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Pflegenotstand

Heiner Kiesel12. September 2013

Deutschland werden bald viele Tausend Pflegekräfte fehlen. Die Bundesregierung wirbt deshalb um ausländisches Fachpersonal. Doch die Herkunftsländer haben selbst Engpässe.

Eine philippinische Krankenschwester im Kreiskrankenhaus Bad Homburg bereitet in einem Krankenzimmer eine Spritze vor. (Foto: picture-alliance/dpa)
Ausländische Pflegekräfte in deutschen KrankenhäusernBild: picture-alliance/dpa

"Es sind meine persönlichen Helden und Heldinnen", sagte Bundeskanzlerin Merkel kürzlich bei einer Wahlkampfdebatte im Fernsehen, als sie aufgefordert wurde, über die Krankenschwestern und Pflegekräfte zu sprechen. Die Hochachtung der deutschen Regierungschefin hat, jenseits des großen persönlichen Einsatzes dieser Menschen, einen ernsten Hintergrund: Deutschland hat ein wachsendes Problem mit der Pflege von alten und kranken Menschen. Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen um die 220.000 Fachkräfte in dem Bereich fehlen, warnen Branchenvertreter. Und nun weitet die Bundesregierung ihre Bemühungen aus, den Pflegenotstand zu mildern. Aus dem Ausland sollen die Helfer kommen, die Deutschlands immer weiter vergreisende Bevölkerung versorgen.

Insbesondere die südeuropäischen Länder Spanien, Griechenland, Italien und Portugal stehen dabei im Fokus. Es sind die "Hauptzielländer", wie in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zu lesen ist. Sie stammt von der Linksfraktion im Bundestag und trägt den Titel: "Abwerbung von Fachkräften aus den Ländern des Südens im Pflege- und Gesundheitsbereich". Es sind Länder, "in denen aufgrund der dortigen Arbeitsmarktsituation ein entsprechendes Potenzial an arbeitssuchenden Bewerberinnen und Bewerbern vorhanden ist". Das Potenzial ist tatsächlich groß, denn dort ist der Arbeitsmarkt im Gesundheitswesen durch Sparprogramme in Folge der Finanz- und Bankenkrise ausgetrocknet. Auch mit Serbien und Bosnien-Herzegowina wurden Absprachen getroffen, ebenso mit Tunesien und den Philippinen. Weltweit wird gesucht. Ein Projekt bringt aus China 150 Altenpfleger nach Deutschland.

"Brain drain" in den Herkunftsländern

Dem Bundestagsabgeordneten Niema Movassat von der Linken gehen die Bemühungen zu weit. Er sorgt sich um die Folgen für die Staaten, aus denen die Gesundheitskräfte rekrutiert werden. "In einigen der Länder, in denen diese Abwerbemaßnahmen stattfinden, herrscht jetzt schon ein Mangel an Pflegepersonal und das wird dann noch verschärft." Movassat sagt, dass er durch NGOs auf dieses Problem aufmerksam gemacht worden sei und danach die Anfrage initiiert habe. Es stört ihn, dass mit deutschen Hilfsgeldern das Gesundheitswesen in Entwicklungsländern aufgebaut werde und dann die frischausgebildeten Fachkräfte nach Deutschland abwanderten. "Das ergibt für mich keinen Sinn." Movassat verweist darauf, dass mit Hilfe der deutschen Entwicklungsagentur GIZ aus Vietnam und Indonesien Pflegekräfte nach Deutschland gekommen seien.

Linken-Abgeordneter Niema Movassat kritisiert die Abwerbeaktionen der BundesregierungBild: Imago/Metodi Popow

In ihrer 13-seitigen Antwort an Movassat und seine Fraktion unterstreicht die Bundesregierung, dass sie sich bei ihren Werbeaktionen an internationales Recht halte. Dazu zählt der Verhaltenskodex der Weltgesundheitsorganisation über die Abwerbung von Gesundheitskräften (WHO Global Code of Practice on the International Recruitment of Health Personnel), der es verbietet, Gesundheitspersonal aus Ländern mit Unterversorgung zu rekrutieren. Die beginnt bei unter 2,29 Gesundheitskräften pro 1000 Einwohnern. Bei dieser Schwelle ist noch eine Gesundheitsversorgung von 80 Prozent der Bevölkerung möglich - die restlichen 20 Prozent haben kaum Aussicht auf Hilfe. Diese Situation trifft beispielsweise auf Indonesien und Vietnam zu. Die WHO-Richtlinie zur Anwerbung bezieht sich allerdings auf aktive Anwerbung. Nach Angaben der Bundesregierung seien die Fachkräfte in den asiatischen Ländern eben "nicht aktiv" angesprochen worden.

Krankenhaus in Indonesien: In 57 Ländern der Erde gibt es laut WHO bedenklich wenige Fachkräfte im GesundheitswesenBild: Getty Images/Ulet Ifansasti

Handlungsbedarf im Inland

"Wir haben ganz bewusst Abkommen mit Ländern geschlossen, bei denen wir wissen, dass dort kein Notstand besteht", betont Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP). Für ihn gibt es keine Alternative zur Anwerbung von Pflegepersonal im Ausland. Und es bestehe Handlungsdruck: "Wir stehen in einem scharfen Wettbewerb um diese Kräfte und wenn wir nichts tun, dann gehen sie eben in die Schweiz, nach Großbritannien oder nach Skandinavien." Die Bundesregierung bemühe sich, Ressourcen im Inland zu mobilisieren, aber das werde nicht ausreichen.

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr will verstärkt im Ausland nach Pflegern suchenBild: picture-alliance/dpa/Wolfgang Kumm

Hubert Röser vom Bundesverband Ambulante Dienste und Stationäre Einrichtungen (bad) e. V. stimmt dem Minister da zu. "Es geht nicht mehr ohne ausländische Pflegekräfte." Sein Branchenverband vertritt nach eigenen Angaben rund 1000 Pflegedienste und Heime. "Aber es ist noch wichtiger, endlich die strukturellen Probleme in Deutschland in den Griff zu bekommen, damit der Pflegeberuf attraktiver wird." Röser fordert hier bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen ein. Bei der Anwerbung von Pflegekräften aus Fernost beschleichen den Branchenvertreter Zweifel, dass das in der Praxis gut funktionieren wird – wegen der kulturellen Unterschiede: "Da ist einfach eine große Lücke in der Kommunikation, wenn man sich einen 80jährigen Pflegebedürftigen mit einer Pflegekraft aus Indien, China oder Vietnam vorstellt."

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