Deutschlands Afrika-Problem: Kein Plan, keine Chancen?
17. Juli 2025
China investiert, Indien handelt, die Golfstaaten bauen. Und Deutschland? Schaut oft nur zu. Während sich der globale Wettbewerb um Afrikas Märkte und Rohstoffe zuspitzt, fehlt es der deutschen Politik weiterhin an strategischer Klarheit. Dabei steht viel auf dem Spiel: wirtschaftliche Chancen, geopolitischer Einfluss und langfristige Partnerschaften.
Das müsse sich ändern, sagt nun Vizekanzler Lars Klingbeil. Beim G20-Treffen der Finanzminister im südafrikanischen Durban betonte er, Partner im Globalen Süden teilten das Interesse an stabilen Handelsbeziehungen und der Achtung des Völkerrechts. Nun gelte es, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Südafrika zu stärken - ebenso wie die zwischen Europa und Afrika insgesamt.
Bereits wenige Tage zuvor hatte auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer gemeinsam mit der Subsahara-Initiative der deutschen Wirtschaft (SAFRI) eine strategische Neuausrichtung gefordert. Die sogenannte "Afrika-Wende" sei überfällig, hieß es. Wie realistisch ist dieser Wunsch nach Erneuerung? Und was steht im Weg?
Wenig deutsches Engagement in Afrika
Die Handelszahlen zeichnen jedenfalls ein ernüchterndes Bild: Deutsche Exporte in die Region stagnieren seit über einem Jahrzehnt. Im Jahr 2014 beliefen sie sich auf 13,3 Milliarden Euro, zehn Jahre später lag der Wert bei nur 14,2 Milliarden. Rechnet man die Inflation ein, ergibt sich faktisch ein Nullwachstum.
Dabei ist wirtschaftliche Dynamik in afrikanischen Staaten durchaus vorhanden. Staaten wie Tansania, Elfenbeinküste oder Senegal verzeichnen seit Jahren robuste Wachstumsraten. Die Nachfrage nach Infrastruktur, Konsumgütern und Energie steigt überall auf dem Kontinent, auch befeuert durch das rasante Bevölkerungswachstum. Eigentlich eine große Chance für die deutsche Exportwirtschaft.
Der neue Wettlauf um Afrika
Die Hauptprofiteure dieser Entwicklung sitzen jedoch anderswo: Unternehmen aus China, Indien, der Türkei oder den Golfstaaten dominieren zunehmend die großen Aufträge. China hat seine Exporte und Investitionen in Afrika in den letzten zwanzig Jahren vervielfacht. Deutsche Firmen hingegen haben in vielen Sektoren Marktanteile verloren.
Man müsse die Debatte um eine "Afrika-Wende" im Kontext einer neuen, geopolitischen Lage auf dem Kontinent verstehen, sagt Politikwissenschaftler Kai Koddenbrock vom Bard College in Berlin. "Gerade findet aufgrund des relativen Abstiegs der EU und der USA ein neues Rennen um Afrika statt."
Die Schätze in Afrikas Boden
Ein besonders prägnantes Beispiel dafür ist der globale Wettlauf um kritische Rohstoffe. Afrika nimmt hier eine Schlüsselrolle ein. Ob Kobalt, Bauxit, Lithium oder seltene Erden: Viele dieser strategisch wichtigen Mineralien werden auf dem afrikanischen Kontinent bereits gefördert, oder lagern dort noch unerschlossen. Sie sind unverzichtbar für Batterien, Windräder und Elektromotoren, also für zentrale Technologien der grünen und digitalen Transformation.
Während die weltweite Nachfrage steigt, sichern sich andere Staaten, allen voran China, den Zugang zu diesen Ressourcen, oft gestützt durch langfristige Infrastrukturprojekte und eine klare industriepolitische Strategie.
Auch US-Präsident Donald Trump hat jetzt eine Charme-Offensive gestartet. Deutschland hingegen droht ins Hintertreffen zu geraten. Gerade deutsche Industriekonzerne schlagen inzwischen Alarm: Über 60 Prozent der weltweiten Förderung seltener Erden und fast 90 Prozent der Raffinierung entfallen auf China. Die jüngsten Exportbeschränkungen Pekings haben die Abhängigkeit Europas schlagartig offengelegt.
Deutschland hat viel zu bieten
Ist das Spiel schon verloren? Christoph Kannengießer, Geschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft sagt: Nein. Er sieht Deutschland in einer vorteilhaften Ausgangslage. Denn unter den westlichen Industrienationen genieße die Bundesrepublik in Afrika nach wie vor einen besonders guten Ruf, sowohl politisch als auch wirtschaftlich.
"Unsere Unternehmen machen schon sehr besondere Dinge," sagt Kannengießer im DW-Interview. Statt auf Rohstoffausbeutung setze die deutsche Wirtschaft vor allem auf Greenfield-Investitionen, lokale Partnerschaften und den Aufbau nachhaltiger Strukturen.
