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Politik

Deutschland und die "IS"-Kinder

Esther Felden | Matthias von Hein
3. Oktober 2018

Erst zogen sie für den IS in den Dschihad. Jetzt kommen viele zurück nach Deutschland, vor allem ins Bundesland Nordrhein-Westfalen. NRW-Verfassungsschutzchef Freier sorgt sich um radikalisierte Frauen und Kinder.

Burkhard Freier
Bild: picture-alliance/dpa

Militärisch ist der sogenannte "Islamische Staat" weitestgehend besiegt. Auf ihrem Höhepunkt kontrollierte die salafistische Terrormiliz im Irak und in Syrien ein Gebiet von der Größe Großbritanniens. Das "Kalifat" von Abu Bakr al-Baghdadi zog islamistische Kämpfer und Unterstützer aus der ganzen Welt an. Allein aus Deutschland reisten nach Zahlen des Bundesverfassungsschutzes rund 1000 Islamisten ins IS-Gebiet. Der in der Deradikalisierung tätige Psychologe Achmad Mansour geht sogar von doppelt so vielen Ausreisen aus.

Von etwa 150 deutschen Ausgereisten weiß man, dass sie in der Region umgekommen sind. Über 300 sind mittlerweile wieder in Deutschland. In naher Zukunft ist damit zu rechnen, dass weitere deutsche IS-Anhänger zurückkehren werden – aus der Gefangenschaft oder weil ihnen die Flucht nach Hause gelingt. Bei der Mehrzahl der bisherigen Rückkehrer liegen den Behörden keine belastbaren Informationen darüber vor, ob sie aktiv an Kämpfen teilgenommen haben. Gegen immerhin zwei Dutzend Rückkehrer hat der Generalbundesanwalt Ermittlungen eingeleitet.

Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) gibt es eine besonders große Szene extremistischer Salafisten. Sie wird auf rund 3000 Menschen geschätzt, von denen fast 800 als gewaltbereit gelten. Nach Angaben des dortigen Landesverfassungsschutzes sind allein aus NRW über 250 Menschen ins IS-Gebiet ausgereist. Bemerkenswert: Mehr als ein Viertel davon waren Frauen. Frauen spielen in der salafistischen Szene insgesamt eine wachsende Rolle: bei der Vernetzung, bei der Missionierung und bei der Weitergabe ihrer islamistischen Ideologie an Kinder.

Im Gespräch mit der Deutschen Welle erklärt der Präsident des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen, Burkhard Freier, warum eine neue Generation von Salafisten heranzuwachsen droht.

Deutsche Welle: Herr Freier, wie schätzen Sie die Gefahr durch Rückkehrer ein?

Burkhard Freier: Die Gefahr durch Rückkehrer ist hoch. Zum einen, weil viele Rückkehrer kampferfahren sind. Sie sind hoch ideologisiert und vor allen Dingen haben sie gelernt, Netzwerke auch außerhalb Deutschlands einzurichten und zu pflegen. Einige Rückkehrer sind eher traumatisiert, manche sogar desillusioniert. Die meisten Rückkehrer aber sind nach wie vor ideologisch sehr stark in der Szene vernetzt. In Fällen, in denen die Einleitung eines Strafverfahrens und eine Inhaftierung nicht möglich ist, kehren Rückkehrer häufig in die Szene zurück. Dort sind sie dann oft so etwas wie Vorbilder und Helden.

Zu den Rückkehrern gehören viele Frauen, zum Teil auch mit Kindern. Wie sollte die Gesellschaft mit ihnen umgehen?

Die Rückkehr von Frauen und Kindern ist eine besondere Herausforderung. Seit Anfang 2018 kehren viele Frauen mit Kindern zurück - weniger die Männer, weil die noch inhaftiert sind oder sich weiterhin in den Rest-Gebieten des IS verstecken. Viele zurückkehrende Frauen haben nicht etwa genug vom IS oder von dessen Ideologie, sondern sie haben eher genug von den Haftbedingungen oder von den hygienischen Verhältnissen.

