Deutschland kauft die Thomas-Mann-Villa in Kalifornien
30. September 2016Das Bangen von Literaturkennern und Thomas-Mann-Fans könnte bald ein Ende haben: Denn Deutschland will das geschichtsträchtige Haus nun doch kaufen, wie Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) im Bundestag ankündigte. Lange Zeit war fraglich, ob das Grundstück am 1550 San Remo Drive in Pacific Palisades verkauft und das Gebäude einem Neubau weichen würde. Eine Immobilienagentur bot das Anwesen für umgerechnet 13 Millionen Euro an.
Nun könnte aus der Mann-Villa nahe Los Angeles eine Residenz für begabte Nachwuchskünstler werden. Minister Steinmeier gab sich erleichtert: "Ich danke allen, die mitgeholfen haben, dass wir hoffentlich die drohende private Veräußerung verhindern konnten." Der Vorsitzende im zuständigen Unterausschuss für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, Bernd Fabritius, sagte: "Derzeit stehen wir unter den Kaufinteressenten an erster Stelle. Jetzt werden die Details ausgehandelt."
Ein Zuhause im Exil
Thomas Mann wohnte von 1942 bis 1952 in Pacific Palisades. Er ließ die Villa von dem aus Breslau stammenden Architekten Julius Ralph Davidson bauen, der ebenfalls in die USA ausgewandert war. Der deutsche Schriftsteller hatte seine Heimat 1938 verlassen. In den USA wurde er Oberhaupt des intellektuellen Exils. "Wo ich bin, ist Deutschland", ließ er seine Anhänger wissen.
Büsche, Hecken und Bäume beschirmen derzeit das Gelände. Mit seinem flach geneigten Dach duckt sich die Villa unter hohe Palmen, "unauffällig im Vergleich zu den Nachbarbauten, die sich in allen Formen zwischen maurischem Stil und Barockschlösschen austoben" - wie ein Autor der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schon vor Jahren befand. Nicht wirklich modern wirke das Gebäude, trotz der großen Fenster und der glatten Putzwände, keine Wohnmaschine à la Corbusier, aber immerhin sachlich, klar in den Proportionen, ohne Schörkel und Pomp. In Davidsons Bauwerk traf Exil-Literatur auf Exil-Baukunst.
Langanhaltende Debatten
Auch aus diesem Grund gab es schon länger Forderungen an den deutschen Staat, das Anwesen zu kaufen und eine Zerstörung der geschichtsträchtigen Villa zu vermeiden. So hatte Jürgen Kaumkötter, Kurator am kürzlich gegründeten Solinger Zentrum für verfolgte Künste, bereits im Augst vorgeschlagen, die Mann-Villa in Kombination mit der Villa Aurora (Villa, in der einst Lion Feuchtwanger lebte, Anmerk. der Red.) zu betreiben. Genau dies sehen nun offenbar auch die Pläne des Außenministeriums vor.
Schließlich liegt die Mannsche Villa nur zwei Canyons südlich der Villa Aurora. In dem palastgleichen, einstigen Wohnhaus Lion Feuchtwangers waren die Manns wie andere Exil-Literaturen häufig zu Gast. Von einem privaten Verein in Berlin vor dem Abriss bewahrt, finanziell vom Bund unterstützt, fungiert die "Villa Aurora" heute als halbamtlicher Gedächtnisort für das deutsche Exil in Kalifornien. Eine Kulturstiftung fördert den deutsch-amerikanischen Dialog. Ähnlich wie in der römischen Villa Massimo dürfen dort Stipendiaten gastieren.
Auch Jürgen Serke, Hamburger Kunst- und Literatursammler und zudem Autor des Standardwerkes "Die verbrannten Dichter" plädierte für den Kauf der Villa. Geld sei genug da. "Ein Abriss wäre blamabel für Deutschland!", sagte er der Deutschen Welle. Immerhin handelte es sich bei Thomas Mann um den größten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.
Für den Erhalt des Erinnerungsortes warb auch eine Online-Petition mit mehr als 3.000 Unterschriften. Unter den Unterzeichnern ist auch die Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller. Dennoch hatte die Bundesregierung bisher eher zurückhaltend reagiert. Erst Anfang September setzte sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) öffentlich für den Kauf des Hauses ein.
Eine Bronzetafel erinnert an Thomas Mann
Unter Denkmalschutz steht das Gebäude nicht. Dabei sind fast alle Immobilien, die in Thomas Manns Biographie eine Rolle spielten, heute erforscht und herausgeputzt - das Sommerhaus in Nida auf der Kurischen Nehrung ebenso wie die Klause am Starnberger See oder das Buddenbrook-Haus in Lübeck. Einzige Ausnahme: die von Julius Ralph Davidson erbaute Villa am 1550 San Remo Drive in Pacific Palisades.
Yorck Förster, freier Kurator am Deutschen Architekturmuseum Frankfurt, lobt die hohe künstlerische Qualität des Davidson-Entwurfes. Davidson galt als Hauptvertreter der kalifornischen Moderne. Der deutschstämmige Architekt habe dann, vermutlich um den Wünschen der Manns zu entprechen, "a more gemütlich version of the International Style" realisiert. Der Rechtsanwalt, der es den Manns abkaufte, als sie 1952 nach Europa zurückkehrten, wusste, dass er einen Erinnerungsort deutscher Kultur und Geistesgeschichte besaß. Das belegt eine Bronzetafel mit dem Profil des Dichters an einem Pfeiler der Einfahrt. Sie weist in englischer und deutscher Sprache auf Thomas Manns Exil hin.
(mit DPA)