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Deutschlands fünfte Corona-Welle bricht

15. Februar 2022

Die Zahl der Infektionen mit der Omikron-Variante nimmt ab. Deutschland folgt damit anderen Ländern in Westeuropa. Feierstimmung kommt aber nicht auf. Denn das Problem der Impflücke bleibt.

Deutschland | Coronavirus | Mundschutz, Fußgängerzone
Bild: Frank Rumpenhorst/dpa/picture alliance

Es könnte der Moment der Freude sein, des Durchatmens und der Hoffnung nach bald zwei Jahren Pandemie in Deutschland: Seit mehreren Tagen sinkt die Sieben-Tage-Inzidenz für das ganze Land, also die Zahl der Menschen, die sich im Wochenschnitt pro 100.000 Einwohner infizieren. Einige Corona-Beschränkungen sollen fallen. In Großstädten wie Berlin und Hamburg ist diese Tendenz schon seit Anfang Februar abzulesen. Die Entwicklung der deutschen Infektionskurve macht damit zeitverzögert eine ähnliche Bewegung wie die anderer EU-Länder in Westeuropa - wie in Frankreich, Spanien oder Portugal: Sie knickt ab.

Plateau-Bildung in Deutschland

Er sehe in den Pandemiemodellen seines Teams den Beginn einer "Plateau-Bildung" und den Beginn von Infektionsrückgängen in dieser fünften Welle. Dies werde sich bis Ende März immer weiter verstetigen, sagt der international renommierte Computer-Epidemiologe und Komplexitätsforscher Dirk Brockmann von der Berliner Humboldt-Universität im Gespräch mit der DW. Die Menschen in Deutschland seien demnach auf einem guten Weg, bald die Omikron-Welle zu überwinden.

Der Komplexitätsforscher Dirk Brockmann sieht den Beginn eines PlateausBild: DW

Die nach Weihnachten in Deutschland wieder verschärften Corona-Maßnahmen haben offenbar gewirkt. Da ging es vor allem darum, dass eine durch Omikron verursachte Krankheitswelle nicht dazu führt, dass Teile der kritischen Infrastruktur ausfallen. Das ist nicht passiert. Homeoffice wurde kurzfristig bei vielen staatlichen Einrichtungen wieder zur Pflicht, in öffentlichen Einrichtungen, in Restaurants, Bars, fast überall im öffentlichen Leben wurde der Zugang für Nichtgeimpfte beschränkt, Auflagen erhoben, die Infektionen vermindern sollten. Offenbar mit Erfolg. 

Und dennoch ist vielen Fachleuten nicht zum Feiern zumute. Oft war das Coronavirus SARS-CoV-2 in den vergangenen bald zwei Pandemie-Jahren für Überraschungen gut. Auch der bekannteste deutsche Virologe Christian Drosten vom Berliner Universitätsklinikum Charité zeigt sich in Interviews nur vorsichtig optimistisch, dass in diesem Jahr das Virus seinen ganz großen Schrecken verliert und sich ins Glied einreihen wird von Erregern wie denen von Masern, Grippe, den Pocken oder - auch - des HI-Virus. Für letzteres gibt es zwar bislang keinen Impfstoff, die Behandlungsoptionen sind aber so weit gediehen, dass infizierte Menschen mithilfe von Medikamenten ihre Viruslast so weit senken können, dass sie andere nicht mehr infizieren. Andere HIV-Präparate helfen dem Körper, eingenommen vor einer Infektion, das Virus zu eliminieren.

Ein speziell deutsches Corona-Problem

Bei SARS-CoV-2 gibt es ein Problem, das einige von Deutschlands westlichen EU-Partnern in dieser Form nicht haben: Es ist die niedrigere Impfquote der Gesamtbevölkerung und der Grad der Immunisierung durch Infektion vor allem der besonders stark von schweren Krankheitsverläufen betroffenen älteren Generation. Der Virologe Drosten beschreibt das als einen "Kontakt mit dem Virus" - sei es durch Impfungen, sei es durch eine oder mehrere Infektionen.

Man will es den Menschen leicht machen. Nicht immer gelingt dasBild: Julian Stratenschulte/dpa/picture alliance

Ohne eine hohe und nachhaltige Immunisierung von weiten Teilen der Bevölkerung kann es aber immer wieder zu starken Virus-Übertragungen mit vielen Beteiligten kommen. In Deutschland besonders in den kalten Herbst- und Wintermonaten, wo sich Menschen mehr in Innenräumen begegnen. SARS-CoV-2 überträgt sich besonders gut in Innenräumen über Aerosole. Deshalb waren es diese Monate in allen fünf Corona-Wellen in Deutschland, in denen die Infektionen steil angestiegen sind. Die Forscher befürchten, dass das Virus zurückkehrt im nächsten Herbst und wieder vor allem Ältere trifft - weil zu wenige von ihnen immunisiert sind. 

Über bald zwei Jahre hinweg hat die deutsche Gesellschaft mehrheitlich versucht, vor allem die besonders gefährdeten Menschen zu schützen: Man hat sich daran gewöhnt, Masken zu tragen, und es gab Lockdowns. Als Anfang 2021 die Impfkampagne in Deutschland an Fahrt aufnahm, wurden zuerst die Alten geimpft, nach und nach kamen jüngere Alterskohorten dazu. Die Gesellschaft hat hingenommen, dass mit der fünften Corona-Welle durch die Omikron-Variante besonders Schülerinnen und Schüler durchseucht werden.

