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Deutschland: Wählen schon mit 16?

5. Juni 2023

Die Regierungsparteien wollen das Wahlalter bei Bundestagswahlen von 18 auf 16 senken. Viele Jugendliche sind dafür. Aber die Mehrheit bleibt skeptisch.

junge Frau mit Kapuzenpullover steckt Wahlzettel in eine Urne
Bislang gilt die Altersgrenze 18 Jahre in DeutschlandBild: Roland Weihrauch/dpa/picture alliance

Das Grundgesetz, die Verfassung Deutschlands, ist eindeutig: "Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat", heißt es da. Damit wollen sich aber viele Jugendliche nicht abfinden. Sie sind politisiert, gehen für ihre Rechte auf die Straße und kleben sich - wie die "Letzte Generation" - für ihre Ziele sogar dort fest. Warum also nicht mit 16 Jahren das volle Wahlrecht, auch bei Bundestagswahlen?

Junge Mitglieder der "Letzten Generation" kleben sich im Februar 2022 in Hamburg auf einer Straße festBild: dpa

Unterstützt wird die Forderung von den regierenden Parteien. SPD, Grüne und FDP haben sich in ihren Koalitionsvertrag geschrieben: "Wir wollen das Grundgesetz ändern, um das aktive Wahlalter für die Wahl zum Deutschen Bundestag auf 16 Jahre zu senken." Der Deutsche Kinderschutzbund und das Deutsche Kinderhilfswerk sind in ihren Forderungen noch radikaler: Sie wollen ein Wahlrecht schon mit 14.

Das ist der Schülerin Raye Linjonom Nisayatou zu früh, sagt sie der DW. "Aber mit 16 bei Bundestagswahlen mit dabei sein zu dürfen, das fände ich schon cool", sagt die Schülerin aus Berlin. "Ich habe meine Meinung und wüsste auch schon, welche Partei ich wählen würde", ergänzt die 16-Jährige selbstbewusst.

Schülerin Raye fordert das Wahlrecht mit 16 JahrenBild: Volker Witting/DW

Miro Lim ist eher skeptisch. Der 17-jährige Gymnasiast durfte im Februar zum ersten Mal wählen, aber nur auf kommunaler Ebene, nämlich die Mitglieder der Bezirksverwaltung in "seinem" Bezirk in Berlin. "Das war überschaubar, und ich kann mir vorstellen, was sich möglicherweise ändert, da, wo ich wohne", sagt er. "Bei Bundestagswahlen ist alles viel komplizierter." Außerdem kommt ihm die Zeit der Legislaturperiode, also bis zur nächsten Bundestagswahl, sehr lang vor. "Da könnte sich meine Meinung längst geändert haben."

Mehrheit gegen Wählen mit 16 

Miro Lim liegt mit seiner eher ablehnenden Haltung im Trend. Nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa lehnen es 62 Prozent der Befragten ab beziehungsweise eher ab, dass künftig Bürger ab 16 Jahren an Bundestagswahlen teilnehmen dürfen. Aber die Skepsis schrumpft: In einer ähnlichen Befragung vor sieben Jahren hatten sich noch 80 Prozent zurückhaltend geäußert.

Sigrid Meinhold-Henschel leitet bei der Bertelsmann-Stiftung das Projekt "Wählen ab 16"Bild: Bertelsmann Stiftung

Die Skepsis kann Sigrid Meinhold-Henschel von der Bertelsmann-Stiftung nicht nachvollziehen. Die Absenkung des Wahlalters sei doch ein gutes Rezept gegen Politikverdrossenheit. "Verschiedene Studien belegen, dass die 16-Jährigen sich in ihrem politischen Wissen und Interesse nicht von 18-Jährigen unterscheiden", erklärt sie im Gespräch mit der DW. "Insofern fehlt eine plausible Begründung dafür, dass das Wahlalter nicht abgesenkt wird. Sich früh mit Parteien und Wahlen auseinanderzusetzen sei gut: "Das hält unsere Demokratie lebendig und macht sie zukunftsfähig."

Und die Politik?

