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Politik

Deutschland vor schärferen Reiseverboten

28. Januar 2021

Ohne weitere Absprachen mit der EU will Deutschlands Innenminister verstärkte Corona-Kontrollen an den Grenzen einführen. Flugverbindungen aus "Mutationsgebieten" sollen gestrichen werden. Von Bernd Riegert, Brüssel.

Oberaudorf | Polizisten kontrollieren Grenze zwischen Österreich und Deutschland
Schleierfahndung im Grenzgebiet: Deutschland will stärkere Corona-Kontrollen des Pkw-VerkehrsBild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) verliert die Geduld mit der Europäischen Union. Er will den Grenzverkehr mit Flugzeugen, Zügen und Autos möglichst schnell schärfer kontrollieren, um die Verbreitung von mutmaßlich gefährlichen Virus-Varianten einzudämmen. Vor einem Video-Treffen mit seinen europäischen Amtskollegen sagte Seehofer, eine Koordination mit der EU sei erfolglos geblieben, weil einige Mitgliedsstaaten zu lax blieben. "Wir können nicht damit rechnen, dass es zu einer europäischen Lösung kommt. Darum bereiten wir das jetzt national vor", so der Innenminister. In der EU würde oft nicht "weit und klar" entschieden. Da deutsche Erwartungen nicht erfüllt würden, werde die Bundesregierung wahrscheinlich am morgigen Freitag über neue Regeln für die deutschen Grenzen entscheiden.

Schleierfahndung nach Corona-Sündern 

Dabei gehe es nicht darum, "stationäre Kontrollen" an Grenzübergängen einzurichten. Staus und Unterbrechungen von Lieferketten, wie bei den Grenzschließungen im Frühjahr 2020, sollen vermieden werden, versprach der Innenminister. Schließlich hatten die Staats- und Regierungschefs der EU erst vor einer Woche bei einem Sondergipfel wieder beschlossen, dass die Binnengrenzen des "Schengen-Raums" grundsätzlich offen bleiben sollen. Deshalb setzt Seehofer jetzt auf die verstärkte sogenannte Schleierfahndung hinter den Grenzen. Dabei hält die Bundespolizei einzelne Fahrzeuge nach der Einreise im Grenzgebiet auf Landstraßen oder Autobahnen an und kontrolliert die Einhaltung der Corona-Bestimmungen.

Innenminister Seehofer will die deutsche Bevölkerung vor Virus-Mutationen schützen, notfalls im nationalen AlleingangBild: Florian Gaertner/photothek/imago images

Kein absolutes Flugverbot

An Flughäfen soll es ebenfalls strengere Kontrollen geben. Ein Stillstand des internationalen Flugverkehrs, von dem Seehofer noch Anfang der Woche gesprochen hatte, ist aber vom Tisch. Es gehe nicht um ein "Flugverbot", so der Innenminister heute, sondern darum, Flüge aus denjenigen Staaten einzustellen, in denen die Coronavirus-Mutationen weit verbreitet sind. Deshalb hat die Bundesregierung neben Risiko- und Hochrisikogebieten jetzt die neue Kategorie "Mutationsgebiete" ersonnen. Aus diesen sollen Einreisen bis auf wenige Ausnahmen verboten werden. Betroffen von diesem Verbot wären Südafrika, Brasilien, Großbritannien und das EU-Mitglied Portugal.

"Jede Ausnahme vom Einreiseverbot aus Mutationsgebieten, die ins Auge gefasst wird, muss sehr genau begründet werden", mahnt der Innenminister. Ihm gehe es darum, die deutsche Bevölkerung präventiv vor der weiteren Ausbreitung der Virus-Varianten zu schützen. Die Liste der Mutationsgebiete werde dem aktuellen Infektionsgeschehen angepasst.

Ein Flugverbot für hunderte von internationalen Verbindungen hatten zuvor schon die Niederlande verfügt. Belgien verbietet allen Einwohnern sogar die Ausreise aus dem Land aus "touristischen" Gründen. Soweit will Horst Seehofer nicht gehen. "Die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden. Die Ausreise aus Deutschland bleibt weiter möglich, sonst wäre das nicht verhältnismäßig", sagte der Innenminister. Etliche EU-Staaten wie Spanien, Frankreich, Italien und auch die Schweiz verlangen inzwischen bei der Einreise einen negativen COVID-Test. Testen allein reicht aber nach Auffassung der Bundesregierung nicht aus.

Flugverbindungen nach Südafrika, Brasilien, Portugal und Großbritannien sollen weitestgehend wegfallenBild: picture-alliance/dpa/M. Balk

EU sieht deutschen Alleingang nicht gerne

Dass gerade Deutschland, das größte Land in der Mitte des im Prinzip grenzfreien Schengen-Raums, auf einen Alleingang bei seinen Grenzkontrollen zusteuert, bereitet der EU-Kommission in Brüssel Kopfschmerzen. Am Montag hatte die Kommission im Auftrag der Mitgliedsstaaten neue Kontroll- und Testpflichten an den Binnengrenzen vorgeschlagen, die der Bundesregierung offenbar zu schwach und zu langsam sind. Die zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson sagte in Brüssel, sie habe ja wie die gesamte EU zu einer Einschränkung von "nicht notwendigen Reisen" aufgerufen.

"Aber ich denke auch, dass wir nicht zu drastische Maßnahmen ergreifen sollten", sagte die EU-Kommissarin vor dem heutigen virtuellen EU-Innenministertreffen. Beschränkungen grenzüberschreitender Reisen dürften nicht die wirtschaftliche Erholung gefährden oder gar die Funktion von Gesundheitssystemen behindern. In vielen Grenzregionen der EU sind auch Ärzte, Pfleger und anderes medizinisches Personal Grenz-Pendler.

Virologen streiten darüber, ob die Ausbreitung der auftretenden Coronavirus-Mutanten so aufgehalten werden kann. In einem großen Teil der EU-Staaten wurde die britische Variante, die ansteckender sein soll als das ursprüngliche Virus, bereits nachgewiesen. "Wir müssen Zustände wie in Irland oder Portugal verhindern", sagte Horst Seehofer. Dort hatte sich die Variante rasant ausgebreitet und zu einem starken Anstieg der Infektionszahlen geführt. Nach einer Meinungsumfrage des Instituts YouGov finden 68 Prozent der Befragten in Deutschland Reisebeschränkungen und Seehofers Kurs richtig. Wie lange die neuen Beschränkungen in Kraft bleiben sollen, konnte Seehofer nicht sagen. Das hänge vom Infektionsgeschehen ab.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union