Gespräch deutlich positivere Gefühle gegenüber der anderen politischen Gruppe hatten. Er glaubt, dass ein konstruktiver Dialog auch zwischen dem typischen städtischen Grünen-Wähler und dem AfD-Wähler auf dem Land möglich sein kann.

"Gefühlte Polarisierung stärker als tatsächliche"

"Auch einige Grünen- und SPD-Wähler unterstützen eine härtere Migrationspolitik und auch unter AfD-Wählern gibt es Unterstützer von Klimamaßnahmen“, sagt Blattner. Wichtig sei deshalb, nicht die gesamte Wählerschaft einer Partei über einen Kamm zu scheren. "Das ist problematisch, weil sich sonst negative Gefühle gegenüber der anderen Seite verstärken. Man meidet den Kontakt immer mehr, Vorurteile verfestigen sich und es entsteht dadurch ein Teufelskreis der Polarisierung. Wir müssen auch im Privaten Wege finden, weiterhin im Austausch mit Menschen zu bleiben, die andere politische Standpunkte vertreten. Auch wenn es manchmal weh tut.“

Neben dem Umgang mit der AfD sind es vor allem die Themen Migration, Klimaschutz oder auch das Arbeitslosengeld, bei denen sich in Deutschland verschiedene Gruppen scheinbar unversöhnlich gegenüberstehen. Und doch, sagt der Soziologe Johannes Kiess: "Es ist immer noch nicht so wie in den USA, dass ein tiefer Graben existiert, egal, welches Thema man auch aufruft, man entweder auf der einen oder auf der anderen Seite ist." Deutschland sei als gesamte Gesellschaft noch nicht so stark polarisiert wie manchmal getan wird. "Die gefühlte Polarisierung ist viel stärker als die tatsächliche."

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