1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Deutsch-polnische Beziehungen: Tiefpunkt?

Wojciech Szymanski
23. Juni 2022

Berlin und Warschau sollten aufeinander zugehen, statt sich gegenseitig Vorhaltungen zu machen, sagt der Polen-Beauftragte der Bundesregierung, Dietmar Nietan (SPD), im DW-Interview.

Polen I Anti-Deutschland Demonstration vor der deutschen Botschaft in Warschau
Protest gegen die deutsche Russland-Politik vor der deutschen Botschaft in Warschau am 23.03.2022Bild: M. Gwozdz-Pallokat

Deutsche Welle: Wenn Sie sich derzeit die deutsch-polnischen Beziehungen anschauen - machen Sie sich dann Sorgen?

Dietmar Nietan: Ich mache mir keine Sorgen um die deutsch-polnischen Beziehungen. Aber ich weiß, dass die Beziehungen noch besser werden könnten, als sie es zurzeit sind. Und das sollte Ansporn sein für alle Verantwortlichen in der Politik, ob in Polen oder in Deutschland, parteitaktische oder innenpolitische Erwägungen beiseite zu schieben und sich anzustrengen, dass Deutschland und Polen so eng, wie es nur geht, zusammenarbeiten. Denn angesichts der Bedrohung durch Wladimir Putin und den Kreml kommt es darauf an, dass Deutschland und Polen insbesondere in der EU, aber nicht nur dort besonders eng zusammenarbeiten.

Der SPD-Politiker und Polen-Beauftragte der Bundesregierung, Dietmar NietanBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Noch vor Beginn des Krieges gegen die Ukraine konnte man hören, dass Polen und Deutschland momentan mehr trennt, als verbindet. Der Krieg und die deutsche Haltung zum Thema Militärhilfe für die Ukraine bedeutet nun eine noch größere Belastung für die Beziehungen. Es gibt Stimmen, die sagen, dass der Ruf Deutschlands in Polen ruiniert wurde. Sehen Sie das auch so?

Ich bin Realist und ich weiß, dass viele Menschen in Mittel- und Osteuropa von Deutschland enttäuscht sind. Ich glaube, dass es einen Kern von Gründen gibt, bei denen ich die Enttäuschung nachvollziehen kann. Ich glaube aber auch, dass ein großer Teil der Enttäuschung auf Missverständnissen beruht. Nord Stream 2 wurde in den Zeiten der von Angela Merkel geführten Bundesregierungen gebaut. Sie wurde von der Ampel-Bundesregierung unter der Leitung von Olaf Scholz gestoppt. Nach 16 Jahren Verantwortung von CDU/CSU-Verteidigungsministerinnen und -ministern ist die Bundeswehr in ihrem jetzigen schlechten Zustand. Es war der Vorschlag des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Scholz, die Bundeswehr mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro so auszustatten, dass sie ihren Verpflichtungen auch gut gerüstet nachkommen kann.

Schuld sind nur die Vorgänger?

Eines muss man jedenfalls klar sagen: Die Politik, welche die Staaten in Mittel- und Osteuropa schon viele Jahre zuvor von Deutschland gefordert haben, beispielsweise gegenüber dem Kreml kritischer zu sein und mehr in die Verteidigungsfähigkeit zu investieren, wird nun von der neuen Bundesregierung praktiziert. Natürlich findet diese Zeitenwende unter dem Eindruck des russischen Krieges gegen die Ukraine statt. Aber sie wird jetzt konsequent verfolgt - und das sollte doch am Ende zählen.

Protest gegen die deutsche Russland-Politik vor der deutschen Botschaft in Warschau am 23.03.2022Bild: M. Gwozdz-Pallokat

Deutschland wird aber vorgeworfen, zu zögerlich zu sein.

Ich kann die Enttäuschung verstehen. Weil wir gut abwägen, wird manches als zögerlich empfunden. Wenn man sich jedoch die Fakten ansieht, muss man feststellen, dass Deutschland durchaus viele Waffen, auch schwere Waffen, liefert und auch schon vor dem Krieg zu den wichtigsten finanziellen Unterstützern der Ukraine gezählt hat. Und es ist die neue Ampel-Bundesregierung, die jetzt dafür sorgt, dass die Bundeswehr wieder ihren Auftrag in der NATO erfüllen kann. Weil all dies Punkte sind, die der neuen Bundesregierung zuzuschreiben sind, ist es eine vordringliche Aufgabe der Regierung und der deutschen Politik insgesamt, unseren Freunden in Mittel- und Osteuropa diese Zeitenwende besser zu erläutern. Ich glaube, dass die Art und der Umfang unserer Kommunikation verbesserungsfähig sind. Meine Aufgabe als Koordinator sehe ich auch darin zu erklären, was gerade in Deutschland passiert und gleichzeitig offene Ohren für berechtigte Kritik an der deutschen Politik zu haben.

Bundeskanzler Olaf Scholz und der polnische Premier Mateusz Morawiecki am 26.02.2022 in BerlinBild: Markus Schreiber/AP Photo/picture alliance

Man bekommt den Eindruck, dass Polen und Deutschland seit Beginn des Krieges in neue Rollen versetzt wurden. Jetzt hat Polen die moralischen Argumente gegenüber Deutschland auf seiner Seite, weil man ja Recht hatte mit Putin, mit Nord Stream. Außerdem nimmt das Land Millionen Flüchtlinge auf. Wie fühlt sich Berlin in dieser neuen Rolle?

Es ist wichtig, seinen Freunden und Partnern gut zuzuhören. Ich muss einräumen, dass sich viele Akteure der deutschen Politik zu wenig mit den berechtigten Bedenken und Hinweisen unserer Freunde aus Polen und den baltischen Staaten beschäftigt und nicht genau genug hingehört haben. Da haben wir Fehler gemacht. Darum sage ich: Ja, liebe polnischen Freunde, ihr hattet Recht in der Einschätzung von Wladimir Putin und wir lagen mit unserer Analyse daneben. Diesen Fehler zuzugeben ist keine Schwäche, sondern das ist für mich eine Stärke. Aber ich glaube, es gibt jetzt keinen Grund für Triumphgefühle. Denn auf der anderen Seite muss man sagen: Als es darum ging, die Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen, hat Deutschland in der EU eine große humanitäre Leistung erbracht, nicht Polen. Im Gegenteil, die Regierungskoalition in Polen hat sogar Ressentiments gegenüber Muslimen geschürt. Auch in Sachen Rechtsstaatlichkeit hat die Regierung unter Führung der PiS danebengelegen. Sie musste jetzt auf Druck der EU ihre Politik bereits korrigieren.

Sie verbitten sich also die Vorhaltungen aus Polen?

Was ich meine, ist: Soll ich mich jetzt hinstellen und mit dem Finger auf Polen zeigen und sagen, ja, bei Nord Stream 2 und Putin haben wir Fehler gemacht, aber ihr habt doch Fehler gemacht bei der Rechtsstaatlichkeit? Bringt uns das weiter? Wäre es nicht besser einzugestehen, dass wir alle Fehler gemacht haben? Das Wichtigste ist, dass man aus seinen Fehlern lernt. Wenn also eine deutsche Regierung aus Fehlern lernt und eine polnische Regierung aus Fehlern lernt, dann ist das für mich zunächst einmal etwas Positives.