Steinmeier in Israel: Schwieriger Besuch bei Freunden
15. Mai 2025
Israels Präsident Izchak Herzog kam mit seiner Frau Michal nach Berlin, eineinhalb Tage später reisten die beiden sowie Deutschlands Präsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender nach Jerusalem. In ein erschüttertes und bedrohtes Land. Stunden nach der Ankunft musste auch die deutsche Delegation angesichts eines drohenden Raketenbeschusses aus dem Jemen in den Schutzraum ihres Hotels flüchten.
Fast wären die Präsidenten-Paare auch in einem Flugzeug gemeinsam geflogen. Das scheiterte wohl nicht an politischen Vorbehalten, sondern an Sicherheitsaspekten. Auch so hat es eine Symbolik. Wenngleich Herzog und Steinmeier, die einander seit rund 20 Jahren kennen, getrennt unterwegs sind, treten sie gemeinsam freundschaftlich auf.
Wenn Deutschland und Israel feiern, heißt das auch: gedenken. Am Montagnachmittag stehen beide, Steinmeier und Herzog, jeweils mit ihren Ehefrauen, an Gleis 17 des Berliner S-Bahnhofs Grunewald. Sie stehen auf den alten Schienen, während der Berliner Rabbiner Yehuda Teichtal ein Trauergebet vorträgt, neben Kränzen mit Schleifen in ihren Nationalfarben. Hier im Südwesten der Hauptstadt, wo gerade der frische Frühsommer-Tag so idyllisch wirkt.
Von 1941 bis 1945 transportierten die Nationalsozialisten von Gleis 17 aus rund 50.000 jüdische Berliner gen Osten, in den Tod. An der einstigen Bahnsteigkante wird jeder Zug, der hier startete, mit der Zahl der Menschen, die aus dem Leben weggekarrt wurden, aufgelistet. Nirgendwo sonst in Berlin wird das Grauen der Judenverfolgung so konkret. Es ist eine Vergangenheit, die nie vergeht.
Deutschland und Israel - das ist auch in diesen Tagen ein gemeinsames Unterwegs-Sein, das mit bedrückendem Erinnern zu tun hat. Das wurde zum 60. Jahrestag der Aufnahme von vollen diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik am 12. Mai 1965 bei einem anderen Gedenken spürbar.
"Wunder der Versöhnung zwischen Deutschland und Israel" - Steinmeier spricht im Bundestag
Am 8. Mai hatte Steinmeier im deutschen Parlament gesprochen, 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges (1939-1945) und des Nazi-Terrors in Europa. In seiner Rede erwähnte er das "Wunder der Versöhnung zwischen Deutschland und Israel", auch, "dass jüdisches Leben wieder Teil unseres Landes werden konnte". Von den "Lehren aus der Katastrophe" ist die Rede, von der Erfahrung "von Wiederaufbau und Versöhnung" und auch der "Achtung des Völkerrechts".
Aspekte, die auch während der deutsch-israelischen Tage deutlich anklangen. Dass Israel Deutschland die Hand gereicht habe, sei "ein politisches Wunder, ein menschliches Wunder", sagte Steinmeier einige Tage später bei einem festlichen Abendessen in Schloss Bellevue.
Waren die 20 Jahre vom Ende der Nazi-Zeit und dem systematischen Massenmord an den Juden bis zum diplomatischen Miteinander von Israel und der Bundesrepublik eine lange Zeit? Immer wieder wurde in diesen Tagen auf die herausragende Bedeutung einer ersten Begegnung der Regierungschefs David Ben-Gurion (1886-1973) und Konrad Adenauer (1876-1967) im Jahr 1960 in New York verwiesen. Und doch kam Steinmeier auch mehrmals darauf, dass nicht die Politik allein die Annäherung bewirkt habe, sondern Menschen, die den nächsten Schritt wagten.
Was 1960 als politische Absicht begonnen habe, so der Bundespräsident, "musste gesellschaftlich wachsen. Es waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Gewerkschafter, Lehrkräfte, Schüler, Studierende, die begannen, Brücken zu schlagen. Es waren die vielen kleinen Schritte - von Jugendbegegnungen bis zu Städtepartnerschaften, von Studienreisen bis zu Kulturaustausch - die zu einer Annäherung über den Abgrund der Geschichte führten."
So führte Steinmeier in Jerusalem auch ein langes Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern der israelischen Zivilgesellschaft. Das Land ist, nicht erst seit dem Terror des 7. Oktober 2023, tief gespalten. Und vielleicht war auch sein Besuch im Kibbuz Be'eri ein wenig der "Annäherung über den Abgrund der Geschichte" gewidmet.
