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Digitalisierung: Deutschlands zähe Aufholjagd

22. Oktober 2025

Bundesdigitalminister Karsten Wildberger versucht seit einem halben Jahr, das Land zu modernisieren. Bei seinem Amtsantritt sagte Wildberger, es brauche Zeit, Mut, Expertise und Geduld. Was hat er bislang erreicht?

Ein Mensch läuft an einem "AI"-Schriftzug auf der Hannover Messe vorbei
Deutschland hinkt bei der Digitalisierung noch ordentlich hinterher. Lauf dem Index des Digitalverbands Bitkom, der den Digitalisierungsfortschritt der EU-Länder vergleicht, kommt Deutschland aktuell nur auf Platz 21 von 27.Bild: Julian Stratenschulte/dpa/picture alliance

Wer in Deutschland einen neuen Personalausweis braucht, ein Auto neu zulassen will, Kindergeld oder die Rente beantragen möchte, der braucht vor allem Geduld und gute Nerven. Da sind Formulare auszufüllen, oft über viele Seiten. Bei vielen staatlichen Dienstleistungen ist nicht eine Behörde zuständig, sondern manchmal sind es auch drei oder vier. Alles ist komplex und kostet viel Zeit.

Im föderalen Deutschland sind die Zuständigkeiten verteilt. Etwa 90 Prozent aller Verwaltungsaktivitäten sind bei den Ländern und vor allem den Städten und Gemeinden angesiedelt. 2017 nahm sich Deutschland zuletzt vor, sämtliche Behördendienstleistungen zu digitalisieren. Bei knapp der Hälfte ist das inzwischen möglich. Doch wer an einem der vielen Orte in Deutschland wohnt, wo das Internet nur stotternd funktioniert, dem hilft das auch nicht weiter.

Digitalisierung: Deutschland in der EU abgehängt

Wie digitale Verwaltung flächendeckend für alle unkompliziert funktioniert, das zeigen in der Europäischen Union unter anderem Finnland, Dänemark und Estland. Deutschland liegt auf einem Index des Digitalverbands Bitkom, der den Digitalisierungsfortschritt der EU-Länder vergleicht, aktuell nur auf Platz 21 von 27.

Noch ganz neu in Deutschland: Digital gespeicherte Diagnosen in einer Patientenakte, auf die auch andere Ärzte zugreifen könnenBild: Daniel Karmann/dpa/picture alliance

Das Land dorthin zu bringen, wo andere längst sind - das ist seit knapp einem halben Jahr die Aufgabe von Karsten Wildberger. Der 56-Jährige ist der erste Bundesminister für Digitales und Staatsmodernisierung überhaupt. Bevor Bundeskanzler Friedrich Merz Wildberger in sein Kabinett berief, war der promovierte Physiker Unternehmensberater und gut bezahlter Top-Manager; zuletzt als Vorstandschef der Elektronikmarkt-Kette Mediamarkt-Saturn. Ins Amt kam er als Parteiloser; ohne Politikerfahrung. Heute ist er Mitglied der CDU.

Ministerium im ehemaligen Autohaus

Wildberger musste sich sein Ministerium erst einmal aufbauen. Eine Immobilie im Westen Berlins dient als provisorische Bleibe, im Erdgeschoss wurden früher Autos verkauft. Kompetenzen, Fachabteilungen und die Mitarbeiter wurden aus fünf Ministerien und dem Kanzleramt zusammengezogen: Von der Steuerung der Bundes-IT, über Fragen der Cybersicherheit des Bundes bis zur Digitalisierung der Verwaltung ist nun alles im neuen Ministerium gebündelt. Steht in einem anderen Ministerium ein IT-Projekt an, dann hat Wildberger Mitspracherecht. Er ist mächtig.

Der Ex-Manager will Tempo machen. Vokabeln wie "wollen" und "sollen" höre man oft, weniger aber den Begriff "umsetzen", klagte er Ende September auf der Digitalkonferenz "My Way" in Berlin. Die Umsetzung, das "ins Tun kommen", sei ihm aber besonders wichtig.

Digitalminister Karsten Wildberger (CDU) im BundestagBild: Niklas Treppner/dpa/picture alliance

Doch Wildberger weiß auch, dass es unmöglich ist, den Rückstand in Deutschland über Nacht aufzuholen. "Für Digitalisierung gibt es keinen Schalter, den man einfach umlegt und dann ist alles digital und alles gut", warnte er in seiner ersten Bundestagsrede im Mai 2025 vor zu hohen Erwartungen. "Digitalisierung ist ein Prozess, der Zeit, Mut, Expertise, Geduld und Partner braucht." Mit Zeit und Beharrlichkeit werde man aber vorankommen.

Glasfaser und 5G - neue Hoffnung für ländliche Gebiete 

Ganz oben auf der Prioritätenliste steht der Ausbau von schnellem Breitband-Internet und mobiler Telekommunikation in ganz Deutschland. Der Rückstand ist groß, die Probleme in der Infrastruktur sind seit vielen Jahren ungelöst. Zuständig sind die Telekommunikations-Unternehmen. Doch die investieren nur dort, wo es sich für sie lohnt - und das sind vor allem die dicht besiedelten Orte. Trotz staatlichen Finanzhilfen und regulatorischem Druck hat sich daran bislang wenig geändert.

