Deutschland will Russland einbinden
10. Mai 2012Es hatte harsche Töne gegeben in den letzten Tagen und Wochen. Von einem militärischen Präventivschlag wurde in der russischen Führung gar geredet für den Fall, dass vor ihrer Haustür Raketenabwehranlagen der NATO stationiert werden. Am 18. Mai treffen sich nun auf dem G8-Gipfel in Camp David die Spitzen der sieben führenden Industrienationen mit Russland. Auch beim anschließenden Treffen der Staats- und Regierungschefs der NATO in Chicago ist eine Begegnung mit Russland vorgesehen. Zwar hat der ins russische Präsidentenamt zurückgekehrte Wladimir Putin seine Teilnahme abgesagt und seinen Vorgänger und jetzigen Ministerpräsidenten Dimitri Medwedew damit beauftragt, dennoch sind die zwei Termine hervorragende Gelegenheiten, den Streit zu schlichten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Donnerstag (10.05.2012) in einer Regierungserklärung zu den beiden Gipfeltreffen deutlich gemacht, dass ihr dies ein wichtiges Anliegen sei. Sie versprach, "unsere ernsthaften Bemühungen um eine Kooperation mit Russland fortzusetzen". Als Beleg nannte sie auch eine computergestützte Raketenabwehrübung mit NATO-Nationen und Russland, die Deutschland im März ausgerichtet hatte.
Sozialdemokraten fordern Verständnis für Russland
Der sozialdemokratische Außenpolitiker Rolf Mützenich allerdings warf Merkel in der anschließenden Bundestagsdebatte vor, zu wenig auf die Bedrohungswahrnehmung Russlands durch die geplante Raketenabwehr einzugehen. Aufgabe der Bundeskanzlerin und der gesamten Bundesregierung müsse es sein, die historisch verständlichen Gründe für Russlands Haltung innerhalb der NATO zu erklären.
Auch Merkels liberaler Koalitionspartner forderte, bei den Gipfeltreffen auf Russland zuzugehen. "Hier müssen substantielle Signale kommen. Nur dann kann der NATO-Gipfel ein Erfolg werden", sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle. Deutschland habe traditionell eine besondere Funktion bei der Verständigungspolitik mit Russland. "Nur durch Gespräche miteinander kann man Veränderungen in Russland erreichen."
Merkel hält an Abzugstermin aus Afghanistan fest
Ein weiteres wichtiges Thema auf dem NATO-Gipfel wird Afghanistan sein. Die Kanzlerin sieht in dem Land große Fortschritte: "Das Land ist heute kein Rückzugsraum für Al Kaida mehr, die Taliban sind geschwächt, die Zahl der Anschläge geht seit Monaten kontinuierlich zurück." Die afghanischen Sicherheitskräfte würden noch in diesem Jahr die geplante Zahl von 352.000 erreichen und seien zunehmend in der Lage, selbst Verantwortung zu übernehmen, sagte Merkel. Die Bundesregierung bleibe dabei, gemeinsam mit den Verbündeten bis 2014 alle Kampftruppen aus Afghanistan abzuziehen.
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Jürgen Trittin, fragte die Kanzlerin, was sie tun wolle, wenn nach Australien auch Frankreich seine Truppen vorzeitig aus Afghanistan abziehen sollte. Der neugewählte französische Staatspräsident François Hollande hatte dies angekündigt. Merkel sei eine Antwort darauf schuldig geblieben.
Kampf gegen Klimawandel und Hunger
Als wichtiges Anliegen Deutschlands auf dem G8-Gipfel in Camp David bezeichnete es Angela Merkel, den Kampf gegen den Klimawandel voranzutreiben. "Wir müssen deutlich mehr Anstrengungen unternehmen als bisher vereinbart, um die CO2-Emissionen nachhaltig so zu reduzieren, dass das Zwei-Grad-Ziel erreicht werden kann", sagte die Kanzlerin. Gemeinsam mit der gesamten Europäischen Union halte die Bundesregierung an dem Ziel fest, ein neues und verbindliches UN-Klimaschutz-Abkommen zu vereinbaren.
Bereits fest geplant ist für den G8-Gipfel die Gründung einer neuen "Allianz für Ernährungssicherheit". Sie solle innerhalb von zehn Jahren 50 Millionen Afrikaner aus der Armut befreien, sagte Merkel. Erreichen wolle man dies durch bessere Rahmenbedingungen für private Investitionen, mit deren Hilfe unter anderem Kleinbauern Geld, Marktzugang und Technik zur besseren Landnutzung erhalten sollten. Die "Allianz für Ernährungssicherheit" soll ein in diesem Jahr auslaufendes Programm zur Hungerbekämpfung ersetzen, das vor drei Jahren auf dem G8-Gipfel im italienischen L’Aquila beschlossen wurde.
Wahlkampfgeprägte Debatte
Während sich Merkel in ihrer Regierungserklärung um einen staatstragenden Ton bemühte, war die Debatte darüber stark vom Wahlkampf im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen geprägt. Der sozialdemokratische Oppositionsführer Frank-Walter Steinmeier griff die gesamte Politik der Bundesregierung bis hin zur Kleinkinderbetreuung an. So wie auch andere Redner beider Seiten ging er kaum auf die außenpolitischen Themen der Regierungserklärung ein.
Eine der wenigen Ausnahmen war Wolfgang Gehrcke von der Linkspartei. Er und seine Partei wollen, dass sich die NATO auflöst und durch ein kollektives Sicherheitssystem im Rahmen reformierter Vereinter Nationen ersetzt wird. Die 1,1 Billionen Dollar, die die NATO 2010 in Rüstung investiert habe, hätte man "zur Bekämpfung von Hunger und Armut in der Welt investieren" müssen. Gehrcke forderte außerdem mehr Regulierung statt Deregulierung, um die knapper werdenden Rohstoffe gerecht zu verteilen und die Umweltzerstörung zu stoppen.