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Politik

Deutschland und die Kurden

9. Oktober 2019

Die deutsche Regierung hatte die Türkei vor ihrer Offensive gewarnt und unterstützt die kurdischen Peschmerga weiterhin. Der Militäreinsatz könnte gravierende Auswirkung auf die deutsche Innen-und Außenpolitik haben.

Türkei Hatay Militärkonvoi an der Grenze zu Syrien
Bild: picture-alliance/AA/H. T. Karakaya

Die Bundesregierung hatte sich noch wenige Stunden zuvor an Ankara gewandt. Auf Nachfrage der Deutschen Welle sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Christofer Burger, "dass wir die türkische Regierung als Bundesregierung wiederholt nachdrücklich aufgefordert haben, von einer militärischen Intervention im Nordosten Syriens abzusehen. Eben weil wir befürchten, dass eine solche Intervention die Lage in der Region weiter zu destabilisieren droht, ein Wiedererstarken des IS (Islamischer Staat) befördert und Bedingungen schaffen könnte, die zu neuen Fluchtbewegungen führen." Außenminister Heiko Maas wurde nach Beginn der Aktion noch deutlicher: "Wir rufen die Türkei dazu auf, ihre Offensive zu beenden und ihre Sicherheitsinteressen au friedlichem Weg zu verfolgen."

Kurdenmilizen im Kampf gegen den Islamischen Staat

Kurdische Milizen im Nachbarland Irak sind schon vor Jahren mit Unterstützung der USA und Deutschlands in den Kampf gegen den IS gezogen. Die kurdischen Verbündeten stehen nach dem Abzug des amerikanischen Militärs und der Beginn der Offensive nun allein da und wollen sich wehren.

Der Bundesvorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, Mehmet Tanriverdi, fordert nun schnelles Handeln der deutschen Regierung. Im Gespräch mit der Deutschen Welle setzt er sich für einen Stopp aller Kriegswaffenlieferungen an die Türkei ein. Berlin könne außerdem drohen: "Herr Erdogan, wir werden die Mitgliedschaft der Türkei in der NATO in Frage stellen."

Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer beim Peschmerga-Training im Irak (21.9.2019)Bild: Getty Images/AFP/S. Hamed

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte den kurdischen Partnern Deutschlands im Nordirak schon am Dienstag weitere Unterstützung zugesagt. Die Entwicklung zeige, dass die Bundeswehr den Einsatz im Nordirak auf jeden Fall fortsetzen müsse, "dass wir die Kurden im Raum Erbil weiter ertüchtigen müssen, weiter autark aufstellen müssen". Die Verteidigungsministerin hatte erst vor kurzem die Bundeswehrmission im Irak besucht und möchte, dass der Einsatz verlängert wird. Das Mandat endet im Oktober. Das letzte Wort hat allerdings der Bundestag.

Ausbildungsmission und humanitäre Hilfe für Kurden im Irak

Die Bundesregierung unterstützt den Kampf der Kurden gegen den Islamischen Staat bereits seit Sommer 2014. In Syrien selbst hat die Bundeswehr keine Bodentruppen im Einsatz. Aber mit der Ausbildungsunterstützung wollte Berlin die kurdischen Peschmerga-Einheiten im Nordirak für den Kampf gegen den Islamischen Staat rüsten. Die Peschmerga sind die Streitkräfte der Autonomen Region Kurdistan im Irak. Das Mandat dazu hat der Bundestag immer wieder verlängert. Die deutsche Regierung hat auch Waffen an die Peschmerga geliefert, was der türkischen Regierung schon immer ein Dorn im Auge war. Panzerfäuste, Maschinenpistolen, Funkgeräte, sogar Raketen, aber auch ganze Feldküchen wurden an die Kurdenmiliz geliefert. Die Waffen hätten einen Wert von rund 70 Millionen Euro, berichtete der "Spiegel".

Deutschland hat zudem immer wieder humanitäre Hilfe für die leidenden Menschen geleistet, vor allem für Flüchtlinge aus dem kurdischen Teil des Irak.

Ein Sprecher der Bundesregierung bezifferte die Hilfszahlungen auf rund 50 Millionen Euro seit 2017. Die Mittel würden vor allem für die Stabilisierung der vom IS befreiten Gebiete zur Verfügung gestellt. 

Angst vor Protesten, deutschen IS-Kämpfern und Flüchtlingen

Schon am Dienstag waren in Berlin wütende Kurden auf die Straße gegangen, um gegen den drohenden Angriff der türkischen Armee auf das syrische Kurdengebiet zu protestieren. Die kurdische Autonomieverwaltung hat weltweit zu Protesten aufgerufen.

Weltweite Kurdenproteste - wie dieser in Syrien - sind angekündigtBild: Getty Images/AFP/D. Souleiman

Hundertausende Kurden leben in Deutschland – und viele sympathisieren mit den Kurdenkämpfern der YPG. Die Befürchtung der deutschen Sicherheitsbehörden ist, dass sich die Proteste ausweiten könnten und dabei auch Symbole der verbotenen PKK gezeigt werden. Das ist zwar in der ganzen EU verboten, führt aber in Deutschland immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen PKK-Sympathisanten und der Polizei. Im Interview mit der Deutschen Welle forderte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, die Protestler zur Besonnenheit auf: "Bleibt bitte friedlich! Es gibt kein Recht auf gewalttägige Aktionen."

Und dann wäre da noch eine andere Sorge: Was passiert, wenn im Kurdengebiet die Lage außer Kontrolle gerät und die Gefängnisse nicht mehr bewacht werden können? Rund 12.000 IS-Kämpfer sitzen dort ein, darunter, so das Bundesinnenministerium, über 100 aus Deutschland. Sie könnten fliehen, auch zurück in ihre Heimat.

Menschenrechtler und die Gesellschaft für bedrohte Völker glauben, dass es bei einem türkischen Angriff in Nordsyrien Hundertausende Flüchtlinge geben könnte. Wahrscheinlich ist, dass viele Menschen nach Osten fliehen, in die kurdische Autonomieregion im Irak. Nicht wenige werden möglicherweise auch nach Europa fliehen.

Streit um Aufklärungsflüge

Deutsches Tornado-Flugzeug mit AufklärungskamerasBild: picture-alliance/dpa/J. Eisele

Die türkische Offensive bringt die deutsche Regierung nun noch auf einem weiteren Gebiet in die Bredouille. Schon seit 2016 unterstützt die Bundeswehr den Kampf gegen den IS mit Tornado-Aufklärungs- und mit Tankflugzeugen. Die Tornados sind in Jordanien stationiert und liefern Luftaufklärungsbilder für die NATO; also auch an das NATO-Mitglied Türkei. "Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt, an dem man aufhören muss, der Türkei Bilder zu liefern, mit denen sie ihren völkerrechtswidrigen und auf Eskalation angelegten Krieg in Syrien führen kann", kritisierte schon vor Tagen der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Omid Nouripour, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. 


Der Beginn der Militäroffensive der Türkei in Nordsyrien ist auch für Deutschland eine außenpolitische Herausforderung. Und die hat gerade erst begonnen. 

 

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