Die Sozialdemokratin gilt als die Überraschung im Team vom neuen Kanzler Scholz. Ganz oben auf ihrer Agenda: der Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus.
Zuständig für den Verfassungsschutz und die Polizei
Im Juni 2019 ermordete ein Neonazi den christdemokratischen Politiker Walter Lübcke, weil der sich für Flüchtlinge engagierte. Und 2006 war Halit Yozgat das neunte von zehn Opfern der Terror-Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Mit all diesen schrecklichen Verbrechen hat Nancy Faeser immer wieder zu tun gehabt – als Abgeordnete im Hessischen Landtag. Und damit wird sie sich auch in ihrem neuen Job in Berlin beschäftigen müssen.
Familie Gültekin nach den Morden von Hanau
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Denn als Innenministerin ist sie für die Sicherheit in Deutschland zuständig. Ihr unterstehen so wichtige Behörden wie das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das Bundeskriminalamt (BKA) und die Bundespolizei. Welchen Stellenwert die Verteidigung der Demokratie für sie hat, betonte die erste Frau in diesem Amt im März 2021, als der Hessische Landtag über Konsequenzen aus dem ein Jahr zurückliegenden Massaker in Hanau debattierte. "Der Kampf gegen Rechtsextremismus hat mich persönlich in die Politik geführt", begann Nancy Faser ihre zehnminütige Rede.
Bedrohliche Post von einem Absender, der sich "NSU 2.0" nennt
Dabei rief sie die Namen berühmter Sozialdemokraten in Erinnerung, die gegen Adolf Hitler und den Nationalsozialismus gekämpft haben: Otto Wels, Kurt Schumacher und Friedensnobelpreisträger Willy Brandt. Außerdem erwähnte Nancy Faeser zwei wegweisende Politikerinnen ihrer Partei: Marie Juchacz, die 1919, kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, Mitbegründerin der Arbeiterwohlfahrt (AWO) war. Und Elisabeth Selbert, eine von vier sogenannten Müttern des Grundgesetzes, also der deutschen Verfassung. Die wurde 1948/49 vom Parlamentarischen Rat, dem sonst nur Männer angehörten, erarbeitet.
Nancy Faeser sieht sich also in der Tradition von Antifaschisten und Frauenrechtlerinnen. Was es bedeuten kann, sich gegen Rechtsextremismus und für Gleichberechtigung einzusetzen, hat die verheiratete Mutter eines Sohnes auf perfide Weise selbst erfahren: als Empfängerin eines Droh-Briefes mit dem Absender "NSU 2.0". Eine Anspielung auf die Terror-Gruppe um die inzwischen zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilte Beate Zschäpe.
Im Zwielicht: Hessens Polizei und Verfassungsschutz
Solche einschüchternden Nachrichten bis hin zu Morddrohungen haben auch andere Politikerinnen erhalten. Und die Rechtsanwältin Seda Başay-Yildiz, die im NSU-Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht die Familie des ersten Mordopfers Enver Simşek als Nebenklägerin vertrat. Die vertraulichen Daten der Anwältin waren von einem Polizei-Computer in Hessen abgerufen worden. Ein Skandal, bei dem noch immer Fragen offen sind. War es Absicht? Oder Fahrlässigkeit? Das wüsste auch Nancy Faeser gerne.
Im NSU-Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags versuchte sie herauszubekommen, unter welchen Umständen Halit Yozgat von den Rechtsterroristen in seinem Internet-Café am 6.April 2006 erschossen wurde. Denn zur Tatzeit war nachweislich ein Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) am Ort des Geschehens gewesen. Ob er in den Fall verwickelt war, könnte vielleicht durch die Öffnung von Akten geklärt werden. Doch die bleiben nach dem Willen der Landesregierung aus Christdemokraten (CDU) und Grünen unter Verschluss.
