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Deutschland wächst langsam weiter

Mathias Bölinger8. Oktober 2015

Die wirtschaftlichen Aussichten sind nicht schlecht, aber sie könnten besser sein. Das sagen die wichtigsten Wirtschaftsinsitute im Herbstgutachten. Ihre Folgerungen für die Flüchtlingskrise sind ebenso ambivalent

Deutschland Konjunktur (Symbolbild)
Bild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

Auch im nächsten Jahr wird die deutsche Wirtschaft moderat wachsen. In ihrem sogenannten Herbstgutachten rechnen die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute mit einem Anstieg der Wirtschaftsleistung um 1,8 Prozent. "Wir nennen diesen Aufschwung 'verhalten'", sagte Roland Döhrn vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI): "Man hätte eine kräftigere Konjunktur erwarten können".

Eurozone hat sich erholt

Dass die Zahl niedriger ist als erwartet liegt daran, dass die Weltkonjunktur nach wie vor eher langsam wächst. Vor allem Strukturprobleme in den Schwellenländern und hier insbesondere China bremsen das Wachstum. Die deutschen Firmen investieren deshalb weniger. Gleichzeitig sind aber die Exporte in die europäischen Nachbarländer gestiegen. Die Eurozone insgesamt hat sich erholt.

Für das nächste Jahr prognostizieren die Institute ein Wachstum von 1,5 Prozent für den Währungsraum. Für Wachstum sorgt auch, dass die deutschen Konsumenten mehr ausgeben. Steigende Löhne sorgen dafür, dass sie mehr Geld in der Tasche haben. Auch der niedrige Ölpreis und die Politik des billigen Geldes der Zentralbanken stützen die Konjunktur.

Die Herbstgutachter von links nach Rechts: Torsten Schmidt (RWI), Timo Wollmershäuser, Oliver Holtemöller, Leibniz-Institut Halle, Roland Döhrn (RWI) und Ferdinand Fichtner (DIW)Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Genauso wenig eindeutig sind die Aussichten für den Arbeitsmarkt. Das deutsche Jobwunder wird zwar mit schätzungsweise 250.000 neuen Arbeitsplätzen weitergehen. Gleichzeitig steigt aber die Arbeitslosigkeit leicht. Das liegt vor allem daran, dass mehr Zuwanderer auf den Arbeitsmarkt kommen. 90.000 Flüchtlinge werden bereits in diesem Jahr in Deutschland nach Jobs suchen. Im neuen Jahr sollen es dann 300.000 sein.

Diese Zahlen beruhen auf der Annahme, dass in diesem Jahr 900.000 Asylsuchende nach Deutschland kommen und im nächsten Jahr 600.000. "Der wichtigste Hebel ist die Integration in den Arbeitsmarkt", sagt Döhrn. Dazu müssten bürokratische Hürden abgebaut werden. Döhrn fordert beispielsweise eine Abschaffung der "Vorrangprüfung". Bisher muss ein Arbeitgeber nachweisen, dass kein EU-Bürger die Stelle besetzen könnte, bevor er die Stelle an einen noch nicht anerkannten Asylsuchenden vergeben kann.

Außerdem fordert Döhrn, dass die Neuankömmlinge schnell Sprachkurse bekommen und junge Menschen in Ausbildungsplätze vermittelt werden. "Moderne Volkswirtschaften wachsen in abnehmenden Maße durch Investitionen in Beton und im zunehmenden Maß durch Investitionen in die Köpfe."

Arbeitsmarkt kann Migration "wegstecken"

Insgesamt sei die wirtschaftliche Situation günstig für die Bewältigung der Aufgaben, die durch die massive Einwanderung entstehen, glauben die Institute. "Wir haben eine Situation, in der der Arbeitsmarkt die Flüchtlingsmigration ganz gut wegstecken kann", betont Ferdinand Fichtner vom Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.

Auch die Kosten für die Erstaufnahme und Versorgung machen den Wirtschaftsinstituten, die traditionell auf Haushaltsdisziplin bestehen, keine Sorgen. Sie könnten dieses und nächstes Jahr aus Überschüssen bestritten werden. "Aus ökonomischer Sicht ist die Frage ist nicht, ob wir das schaffen können, sondern ob wir das schaffen wollen", sagt Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle.

Mindestlohn nicht zurücknehmen!

Nicht bewahrheitet hat sich nach Ansicht der Forscher eine Prognose aus dem vergangenen Jahr. Damals hatten die Insititute gewarnt, der Mindestlohn werde Arbeitsplätze kosten. Das konnten die Forscher so nicht bestätigen. Zwar seien viele Mini-Jobs verschwunden. Gleichzeitig seien aber in den gleichen Branchen auch überdurchschnittlich viele reguläre Arbeitsplätze entstanden. Allerdings konnten die Forscher nicht erkennen, ob es sich dabei um umgewandelte Niedriglohnjobs handelt oder ob diese Arbeitsplätze durch die gute Konjunktur ohnehin entstanden wären.

Trotzdem ist die Empfehlung von Timo Wollmershäuser vom ifo-Institut eindeutig: "Wir würden jetzt nicht fordern, den Mindesstlohn wieder abzuschaffen. Es wäre ein ganz schlechtes Signal, wenn die Politik heute Entscheidungen träfe und sie morgen wieder zurücknähme."

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