Die Linien in der deutschen Politik sind klar: Die Parteien der Koalition – also SPD, FDP und Grüne – sind für die Absenkung des Wahlalters bei Bundestagswahlen. Die Partei Die Linke ebenfalls. CDU/CSU und die rechtspopulistische AfD sind gegen eine Reform. Experten gehen davon aus, dass rund 1,5 Millionen Wahlberechtigte zusätzlich zu den Urnen dürften, sollte das Grundgesetz entsprechend geändert werden, was nötig wäre. Dazu müsste aber die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und des Bundesrates, der Länderkammer, zustimmen. Die Koalitionsparteien verfügen nicht über die nötige Mehrheit, bräuchten Stimmen der Opposition.

Johannes Vogel, FDP-Vize, war von 2005 bis 2010 Bundesvorsitzender der Jungen LiberalenBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Einer, der schon seit fast zwei Jahrzehnten für eine Absenkung des Wahlalters auf 16 kämpft, ist Johannes Vogel. Der heute 41-Jährige war Chef der Jugendorganisation der FDP und ist heute stellvertretender Vorsitzender der Regierungspartei. Diejenigen, die sich gegen das Wahlalter 16 aussprechen, müssten "besonders gut begründen, wenn sie einem Staatsbürger oder einer Staatsbürgerin dieses Recht nicht zugestehen wollen", sagt Vogel im DW-Interview. Auch die Generationengerechtigkeit sei in Zeiten der Überalterung der Gesellschaft ein Argument für ein frühes Wahlalter: "Natürlich wäre es gut, wenn die Perspektiven künftiger Generationen stärker in die Politik mit einbezogen werden."

Dieses Plakat wirbt für das Wahlrecht ab dem 18. Lebensjahr. Seit der Bundestagswahl von 1972 sind 18-Jährige stimmberechtigt. Zuvor lag das Wahlrecht bei 21 JahrenBild: dpa/picture-alliance

Die konservative Opposition hält dagegen. Viele Jugendliche wüssten mit 16 noch nicht einmal, welchen Beruf sie wählen oder was sie studieren wollten. Sie dürften keine Spirituosen kaufen, nicht nach Mitternacht in Clubs sein. Bei Wahlentscheidungen seien die Eltern einflussreich. Es sei doch offenbar widersprüchlich, "wenn man einerseits Jugendlichen erst mit 18 zugesteht, Verträge zu schließen und zivilrechtlich haftbar zu sein, andererseits das Wahlalter absenkt", argumentiert Ansgar Heveling, der Justiziar der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag gegenüber der DW.

Flickenteppich Wahlrecht

In Europa sind 16- oder 17-Jährige nur in Malta, Griechenland und Österreich bei Parlamentswahlen wahlberechtigt. Auch weltweit erlauben es nur ganz wenige Länder jungen Menschen, an die Urnen zu gehen. In Deutschland bleibt es zunächst dabei: Menschen unter 18 Jahren dürfen bei Bundestagswahlen nicht abstimmen. Aber in sechs Bundesländern dürfen schon jetzt 16-Jährige an Landtagswahlen teilnehmen und in elf von 16 Bundesländern auch an Kommunalwahlen.

 

Bei den kommenden Wahlen zum Europaparlament im Juni 2024 sind auch 16-jährige Deutsche erstmals wahlberechtigt. Das hatten die Koalitionsparteien (SPD, Grüne, FDP) mit ihrer Mehrheit im November 2022 beschlossen. Eine Zweidrittelmehrheit brauchten sie dazu nicht. Bertelsmann-Expertin Meinhold-Henschel hält die unterschiedlichen Regeln für ungut: "Wir haben einen Flickenteppich, was den Zugang zur Wahlurne angeht. Das muss man einem jungen Menschen erst einmal erklären, dass er bei der EU-Wahl stimmberechtigt ist, aber bei der Bundestagswahl nicht." Die Schülerin Raye Linjonom Nisayatou aus Berlin stimmt ein: "Ich finde das ziemlich verwirrend", sagt sie im DW-Gespräch.

Ob eine Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre tatsächlich kommt und die Regierung ihre Pläne umsetzen kann, ist vollkommen unklar. "Ich hoffe, es klappt eher früher als später", gibt sich FDP-Politiker Johannes Vogel dennoch optimistisch.

Jung und ohne Stimme?

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