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Linken-Chefin Janine Wissler lobt ihre frühere Weggefährtin
Daran konnte auch Nancy Faeser als damalige Fraktionsvorsitzende der oppositionellen SPD nichts ändern. Aus dieser Zeit kennt auch die Parteichefin der Linken, Janine Wissler, die neue deutsche Innenministerin. Beide sind aus der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden nach Berlin gewechselt. Im Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus haben die beiden Politikerinnen in Hessen viele Jahre an einem Strang gezogen.
"Mit Nancy Faeser habe ich in Hessen gut zusammengearbeitet, insbesondere im NSU-Untersuchungsausschuss", teilte Janine Wissler auf DW-Anfrage mit. Sie sei eine engagierte Mitstreiterin im Kampf gegen rechte Gewalt und Bedrohungen wie den "NSU 2.0" gewesen und im persönlichen Umgang angenehm und verlässlich. "Menschlich haben wir ein gutes Verhältnis, im Wissen um unsere politischen Differenzen."
Von der Oppositionsbank in Wiesbaden auf die Regierungsbank in Berlin
Viel Lob also für die Neue im Innenministerium. Eine Schonfrist wird es für Nancy Faeser aber nicht geben. Als Oppositionsführerin in Hessen war sie es, die der schwarz-grünen Landesregierung immer wieder gravierende Versäumnisse im Kampf gegen Rechtsextremismus vorwarf. Nun sind die Rollenverhältnisse umgekehrt – und das auch noch auf Bundesebene, wo man viel stärker im Fokus der deutschen und internationalen Öffentlichkeit steht.
Deutschlands neue Regierung
Der Koalitionsvertrag ist veröffentlicht, die Besetzung der Kabinettsposten steht fest. Ein Blick auf die Gesichter der künftigen Bundesregierung.
Bild: picture-alliance/dpa/U. Baumgarten
Scholz löst Merkel ab
Olaf Scholz (63) hat seine Partei zum Wahlsieg geführt; nun wird er Nachfolger von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Gewählt wird der Volljurist in der Nikolauswoche. Scholz kennt den Politikbetrieb: Jahrelang war er Minister und Erster Bürgermeister von Hamburg. Ein zentrales Projekt ist die Erhöhung des Mindestlohns.
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Schmidt, der Strippenzieher
Wolfgang Schmidt (51) wird Kanzleramtsminister werden. Das scheint folgerichtig: Schmidt wird nachgesagt, dass niemand Olaf Scholz besser kenne als er. Seit 20 Jahren arbeiten die beiden Hamburger Seite an Seite. Schmidt glaubte schon an Scholz als Bundeskanzler, als das für viele andere noch aussichtslos erschien. Nun versprach er Scholz, ihm "den Rücken freihalten" zu wollen.
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Der Kämpfer gegen die Pandemie
Karl Lauterbach ist die Überraschung im Kabinett. Viele in der Bevölkerung und Politik hatten sich ihn als Gesundheitsminister gewünscht. Doch er war zunächst nicht vorgesehen. Nun lobte ihn Olaf Scholz als "einen vom Fach". Der 58-Jährige ist Mediziner und Gesundheitsökonom. In der Pandemie war er medial omnipräsent, warnte und eckte an. Sein Ressort habe jetzt "erste Priorität", wie es hieß.
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Wieder eine Chefin für die Bundeswehr
Christine Lambrecht war zuvor Justizministerin, nun wird sie Verteidigungsministerin. Die 56-jährige Rechtsanwältin übernimmt ein traditionell schwieriges Ressort. Sie will den militärischen Beruf attraktiver machen. Auslandseinsätze der Bundeswehr sollen zukünftig ständig evaluiert und mit einer Exit-Strategie versehen werden. Sie ist die dritte Frau in Folge auf diesem Posten.
