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Politik

Reaktionen auf die Invasion in Nordsyrien

14. Oktober 2019

Deutschland und die Europäische Union fordern die Türkei auf, die Militäroffensive in Nordsyrien zu stoppen, drohen mit Waffenexportstopp und Wirtschaftssanktionen. Doch Deutschland und die EU scheinen eher machtlos.

Militäroffensive der Türkei in Nordsyrien
Bild: Reuters

Die Kanzlerin hat Klartext gesprochen. Am Sonntag hatte sie ein Telefonat mit Präsident Recep Tayyip Erdogan geführt. Es war der Wunsch der türkischen Seite. Angela Merkel hat in dem rund einstündigen Gespräch eine "umgehende Beendigung der Militäroperation" gefordert. Merkel warnte Erdogan, dass die Offensive ungeachtet berechtigter Sicherheitsinteressen zur Vertreibung größerer Teile der lokalen Bevölkerung führen könnte, erläuterte eine Regierungssprecherin nach dem Telefonat. Außerdem drohten eine Destabilisierung der Region und ein Wiedererstarken der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), hieß es weiter.

Schwierige Partner: Kanzerlin Merkel und Präsident ErdoganBild: picture-alliance/AP Photo/Presidency Press Service

So oder ähnlich hatten sich seit Beginn der türkischen Invasion am Mittwoch auch schon andere Regierungsmitglieder geäußert – fast mantrahaft. An die Spitze der Mahner und Kritiker hatte sich Außenminister Heiko Maas gestellt. Er ließ es nicht bei einer Drohung und verfügte schon am vergangenen Wochenende, dass Deutschland keine weiteren Rüstungsgüter an die Türkei liefern werde. Der Exportstopp bezieht sich jedoch nicht auf ältere Lieferzusagen und gilt auch nur für Güter und Waffen, die im Syrienkonflikt eingesetzt werden könnten.

Opposition kritisiert den Stopp der Rüstungsexporte als "Luftnummer" 

Die Opposition findet diese Haltung halbherzig und verlogen und fordert ein entschlosseneres Handeln der Regierung. Dass die Sanktionen nur künftige Lieferungen betreffe, sei eine "halbherzige Antwort" und werde kaum Auswirkungen zeigen, kritisierte Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock. Eine "Luftnummer" sei die Ankündigung des Außenministers, sagte Sevim Dagdelen von der Partei "Die Linke". Sie sprach von "taktischen Spielchen" der Regierung.

Tatsächlich geht rund ein Drittel der deutschen Waffenexporte an den NATO-Partner Türkei. Ein profitables Geschäft für die deutsche Rüstungsindustrie. Im vergangenen Jahr gingen Waffen im Wert von 242,8 Millionen Euro an das Land. Allein in den ersten vier Monaten 2019 waren es 184,1 Millionen Euro. In diesem Jahr waren es vor allem Güter aus dem sogenannten "maritimen Bereich", also Waffen und Material, das bei der Syrienoffensive nicht eingesetzt werden können, da diese vom Boden und der Luft aus geführt wird.

EU-Diplomatie statt entschlossenes Handeln

Der deutsche Außenminister hatte schon gleich zu Beginn eines EU-Außenministertreffens in Luxemburg am Montag den Ton vorgegeben: "Es ist wichtig, mit der Türkei (…) im Dialog zu bleiben, um auf sie einwirken zu können", sagte Heiko Maas.

Und so fiel dann auch der EU-Beschluss in Luxemburg aus. Auf ein entschlossenes, einstimmiges Waffenembargo aller EU-Staaten konnte man sich nicht einigen. Verwiesen wird lediglich auf die deutlichen Boykott-Signale aus Deutschland und Frankreich. Also: ein bisschen Boykott und ansonsten Reden und Hoffen.

Lager für Syrienflüchtlinge in Islahiye, SüdosttürkeiBild: picture-alliance/AP/L Pitarakis

Flüchtlingsabkommen als Drohung

Die deutsche Regierung und die EU tun sich schwer, massiv und entschlossen gegen die Türkei vorzugehen. Das Land ist NATO- und Handelspartner und wichtiger Bundesgenosse in Sachen Flüchtlinge, den man nicht verprellen möchte. Die Türkei hat seit Beginn des Bürgerkrieges in Syrien rund drei Millionen Flüchtlinge aufgenommen; mehr als jedes andere Land weltweit. In einem Flüchtlingspakt hat die Europäische Union der Türkei rund sechs Milliarden Euro zugesagt, damit das Land Flüchtlinge vor Ort unterstützt. Das Ziel: weitere "Flüchtlingsströme" nach Westeuropa verhindern. Aber die Angst ist spürbar. Ein Sprecher des Innenministeriums beschwichtigt, die deutschen Behörden seien "umfangreich, effektiv und besser als 2015" vorbereitet; also zu Beginn der sogenannten "Flüchtlingskrise".

Präsident Erdogan nutzt diesen Pakt nun gegen Kritiker des Militäreinsatzes in Nordsyrien und droht. An die deutsche Regierung gewandt, hatte er kürzlich in einer Rede Deutschland heftig attackiert: "Steht ihr auf unserer Seite, oder auf jener der Terrororganisation?" Und der türkische Außenminister, Mevlüt Cavusoglu, drohte in einem Interview mit der Deutschen Welle offen damit, Millionen syrische Flüchtlinge aus der Türkei über die Grenze nach Europa zu lassen: "Natürlich liegt diese Option auf dem Tisch".

Deutsche Kurden protestieren in Frankfurt a.M. am Wochenende gegen die türkische MilitäroffensiveBild: Reuters/R. Orlowski

Angst vor türkisch-kurdischer Gewalt in Deutschland

Die Militärinvasion in Nordsyrien sorgt noch aus einem anderen Grund in Deutschland für große Sorgen. Das wurde schon gleich in den ersten Tagen nach Beginn der Offensive klar: Protestdemonstrationen auf den Straßen vieler Großstädte. In Deutschland leben rund drei Millionen Menschen, die einen türkischen Migrationshintergrund haben oder deren Wurzeln in der Türkei liegen. Viele von ihnen unterstützen die Invasion von Präsident Erdogan. Dem stehen rund 1,2 Millionen kurdischstämmige Menschen gegenüber, die der türkischen Regierung eher kritisch gegenüberstehen und schon zu Tausenden auf die Straßen gegangen sind, um gegen die Invasion zu protestieren. Die Polarisierung wird zunehmen, sind sich Experten einig und befürchten, dass der Protest schnell gewalttägig werden könnte.

Die türkische Militärinvasion in Nordsyrien hat die deutsche Regierung erkennbar in die Bredouille gebracht.

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