Deutschland schiebt nach Afghanistan ab trotz Taliban-Regime
22. Juli 2025
Deutschlands Innenminister Alexander Dobrindt war zufrieden: "Es ist gelungen, einen weiteren Abschiebeflug mit Straftätern nach Afghanistan zu organisieren", ließ er am 18. Juli in einer Pressemitteilung verbreiten. An Bord der von Leipzig nach Kabul gestarteten Maschine waren 81 Männer, die Deutschland loswerden wollte.
Aus Dobrindts Sicht lösten die seit Mai regierenden Unionsparteien (CDU/CSU) und Sozialdemokraten (SPD) damit ein Versprechen ein. Tatsächlich steht in ihrem Koalitionsvertrag dieser Satz: "Nach Afghanistan und Syrien werden wir abschieben - beginnend mit Straftätern und Gefährdern." Allerdings hatte es auch schon unter der früheren Regierung aus SPD, Freien Demokraten (FDP) und Grünen einen Abschiebeflug gegeben - im August 2024.
Abschiebungen im Rahmen der "Rückführungsoffensive"
Trotzdem spricht Dobrindt (CSU) von einem "Politikwechsel" - und denkt dabei an die ebenfalls mit der SPD vereinbarte "Rückführungsoffensive". Dafür sollen Herkunftsländer verstärkt in die Pflicht genommen werden, ihre eigenen Staatsbürger zurückzunehmen. Im Fall von Afghanistan ist das besonders schwierig und heikel, weil das Taliban-Regime von Deutschland völkerrechtlich nicht anerkannt wird.
Die radikal-islamischen Fundamentalisten unterdrücken seit ihrer Rückkehr an die Macht im August 2021 wieder systematisch Mädchen und Frauen. Die humanitäre Lage ist nach 20 Jahren Bürgerkrieg verheerend. Der Versuch, das Land im Rahmen einer von den USA angeführten Militär-Mission nach westlichen Maßstäben zu demokratisieren, scheiterte mit dem Abzug der internationalen Truppen endgültig.
Abschiebungen nach Afghanistan gab es auch schon vor der erneuten Machtübernahme durch die Taliban. Sie waren wegen der prekären Sicherheitslage damals umstritten und sind es heute wegen der permanenten Verstöße gegen Menschenrechte.
"Es gibt kein Aufenthaltsrecht für schwere Straftäter in unserem Land"
Innenminister Dobrindt will dennoch an seinem Kurs festhalten: "Es gibt kein Aufenthaltsrecht für schwere Straftäter in unserem Land." Weitere Rückführungen sollen folgen, kündigte Regierungssprecher Stefan Kornelius am Montag an: "Das ist mit einem Flug nicht erledigt."
Bei dieser Gelegenheit bestätigte er, dass die jüngsten Abschiebungen mit Hilfe der Regierung von Katar erfolgt sind. So will Deutschland dem möglichen Eindruck entgegentreten, die Taliban international aufzuwerten. Im Sprachgebrauch der Bundesregierung ist von "technischen Kontakten" die Rede. Bislang hat nur Russland das Regime offiziell anerkannt.
Damit ist die Vermittlerrolle Katars gemeint, wie Regierungssprecher Kornelius bestätigte: "Wir haben auf dieser technischen Ebene regelmäßig Kontakt mit der De-facto-Regierung in Afghanistan."
Das Wort Taliban vermied er. Es sei verabredet worden, zwei Vertreter der afghanischen Verwaltung in die Konsular-Abteilungen afghanischer Vertretungen in Deutschland einzugliedern, "um die weiteren geplanten Rückführungsflüge zu unterstützen".
Damit entsendet das von Deutschland nicht anerkannte Regime erstmals eigenes Personal nach Deutschland; das übrige Personal war noch von der früheren Regierung entsandt worden.
