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Ukraine-Krise: Diplomatie versus Abschreckung

12. Februar 2022

Die Rhetorik aus dem Weißen Haus wird immer schärfer. Was erwarten die USA von Deutschland in der Ukraine-Krise? DW-Korrespondent Oliver Sallet in Washington analysiert die Lage.

Washington Scholz bei Biden PK
Bild: Leigh Vogel/CNP/picture alliance

Eins bleibt in Erinnerung von der Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden am Anfang dieser Woche: Angesprochen auf die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2, ist es Präsident Biden, nicht Scholz, der klare Kante zeigt und verspricht, dass es keine Pipeline geben werde, sollte Russland es wagen Soldaten in die Ukraine zu schicken.

Scholz hingegen hält sich alle Optionen offen. Deutschland werde gemeinsam mit den USA handeln und mit einer Stimme sprechen, so die Losung aus dem Weißen Haus an jenem Nachmittag.

Die Botschaft der beiden an Russland: die USA, Deutschland und Europa sprechen mit einer Stimme. Im Kern steht aber die Frage, was die USA von ihrem engen Partner und Verbündeten Deutschland in der Ukraine-Krise tatsächlich erwarten können.

Zweifel über die Verlässlichkeit Deutschlands

Denn: Westlich des Atlantiks herrschen Zweifel über die Verlässlichkeit Deutschlands. Als die Ukraine kürzlich Waffenlieferungen forderte um ihre ohnehin im Vergleich zu Russland kleine Armee besser auszurüsten, offerierte die deutsche Verteidigungsministerin stattdessen 5000 Helme - was in den USA und andernorts für einige gehobene Augenbrauen sorgte.

Statt Waffen will Deutschland auf Diplomatie setzen. Das jedoch alleine reiche nicht aus, sagt man im Weißen Haus.

Empfangsstation Nord Stream 2 bei Stralsund: Das Pipelineprojekt muss laut Präsident Biden zwingend enden, falls Russland in die Ukraine einmarschiertBild: Stefan Sauer/dpa/picture alliance

Ein deutscher Bundeskanzler hat weniger Macht

Klar ist: Deutschland hat historische Bedenken Waffen in Krisengebiete zu liefern. Die deutsche Zurückhaltung kann für die USA keine Überraschung sein. Immer wieder fordern die USA trotzdem von Deutschland eine härtere Politik gegenüber Russland und China, doch Deutschland ziert sich - sowohl unter Angela Merkel, als auch jetzt unter Bundeskanzler Olaf Scholz.

Die Zurückhaltung Deutschlands hänge auch mit dem politischen System zusammen, sagt Constanze Stelzenmüller vom Washingtoner Think Tank Brookings Institute. "Deutschland war nie ein leichter Partner", so Stelzenmüller - und dass Scholz in einer historisch einmaligen Dreierkoalition aus SPD, Grünen und FDP regiert, mache es nicht leichter. "Es ist Menschen in präsidialen Demokratien wie Frankreich und den USA schwer zu erklären, aber ein deutscher Bundeskanzler hat im Vergleich weniger Macht."

Als Exportnation ist Deutschland auf die Absatzmärkte China und Russland angewiesen, gerade was die "typisch deutschen" Exporte der Schwerindustrie betrifft. Sophia Besch vom Think Tank Atlantic Council sieht Deutschland zwar als einflussreiche Stimme in Europa und auch in der Ukraine-Krise, führt den Fokus auf die Diplomatie aber auch auf wirtschaftliche Interessen zurück: "Nicht zuletzt, weil das Land unter den Wirtschaftssanktionen leiden würde, sollte es so weit kommen", sagt Besch mit Blick auf die möglichen Maßnahmen gegen den Kreml und die starke Verquickung der deutschen mit der russischen Volkswirtschaft. Zudem könne Deutschland auf Jahre der diplomatischen Vermittlung mit Russland zurückblicken, nicht zuletzt im Normandie-Format und beim Aushandeln der Minsker Vereinbarung.