Viele deutsche Firmen seien dafür bekannt, Know-how und Wertschöpfung vor Ort zu schaffen. Deutschlands Afrika-Politik gebe sich bescheiden , "gerade in einer Zeit, in der afrikanische Staaten zunehmend auf Eigenverantwortung und Industrieaufbau setzen, könnte das ein entscheidender Wettbewerbsvorteil sein", sagt der Wirtschaftsexperte.
Kannengießer plädiert dafür, dass die Bundesregierung endlich Tempo aufnimmt. Eine kohärente Afrika-Strategie fehlt bislang. Die letzte wurde erst kurz vor der Wahl verabschiedet, viel zu spät, um Wirkung zu entfalten. Dabei müsse eine solche Strategie über Jahre handlungsleitend sein, sagt er. Deutschland brauche nun endlich ein ambitioniertes, differenziertes Konzept, und vor allem mehr Tempo. "Einfach ein bisschen mehr PS auf die Straße bringen!", fordert er.
Wie könnte die Afrika-Wende aussehen?
"Es hat sich in den letzten zehn Jahren schon viel getan", sagt Tom Halgasch, Gründer der Firma "Das Labor GmbH", die seit 2011 Medizinlabore in Guinea, der Elfenbeinküste und Togo betreibt. Er beobachte jedoch, dass Deutschlands Nachbarn - etwa Belgien, die Niederlande oder Frankreich - oft leichteren Zugang hätten. "Dort ist wirtschaftliches Engagement in Afrika Teil der Außenpolitik. Wenn eine Genehmigung fehlt, wird auch schon mal die Botschaft aktiv."
Hinzu kämen praktische Hürden wie Finanzierung, Visafragen oder fehlende Doppelbesteuerungsabkommen. Der Unternehmer aus Potsdam wünscht sich, dass sich deutsche Politik künftig stärker zwischen Außenwirtschaft, Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit verzahnt.
Wo es noch hakt
Das größte Hemmnis für mehr unternehmerisches Engagement in Afrika sei das vorherrschende Narrativ, sagt Christoph Kannengießer: Der Kontinent werde als zu risikoreich wahrgenommen. Mit direkten Folgen: Banken verlangten teils zweistellige Zinssätze oder böten keine Kredite, wenn Sicherheiten oder politische Stabilität fehlten. Hier könne der Staat ansetzen: mit gezielten Instrumenten, um Investitionen besonders für Mittelständler abzusichern und zu erleichtern.
Auch die wirtschaftspolitische Flankierung müsse stärker in den Fokus rücken, betont Kannengießer: Statt pauschaler Strategien brauche es gezielte diplomatische Initiativen, die thematisch und regional differenziert agieren, und zwar auf höchster politischer Ebene.
Dass solches Engagement willkommen ist, bestätigt Andries Oosthuizen, Vize-Botschafter Südafrikas in Berlin. Deutschland genieße in Afrika weiterhin hohes Ansehen als Technologie- und Ausbildungspartner. "Wir brauchen Investitionen in Infrastruktur, denn letztlich suchen auch deutsche Unternehmen vor allem Stabilität und politische Sicherheit", sagt Oosthuizen der DW.
Partnerschaft auf Augenhöhe?
Doch wirtschaftliches Engagement allein genügt nicht. Irgendwann stellt sich die grundsätzliche Frage: Wie versteht Deutschland seine Rolle in Afrika - als Partner auf Augenhöhe, als Investor oder als Rohstoffsicherer?
Kai Koddenbrock vom Bard College Berlin zweifelt am Anspruch gleichberechtigter Zusammenarbeit. Im Zentrum deutscher Interessen stünden vor allem stabile Lieferketten und günstiger Zugang zu Ressourcen. "Davon auszugehen, dass Deutschland ein echtes Interesse an einem starken afrikanischen Kontinent hat, der ihm höhere Preise aufzwingen kann, halte ich für unrealistisch", sagt er.
In Afrika als glaubwürdiger Partner auftreten
Auch Investitionen seien nur dann partnerschaftlich, wenn sie sich an den wirtschaftspolitischen Zielen afrikanischer Staaten orientieren. Das bedeute lokale Weiterverarbeitung, den Aufbau eigener Industrien und wirtschaftliche Unabhängigkeit von europäischen Interessen.
"Wenn es wirklich um Augenhöhe geht, muss Europa auch bereit sein, Blockbildungen im Globalen Süden zu akzeptieren und höhere Preise für verarbeitete oder fertige Produkte aus Afrika zu zahlen", so Koddenbrock. "Wir müssen uns fragen, welche Art von Wirtschaft wir wollen, in Deutschland und auch global".
Es ist ein entscheidender Moment. Noch hat Deutschland die Chance, in Afrika als glaubwürdiger Partner aufzutreten: wirtschaftlich, politisch und technologisch. Doch dazu, da sind sich alle einig, braucht es mehr als Ankündigungen.