Merz: keine Anerkennung des Taliban-Regimes
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte schon Anfang Juli über Gedankenspiele zu der jetzt offiziell bestätigten Vereinbarung berichtet: "Als Deutschland im vergangenen August zum ersten Mal seit mehr als drei Jahren Afghanen in ihre Heimat abschob, hatten die Islamisten durchblicken lassen, dass klare Regeln für solche Abschiebungen fehlten. Sollte es in Zukunft weitere Flüge geben, müsse man die Regeln gemeinsam aushandeln."
Nun haben die Kontakte zwischen Deutschland und Afghanistan offenkundig eine neue Dimension erreicht. Trotzdem betonte Bundeskanzler Friedrich Merz am Tag des jüngsten Abschiebeflugs: "Eine diplomatische Anerkennung des Taliban-Regimes steht überhaupt nicht zur Entscheidung an. So etwas kann es gar nicht geben", sagte der deutsche Regierungschef in der Bundespressekonferenz. Sie ist das exklusive Forum der im Regierungsviertel akkreditierten Journalistinnen und Journalisten.
SPD-Außenpolitiker kritisiert Taliban-Kontakte
Manchen Politikern innerhalb der Koalition gehen aber schon die bestehenden Kontakte zu weit. Der außenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Adis Ahmetovic, hatte sich schon vor dem jetzt bekannt gewordenen Abschiebeflug kritisch geäußert.
"Mit einer Gruppierung, die Frauen und Mädchen systematisch Bildung, Arbeit und Freiheit verweigert, die öffentliche Gewalt ausübt, Andersdenkende verfolgt und grundlegende Menschenrechte mit Füßen tritt, kann es aktuell keinen Dialog geben", sagte Ahmetovic dem Tagesspiegel.
Der Sozialdemokrat fühlt sich bestärkt durch die vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag erlassenen Haftbefehle gegen Taliban-Chef Haibatullah Achundsada und Afghanistans Obersten Richter, Abdul Hakim Hakkani. Ihnen werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Frauen und Mädchen sowie LGBTQ-Menschen seien in Afghanistan einer "beispiellosen, skrupellosen und andauernden Verfolgung durch die Taliban" ausgesetzt.
Afghanistan-Experte hält diplomatische Aufwertung für möglich
Ahmetovic bezeichnete die Haftbefehle als "deutliches Signal" und fügte hinzu: "Wer die Würde des Menschen derart missachtet, ist kein legitimer Gesprächspartner - weder diplomatisch noch moralisch." Doch der Afghanistan-Experte Conrad Schetter vom Bonn International Centre for Conflict Studies (bicc) hält nach der Anerkennung des Taliban-Regimes durch Russland sogar einen Domino-Effekt für möglich.
Im DW-Interview verwies er unmittelbar nach diesem diplomatischen Schritt auf die engen Beziehungen Afghanistans zu anderen Staaten, darunter Pakistan und Katar: Folgten diese Länder dem russischen Beispiel, könne dies für die westlichen Staaten erheblichen politischen Druck nach sich ziehen.
Die müssten sich dann fragen, wie sie sich den Taliban gegenüber verhalten. "Und genau das dürfte eine diplomatische Dynamik entfachen, auf die die Taliban aufgrund des jüngsten russischen Schrittes nun verstärkt hoffen", vermutet Schetter.
"Internationales Vertrauen in Deutschland sinkt"
Heftige Kritik an der deutschen Afghanistan-Politik übt die Friedens- und Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff von der Universität Frankfurt am Main. Abschiebungen seien unzulässig, wenn den Betroffenen im Herkunftsland Folter oder unmenschliche Behandlung drohten, schreibt sie im Tagesspiegel. Außerdem werde das internationale Vertrauen in Deutschland sinken, lautet ihre Prognose.
Das hält Deitelhoff auch deshalb für beschädigt, weil die Bundesregierung Aufnahmeprogramme für ehemalige Ortskräfte aus der Zeit des deutschen Engagements in Afghanistan beendet.
"Wer will sich noch auf das Wort eines Landes verlassen, das seinen zivilen Helfern verspricht, zukünftig für ihre Sicherheit zu sorgen und sie dann kurzerhand im Stich lässt?"