Auch diese Frauen kehren wie die Männer zu einem großen Teil in ihr altes salafistisches Umfeld zurück. Und da sehen wir die Gefahr, dass diese Frauen ihre Kinder nach wie vor ideologisch sehr fundamentalistisch und auch sehr extremistisch erziehen. Das geht bis hin zu Kinderspielzeug - Zählen und Buchstabieren lernen sie mit Waffen und mit Kriegsmaterial. Kinderlieder sind nicht gewollt. Die Frauen schicken ihre Kinder auch nicht in den Kindergarten. Sie schotten sich ab und bilden ihre eigene Szene.

Hier wächst aus unserer Sicht eine nächste Generation von Salafisten heran. Auch die zurückkehrenden Frauen fungieren wie die Männer häufig als Vorbilder oder als Vorzeige-Frauen. Deswegen haben die Sicherheitsbehörden sehr enge Kontakte mit den Jugendämtern und erklären ihnen: Was ist Salafismus? Wer kommt da zurück? Um diese Kinder und um die Familien muss man sich besonders intensiv kümmern.

Welche Personengruppen fühlen sich von der salafistischen Ideologie besonders angesprochen?

Wenn wir uns die Szene anschauen, fallen charismatische Führungspersonen auf, die aus tiefer religiöser Überzeugung, aber eben auch aus einer extremistischen Überzeugung heraus nicht nur den Salafismus predigen, sondern eigentlich den Umsturz oder die Veränderung unseres Staatsgefüges. Sie werben für die Abschaffung des Grundgesetzes, für eine andere Gesellschaftsordnung, für die von ihnen propagierte salafistische Gesellschaftsordnung.

Burkhard Freier: "Das ist verführerisch - insbesondere für junge Menschen, die nicht glauben, in dieser Gesellschaft  Fuß fassen zu können."Bild: picture-alliance/chromorange/R. Peters

Unterhalb dieser Führungsebene gibt es viele Personen, die nicht unbedingt aus religiösen Gründen in der Szene sind. Sie suchen nach Anerkennung, sozialer Wärme oder einfach nur Orientierung. Und der Salafismus ist eine Schwarz-Weiss Ideologie, die sehr stark polarisiert. Er hat ein sehr einfaches Weltbild mit klaren Regeln und einem klaren Ziel. Da hat man schnell eine Orientierung und schnell einen Lebensweg. Das ist verführerisch - insbesondere für junge Menschen, die nicht glauben, in dieser Gesellschaft  Fuß fassen zu können.

Wir sehen auch bei Flüchtlingen, die aus einer anderen Kultur kommen: Bevor sie wirklich integriert sind, sind sie leicht verführbar. Auch, weil sie den Salafismus und die extremistische Religion gar nicht als große Gefahr ansehen. Hier ist die Gesellschaft besonders gefordert, Flüchtlingen zu helfen, sie nicht in den Salafismus rutschen zu lassen, sondern ihnen einen Weg in die Demokratie zu ebnen. Das ist aufwendig. Das kostet auch viel Zeit. Aber es ist wichtig.

Wenn jemand aussteigen will: wie schwer ist das?

Wir bieten für Salafisten ein Ausstiegsprogramm an. Das hat zwei große Bestandteile. Das eine ist der ideologische Teil: Wir müssen versuchen, sie aus der Ideologie herauszuholen. Und der zweite Teil ist: Wir müssen sie in die Gesellschaft zurückholen. Das ist der soziale Teil: die Beratung zu Wohnung, Arbeit, Familie, Umfeld. Der Aussteiger muss ja wieder lebensfähig sein in einer Demokratie.

So ein Ausstieg dauert drei bis fünf Jahre, ist äußerst aufwendig und hat auch immer damit zu tun, dass wir nicht nur die Person aus der Szene rausholen, sondern dass wir sie auch vor der Szene schützen. Manchmal muss sogar ein anderer Wohnort her, damit jemand die Möglichkeit hat, sich in der Demokratie wieder zurechtzufinden und zu leben.

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