Je dunkler das Blau, um so langsamer die Verbindung: Schnelles Internet ist in ländlichen Gebieten Deutschlands keine Selbstverständlichkeit, während Ballungsgebiete wie die Region um Frankfurt am Main flächendeckend mit 5G versorgt sind Bild: Bundesnetzagentur

Offen sprach Wildberger auf der Berliner Digitalkonferenz über den Stillstand, auf den er auch unter seinen Beamten gestoßen sei. "Natürlich ist ein Haus (Ministerium) auch geprägt davon, was vorher passiert ist. Wir haben diskutiert, was können wir denn machen, damit der Ausbau schneller vorangeht, und dann war da jetzt nicht so viel dabei." 

Neue Ideen sind gefragt

Der Ex-Manager gab den Beamten vor, sie hätten alle Freiheiten, komplett neu zu denken. "Wir haben gesagt: Stellen Sie sich vor, Sie müssten ein Stück weit die Welt retten!" Inzwischen sei man in der Abstimmung mit Eckpunkten für ein Konzept, das Anfang 2026 fertig sein soll.

Spätestens Anfang 2027 soll das digitale Portemonnaie verfügbar sein. Bürger können dann auf dem Mobiltelefon in einem Wallet vom Personalausweis über den Führerschein bis zur Versicherungs- und Fahrkarte alle wichtigen Dokumente digital speichern. Banken und Sparkassen sollen künftig auf die Dokumente zugreifen können, wenn ein Bürger ein Konto eröffnen will. Oder ein Mobilfunkunternehmen, wenn ein neuer Handy-Vertrag abgeschlossen werden soll. 

In der Verwaltung dominiert die digitale Vielfalt

Mit Blick auf die Wirtschaft will Wildberger Themen wie Datenpolitik, künstliche Intelligenz und digitale Geschäftsmodelle für Deutschland anpacken. Im Fokus dabei steht der Datenschutz. Der dürfe nicht zur Innovationsbremse werden, warnt der Minister seit seinem Amtsantritt. 

Der wohl schwierigste Posten auf der Agenda des Digitalministers ist der Umbau der Verwaltung. Nicht allein deswegen, weil in den meisten Ämtern und Behörden in Deutschland Regale voller Aktenordner und Register mit Papieren und Dokumenten lagern, die erst digitalisiert werden müssen. 

So ähnlich wie im Kriminalgericht in Berlin-Moabit sieht es in vielen deutschen Ämtern ausBild: Monika Skolimowska/dpa/picture alliance

Das größte Problem ist der Wildwuchs im System. Der Bund, die 16 Bundesländer und die rund 11.000 Kommunen haben sich in den vergangenen 15 bis 20 Jahren vielfach eigene IT-Lösungen aufgebaut, die nicht miteinander kommunizieren können. Das Digitalministerium kommt nach ersten Berechnungen auf mehr als 8000 verschiedene Portale. "Wir haben eine unglaubliche Variantenvielfalt gebaut", so Wildberger.

Widerstand in den Kommunen ist erwartbar

Das zu ändern, daran hatte das Bundesinnenministerium bereits seit einiger Zeit gearbeitet. "Deutschland-Stack" nennt sich die Lösung. Hinter dem Begriff verbirgt sich eine einheitliche IT-Infrastruktur mit Cloud- und IT-Diensten, die flächendeckend zur Verfügung gestellt werden sollen und über klar definierte Schnittstellen und Standards verfügen. 

Doch werden die Länder und vor allem die Kommunen so einfach auf das neue System umsteigen wollen? Widerstand ist vor allem dort zu erwarten, wo es bereits funktionierende Software gibt und die Rathäuser und Bürgerämter erfolgreich damit arbeiten.

Etteln - das digitale Dorf

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Ein erster Schritt: Die Online-Anmeldung für den PKW 

Wildberger selbst spricht in diesem Zusammenhang von einem "dicken Brett", das es zu bohren gelte. Zunächst will er sich auf einzelne Projekte beschränken, die absehbar bis zur nächsten Bundestagswahl 2029 zu schaffen sind. Beste Chancen hat die Online-Zulassung von Autos. Bisher werden die jährlich rund 10 Millionen An-, Ab- und Ummeldungen von 400 Zulassungsstellen in Städten und Gemeinden erledigt. Da dort das Geld knapp ist, dürfte es wenig Widerstand geben, wenn der Bund diese Dienstleistung über das Kraftfahrt-Bundesamt zentral übernimmt.

Oft werde er mit dem Satz konfrontiert: "Guckt doch mal nach Estland, da funktioniert das doch alles!", sagte Wildberger auf der Berliner Digitalkonferenz. Da gebe es aber auch zentral verfügbare, digitalisierte Daten und die Erlaubnis, darauf zugreifen zu können. Deutschland stehe praktisch "an der anderen Seite des Spektrums", so der Minister. Hier müssten überhaupt erst die Voraussetzungen geschaffen werden. Neben der Digitalisierung der Aktenordner brauche es einen Staatsvertrag zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, um die Daten zugänglich machen. Das aber, so ist zu erwarten, kann dauern.

 

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