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Deutschland und die Frage nach Atomwaffen

16. März 2025

Noch sind US-Atombomben in Deutschland stationiert. Aber Donald Trumps Abkehr von Europa schwächt die nukleare Abschreckung. Könnte Frankreich aushelfen?

Ein F-16 Kampfjet im Flug vor blauem Himmel
Beim NATO-Manöver "Steadfast Noon" wird die nukleare Abschreckung in Europa trainiertBild: KENZO TRIBOUILLARD/AFP/Getty Images

Auf die zustimmende Antwort aus Berlin hat Emmanuel Macron länger warten müssen. Bereits mehrfach hatte der französische Präsident angeboten, mit Deutschland über die nukleare Abschreckung in Europa zu reden - auf Basis der französischen Atomwaffen. Bisher war er damit abgeblitzt.

Das ändert sich nun: CDU-Chef Friedrich Merz, der wahrscheinliche nächste Bundeskanzler, ist zum Dialog bereit. Mit Donald Trump im Weißen Haus, der den europäischen Verbündeten den militärischen Schutz der USA entziehen könnte, hat sich die Lage dramatisch geändert. Merz will mit den Atomwaffenstaaten Frankreich und Großbritannien über die nukleare Abschreckung in Europa reden. Und rennt damit in Paris offene Türen ein.

Präsident Emmanuel Macron, Oberbefehlshaber über die französischen Atomstreitkräfte, bietet den Europäern einen Dialog über die nukleare Abschreckung anBild: Bob Edme/AP Photo/picture alliance

"Nukleare Teilhabe": US-Atombomben in Deutschland

Seit Jahrzehnten stellt sich Deutschland unter den Atomwaffen-Schirm der USA. Bis zu 20 US-Atombomben lagern in Deutschland. Den Code zur Freigabe der Bomben besitzt allein der US-Präsident. Jedoch stellt die Bundeswehr die Kampfflugzeuge, die sie im Ernstfall zum Ziel fliegen könnten. "Nukleare Teilhabe" nennt die NATO diese gemeinschaftlich organisierte Abschreckung mit US-Atomwaffen, an der auch andere europäische Länder beteiligt sind.

Sicherheitsexperten rechnen nicht damit, dass die USA ihre Nuklearwaffen in naher Zukunft aus Europa abziehen werden. "Ich halte das nicht für ein unmittelbar bevorstehendes Szenario, weil die NATO und auch die nukleare Teilhabe für die USA aus verschiedenen Gründen von großer strategischer Bedeutung sind", sagt Sascha Hach, Experte für europäische Sicherheit und Rüstungskontrolle am Peace Research Institute Frankfurt (PRIF). "Aber man kann es nicht ausschließen." Einer der strategischen Vorteile für die USA von Nuklearwaffen in Europa sei die Reaktionsmöglichkeit gegenüber russischen Aggressionen.

Deutschland darf keine eigenen Atomwaffen besitzen

Aber auch wenn die US-Bomben vorerst in Europa bleiben: Schon die Zweifel, die Trump am Beistandsversprechen der USA in der NATO sät, richten Schaden an. Sie unterminieren die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung. Deutschland, das sich immer stark auf die USA gestützt hat, will seine Sicherheitspolitik jetzt neu ausrichten. Die Bundeswehr soll schneller als geplant aufgerüstet werden.

Die Luftaufnahme von 2008 zeigt den deutschen Fliegerhorst Büchel mit dem angrenzenden Depotgelände, auf dem die US-amerikanischen Atombomben lagern sollen Bild: Thomas Frey/dpa/picture-alliance

Auch über den Atomschirm wird debattiert. Taugt er unter diesen Umständen noch zur Abschreckung gegen das große Nuklearwaffenarsenal Russlands mit mehr als 5500 Sprengköpfen? Eigene Atomwaffen darf Deutschland nicht besitzen. Das legt unter anderem der "Zwei-plus-Vier-Vertrag" zur Wiedervereinigung von 1990 fest.

In Europa verfügen nur Großbritannien und Frankreich über eigene Atomwaffen, innerhalb der Europäischen Union allein Frankreich. Eine engere Zusammenarbeit böte sich also an. Aber es gibt Einschränkungen: Die britischen Atomstreitkräfte sind eng mit den USA verzahnt und stünden im Konfliktfall der NATO zur Verfügung. Anders ist die Situation in Frankreich, das größten Wert auf die Eigenständigkeit seiner Atomstreitkräfte legt. Sie sind nicht den gemeinsamen Kommandostrukturen der NATO unterstellt.