Bewegende Szenen im vom Hamas-Terror betroffenen Kibbuz Be'eri
Wieder Kränze, wieder Gedenken, wieder Fast-schon-Sommer-Sonne - gut 3.000 Kilometer südöstlich stehen die beiden Präsidenten und ihre Ehefrauen wieder zusammen, Arm in Arm, fast umschlungen. Minuten später ringen die beiden Präsidenten-Frauen am Mikrofon um Worte. Als Michal Herzog eine kurze Rede schluchzend-weinend beendet, umfasst Elke Büdenbender sie, beide halten einander. Weit oben hört man Fluglärm, viel näher das Schnarren einer Drohne.
Die Präsidenten sind im Kibbuz Be'eri am Rand der Negev-Wüste, nah an der Grenze zum Gazastreifen. Als am 7. Oktober 2023 der Terrorangriff der radikal-islamistischen Hamas auf Israel begann, traf er bald Be'eri, schlimmer als jeden anderen Kibbuz. Hier ermordeten Terroristen 132 Menschen, darunter 102 Bewohner des Gemeinschaftsdorfes. Immer noch stehen Besucherinnen und Besucher in Trümmern und Überbleibseln von Haushalten, die den plötzlichen Tod erkennen lassen.
Be'eri - das ist das Grauen. Das erzählen Menschen wie der 37-jährige Yuran Haran, dessen Vater und Tante ermordet, dessen Mutter ebenso wie weitere Verwandte nach Gaza entführt wurden. Oder die 45-jährige Sharon Cohen, die mit ihrem Mann und den vier Kindern im Schutzraum ihres Hauses die Attacke überlebte. "Wir hatten schon Abschiedsnachrichten an Familie und Freunde geschickt", sagt sie. Erst Tage später war klar, dass ihre Schwiegereltern, eine Tante ihres Mannes und ein Cousin ermordet waren. Nun hoffen sie auf deutsche Hilfe für die noch in Gaza verbliebenen 58 Geiseln, von denen wahrscheinlich nur noch wenige leben.
Haim Yellin, 66 Jahre, ehemals so eine Art Regional-Bürgermeister, einer der Kibbuzniks, steht zwischen den Ruinen. "Plötzlich müssen wir hier irgendwo ein neues Yad Vashem aufbauen, eine neue Gedenkstätte", sagt er unter Bezug auf die zentrale Holocaust-Gedenkstätte in Israel. Seine einzige Hoffnung sei, dass es auf palästinensischer Seite "eine neue Erziehung gibt", sagt Yellin, der als junger Bursche - wie viele der Älteren hier - zum Baden oder Fischessen an den Strand nach Gaza fuhr.
Steinmeier besuchte Be'eri bereits Ende November 2023 kurz nach dem Massaker. Damals sagte er zu, dass Deutschland helfen werde, das Kulturzentrum des Ortes neu aufzubauen. Nun kehrt er zurück, weil der konkrete Bauplan vorgestellt wird, weil er mit Präsident Herzog einen Olivenbaum pflanzt.
Es ist eine sehr eigentümliche Atmosphäre. Die zahlreichen Personenschützer wirken während des gesamten Aufenthalts in Be'eri angespannt wie selten. Man hört die Überwachungsdrohne. Und bald nach der Pflanzung des Olivenbaums erschreckt einen ein mehrmaliges dunkles Wummern, das an Bombenabwürfe denken lässt. Bis zum Gazastreifen sind es kaum vier Kilometer. In Gaza herrscht Krieg. In seiner spontan wirkenden Rede sagt der Präsident: "Gleichzeitig hören wir heute ganz real die Einschläge in Gaza und wissen, auch dort leiden Unschuldige, auch dort sterben Kinder."
Nur leise Kritik an Israels Vorgehen im Gazastreifen
Was kann Politik sagen rund um einen formellen 60. Jahrestag, während Experten ganz aktuell von einer humanitären Katastrophe in Gaza warnen, vor dem Aushungern der Zivilbevölkerung? Während israelische Hardliner nicht nur aus den rechtsextremen Parteien in den Reihen der Netanjahu-Koalition von der Vertreibung der zwei Millionen Menschen aus Gaza phantasieren? Viele in Deutschland würden sich schärfere Worte der Politik angesichts der fürchterlichen Bilder und des zehntausendfachen Sterbens in Gaza wünschen.
In Berlin waren sich Steinmeier und Herzog nicht einig in der Bewertung der israelischen Politik gewesen. Herzog nannte da sein Land "Schutzwall der Freiheit" und "der Menschlichkeit". Bundespräsident Steinmeier hatte Israel indes erneut aufgefordert, umgehend die Lieferung von Hilfsgütern an die notleidende Bevölkerung im Gazastreifen zu ermöglichen. "Die Blockade für Hilfsgüter muss aufgehoben werden, humanitäre Hilfsgüter, medizinische Hilfsgüter - nicht irgendwann, sondern jetzt."