Impflücke bei den über 60-Jährigen

Die Impflücke in Deutschland ist im westeuropäischen Vergleich vor allem bei Menschen über 60 noch groß. Das zeigen die Daten der EU-Gesundheitsbehörde ECDC. Demnach sind bislang 89,6 Prozent der über 60-Jährigen in Deutschland vollständig geimpft (ohne Booster-Impfung), in Spanien sind es in dieser Altersgruppe 98,4 Prozent und in Portugal sogar 100 Prozent.

Der Widerstand gegen das Impfen ist in Deutschland größer als in vielen westeuropäischen LändernBild: Daniel Bockwoldt/dpa/picture alliance

Das ist offenbar ein Erfolg der Corona-Kommunikation in Portugal und in Spanien. Dort wurden die Menschen von den Gesundheitsbehörden direkt angeschrieben und zu einem Impftermin eingeladen. Das gibt es bis heute in Deutschland nicht. Hier steigen die Impfzuwächse bei der Grundimpfung relativ langsam: Seit Mitte Januar bis Mitte Februar um 2,3 Prozentpunkte nach der Statistik der nationalen Gesundheitsbehörde, des Robert Koch-Instituts. Offenbar lassen sich bislang Nichtgeimpfte immer schwerer davon überzeugen, sich doch noch impfen zu lassen.

Impfgegner: Verhärtete Fronten

Die Fronten zwischen Geimpften und Ungeimpften in Deutschland haben sich verhärtet. "Das Vertrauen der Ungeimpften ist – schon lange – so niedrig, dass wir vermuten, dass es sich selbst dann nicht wiederherstellen ließe, wenn es am Ende keine Impfpflicht geben würde", sagt die Psychologin Cornelia Betsch in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Die Forscherin und ihr Team legen seit Sommer 2020 alle paar Wochen die sogenannte Cosmo-Studie auf, die ein Stimmungsbild der Deutschen in der Corona-Pandemie zeichnet. Jede Studie beinhaltet Handlungsempfehlungen an die Politik. Betsch fordert in ihrer Cosmo-Studie Mitte Januar wieder wie so oft in der Vergangenheit bessere "Kommunikation" ein. "Auch das Widerlegen von Falschinformation sollte ein größeres Gewicht bekommen", heißt es bei Cosmo zum wiederholten Male. 

WHO beklagt Impflücke weltweit

Zuletzt hat der Generalsekretär der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf die Ergebnisse einer Studie aufmerksam gemacht, die sich mit den Beweggründen von Ungeimpften weltweit beschäftigt. Dabei gebe es zwei wichtige Faktoren: "Einer ist Religion, der andere Angst", so Tedros Adhanom Ghebreyesus am Rande der Eröffnung einer WHO-Einrichtung in Südafrika, die den Wissenstransfer für neue Vakzine erleichtern soll.

Die Impfzurückhaltung werde gefüttert durch Falschinformationen in sozialen Medien. "Wir können die akute Phase der Pandemie dieses Jahr beenden", so Tedros, wenn ausreichend geimpft werde. Dazu müsse ausreichend Impfstoff auch für die Ärmsten in der Welt zur Verfügung stehen – und sich am Ende auch genügend Menschen zur Impfung bereiterklären.

Eine Frage der Kommunikation

In Deutschland wächst jetzt die Hoffnung, dass die Impflücke durch eine allgemeine Impfpflicht geschlossen werden kann. Dem Bundestag liegen dafür mittlerweile drei Gesetzesentwürfe vor. Die Parteien der Regierungskoalition von SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP haben sich geeinigt, dass dieser Schritt nicht, wie viele Maßnahmen in den vergangenen zwei Jahren, von der Regierung verordnet werden soll, sondern auf Initiative des Parlamentes. Die Hoffnung ist offenbar, auf diese Weise die immer stärkeren Verhärtungen zwischen Geimpften und Ungeimpften aufzulösen.

Österreich: Die Gegner der Impfpflicht

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Einer der drei Entwürfe wird von der Sozialdemokratin Heike Behrens zusammen mit anderen Abgeordneten eingebracht. Darin wird besonderer Wert gelegt auf die Pandemie-"Kommunikation". "Wir werden informieren", überschreibt die Gruppe ihren Gesetzesentwurf. 

Auf die Nachfrage, ob ihr Entwurf auch ein Eingeständnis sei, dass die "Kommunikation" der Politik in Deutschland in den vergangenen bald zwei Pandemie-Jahren hätte besser sein können - vor allem mit Blick auf die im westeuropäischen Vergleich große Impflücke, antwortet Behrens: "Ich glaube, wir alle sind in diesen zwei Jahren permanent Lernende, und aus dem, was wir lernen, müssen wir Konsequenzen ziehen." Die Politik in Deutschland lernt, im dritten Jahr der Pandemie. Dass COVID-19 bleiben wird - wie die Masern, die Pocken in sehr vielen Ländern, wie die Grippe oder HIV hierzulande. Das haben bislang nur wenige gesagt.