See- und luftgestützte Atomstreitkräfte

Frankreich besitzt schätzungsweise 290 Atomsprengköpfe, die entweder von Atom-U-Booten oder von Rafale-Kampfjets aus abgefeuert werden können. Die Atomstreitkräfte, auch "Force de frappe" genannt, sollen die "vitalen Interessen" des Landes schützen. Nach französischer Lesart stärken sie gleichzeitig die Sicherheit Europas, indem sie die Kalkulation von möglichen Gegnern erschweren.

Französische Rafale-Kampfjets können Marschflugkörper mit Nuklearsprengköpfen abfeuernBild: PUNIT PARANJPE/AFP/Getty Images

Wie genau könnte eine Zusammenarbeit also aussehen? Zunächst einmal gehe es um einen intensiven Austausch über das Thema, heißt es in Paris. Informationen über den Umgang und die strategische Planung mit Atomwaffen sind brisant. Frankreich verfügt hier über jahrzehntelange Erfahrung, die Deutschland naturgemäß nicht hat.

Vorstellbar seien auch gemeinsame Übungen der deutschen und französischen Luftwaffe, sagt der französische Sicherheitsexperte Camille Grand vom European Council on Foreign Relations. Das könne auch Landungen französischer Rafale-Jets in Deutschland einschließen. Eine Stationierung französischer Atomwaffen-Kampfjets oder anderer nuklearer Infrastruktur in Deutschland, über die in einigen Medien spekuliert wurde, sei hingegen nicht geplant. Davon sei man noch weit entfernt.

Die Kommandogewalt bleibt beim französischen Präsidenten

Dass andere Länder unmittelbar an den eigenen Atomwaffen partizipieren, so wie es die NATO mit der nuklearen Teilhabe praktiziert, kommt für Frankreich nicht infrage. "Es ist ein Fehler anzunehmen, dass die französischen Nukleargarantien den US-amerikanischen Nukleargarantien gleichen würden", unterstreicht Camille Grand im Gespräch mit der DW. 

Die französische Regierung hat immer klargemacht: Die Entscheidung über den Einsatz von Atomwaffen wird sie nicht aus der Hand geben. "Was auch immer geschieht, die Entscheidung lag und liegt immer in den Händen des Präsidenten der Republik, des Oberbefehlshabers der Streitkräfte", betonte Emmanuel Macron Anfang März in seiner Rede an die Nation.

Was kann Europa tun?

Nicht nur die französischen, auch die britischen Nuklearstreitkräfte sind stark auf die nationale Verteidigung ausgerichtet. Das Vereinigte Königreich ist der einzige nuklear bewaffnete Staat, der nur über einen einzigen Typ von Atomwaffen verfügt. Die nukleare Abschreckung des Landes ist komplett seegestützt. Sie basiert auf vier Atom-U-Booten, die an der Westküste Schottlands stationiert sind.

Die Nuklearstreitkräfte des Vereinigten Königreichs bestehen aus vier U-Booten, von denen eines in der Regel auf Patrouille istBild: James Glossop/The Times/empics/picture alliance

All das begrenzt die Möglichkeiten, diese Waffen in naher Zukunft in den Dienst einer breiter organisierten europäischen Nuklearverteidigung zu stellen. Vorstellbar sei ein stärkerer strategischer Dialog oder auch eine "politische Erklärung, dass das französische und britische Nukleardispositiv im Ernstfall auch zur Verteidigung europäischen Territoriums genutzt wird", sagt Sicherheitsexperte Sascha Hach im Gespräch mit der DW. "Aber dass sich die Nuklearstreitkräfte in Frankreich und in Großbritannien so entwickeln, dass sie auf eine europäische Verteidigung zugeschnitten würden, das halte ich für unrealistisch."

Zahl der Atombomben nicht entscheidend

In Deutschland betont auch Friedrich Merz, dass es nicht um einen Ersatz für die US-Atomwaffen in Europa geht, sondern um eine Ergänzung. Nicht nur wegen ihres Nuklearwaffenarsenals gelten die USA in der NATO derzeit als nicht ersetzbar, sondern auch wegen anderer spezieller Fähigkeiten, die nur sie haben. Dazu gehören direkte Kontakte mit russischen Kommandostellen und Meldesysteme bezüglich ballistischer Raketenstarts. All das hilft, unbeabsichtigte Eskalationen zu vermeiden.

"Wenn wir in Europa jetzt gerade darüber diskutieren, wie wir ohne die USA weitermachen, konzentrieren wir uns immer darauf, ob wir genug Bomben haben", kritisiert Hach. Dabei werde vernachlässigt, dass wichtige andere Absicherungsmechanismen ohne die USA verlorengehen könnten, etwa direkte militärische Kontakte zur Gegenseite. "Da würde ich schon sagen: Es ist im Interesse Europas, ähnliche Strukturen und Mechanismen aufzubauen, über die wir auch die Kontrolle haben."