USA können sich Bruch mit Russland eher leisten

Für die USA, deren Wirtschaft anders gestrickt ist, gelten andere Prioritäten. Für Präsident Biden liegt es nahe, nach einer härteren Hand Deutschlands zu verlangen: Der Handelsbilanzüberschuss, gerade mit China, ist groß und war stets ein unliebsames Thema auf der Agenda vergangener Präsidenten. Deutschland hingegen braucht die Absatzmärkte, kann sich den diplomatischen Bruch weniger leisten als die Vereinigten Staaten. Hinzu kommen historische und moralische Überlegungen, welche die deutsche Außenpolitik seit Gründung der Bundesrepublik prägen.

Das "Normandie-Format", hier ein Treffen im Dezember 2019 mit Putin, Macron, der damaligen Bundeskanzlerin Merkel und SelenskijBild: Alexei Nikolsky/TASS/picture alliance

Auf mehr deutsche Waffen also oder gar Soldaten kann Amerika nicht hoffen. Die 350 Mann, die vor wenigen Tagen nach Litauen abgeordnet wurden, kann man wohl als Symbolpolitik abtun, genau wie die 5000 versprochenen Helme. Ob die klassische deutsche Pendeldiplomatie noch ausreicht, wenn Olaf Scholz kommende Woche nach Moskau zu Gesprächen mit dem russischen Präsident Wladimir Putin reist, daran wagt man in Washington zu zweifeln.

Fast täglich überschlagen sich die Berichte von CIA und Pentagon, nach denen ein russischer Angriff nun wohl unmittelbar bevorstehe. Und im US-Kongress wird leidenschaftlich über Sanktionen gestritten: Die Republikaner würden sie am liebsten schon jetzt verhängen, ob russische Soldaten nun die Grenze zur Ukraine durchbrechen oder nicht.

US-Kongress, hier ein Archivbild vom November 2021: Uneinigkeit im Umgang mit Russland-SanktionenBild: House Television via AP/dpa/picture alliance

Ein diplomatischer Drahtseilakt

Die Frage welche Rolle Deutschland in diesem Konflikt spielt, ist längst zur Grundsatzfrage von Diplomatie oder Abschreckung geworden. Noch herrscht Hoffnung auf beiden Seiten des Atlantiks, dass eine diplomatische Lösung erreicht werden kann und etwa die Minsker Vereinbarung wieder neu belebt werden könne, sagt Sophia Besch. Allerdings sei der Vertrag "notorisch mehrdeutig, wird von allen Seiten anders interpretiert und nie vollständig implementiert."  Deutschland und Frankreichs Erfolge hingen ausgerechnet vom Wohlwollen Russlands ab und "der ist zur Zeit mehr als fraglich", sagt Besch.

Aus Sicht der USA versteht Putin nur die Sprache der Abschreckung und dazu gehören wirtschaftliche Sanktionen und gegebenenfalls ein Ende der Gaspipeline Nord Stream 2.

Biden will Deutschland Entscheidung abnehmen

Die ehemalige Direktorin im Nationalen Sicherheitsrat der USA, Fiona Hill, sprach im DW-Interview von einem diplomatischen Drahtseilakt. "Natürlich gibt es für Deutschland das Risiko von Rechtsstreitigkeiten und Vertragsbrüchen, die dadurch entstehen können", sagt Hill und rät der US-Regierung davon ab, so wie Präsident Trump seinerzeit, zu viel Druck auf Deutschland auszuüben. "Wir haben gesehen, dass Präsident Biden Deutschland die Entscheidung für Nord Stream 2 abnehmen wollte, aber was wir wirklich brauchen, ist absolute Einigkeit."

Und diese Einigkeit hat Bundeskanzler Olaf Scholz den Amerikanern versprochen. Mehr scheint im Moment nicht drin zu sein.

 

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