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Heil bleibt im Amt
Der 49 Jahre alte Hubertus Heil macht das, was er zuletzt auch schon tat: Er ist weiterhin für das Ressort "Arbeit und Soziales" zuständig. Er gilt als bodenständig und pragmatisch. Grundrente und Mindestlohn gehören zu seinem politischen Profil. Für die neue Legislatur hat er angekündigt, für mehr Recht auf Home-Office zu kämpfen
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Geywitz übernimmt völlig neues Ressort
Klara Geywitz ist eine von nur zwei Ostdeutschen im Kabinett. Sie bekommt das neu geschaffene Ministerium für Bauen und Wohnen. 400.000 neue Wohnungen pro Jahr sollen entstehen. Die 45-Jährige stammt aus Brandenburg, ist dort seit vielen Jahren kommunal und in der Landespolitik aktiv. In der Bundes-SPD ist sie Vize-Chefin. Scholz sieht in ihr "ein ganz großes Talent".
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Starke Frau aus Hessen für die Innenpolitik
Erstmals wird das Innenministerium von einer Frau geführt. Die 51-jährige Juristin Nancy Faeser kommt aus Hessen, war dort Partei- und Fraktionsvorsitzende. Sie will ihren Schwerpunkt auf die Bekämpfung des Rechtsextremismus legen und versprach eine gut ausgestattete Bundespolizei. Die Menschen hätten einen Anspruch auf Sicherheit im Land.
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Schulze: neue Perspektive auf globale Themen
Die 53-jährige Svenja Schulze war vorher Umweltministerin - nun übernimmt sie das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. "Globale Themen haben sie schon immer umgetrieben", sagte Scholz bei der Vorstellung des Kabinetts. Sie beherrsche "das internationale Parkett". Vor allem beim Klimaschutz hat sich Schulze einen Namen gemacht.
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Lindner hütet bald die Kasse
Christian Lindner hat einen Coup gelandet: Das Amt des Finanzministers gilt als wichtigster Posten nach dem Bundeskanzler. Der 42-Jährige führt seit 2013 die liberale FDP - auch durch schwierige, außerparlamentarische Zeiten (2013-2017). Nun übernimmt der Liberale das Finanzministerium - obwohl die Grünen bei der diesjährigen Bundestagswahl mehr Stimmen erhalten haben als die FDP.
Marco Buschmann: Der 44-jährige Jurist wird neuer Justizminister. Als erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion kennt er die Partei gut; er hatte sie nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag mit neu aufgebaut. Im Wahlkampf warb er für eine liberalere Corona-Politik.
Der dritte FDP-Posten geht an den aktuellen Generalsekretär der Partei: Volker Wissing (51) übernimmt das Ministerium für Verkehr und Digitales. Er kennt sich aus mit Ampel-Koalitionen. Im Bundesland Rheinland-Pfalz war er bereits Mitglied eines solchen Dreierbündnisses. Auf Bundesebene gehörte Wissing dem kleinen Kreis an, der erste Sondierungen angestoßen hat.
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Stark-Watzinger möchte "Bildungsrevolution"
Das vierte Ministerium für die FDP ist Bildung und Forschung. Es geht an Bettina Stark-Watzinger (53). Seit vier Jahren sitzt sie für die FDP im Bundestag und verhandelte den Koalitionsvertrag mit. Bereits im Wahlkampf äußerte sie sich zu bildungspolitischen Themen und veröffentlichte einen Artikel, in dem sie ihre Vision darlegte. Sie plädiert für einen "grundlegenden Systemwechsel".
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Außenamt statt Kanzleramt für Baerbock
Annalena Baerbock (40) hat als Kanzlerkandidatin die Grünen in den Wahlkampf geführt und konnte auch das Wahlergebnis von 2017 steigern. Für das Kanzleramt reichte es aber nicht, auch weil sie sich Patzer im Wahlkampf erlaubte. Nun wird sie Außenministerin - als zweite Grüne, die dieses Amt übernimmt. Zuvor war bereits Joschka Fischer um die Jahrtausendwende Außenminister.
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Habeck, der neue Super-Minister
Robert Habeck ist seit 2018 Ko-Vorsitzender der Grünen. Im Rennen um die Kanzlerkandidatur war er Baerbock unterlegen. Deren Wahlergebnis blieb hinter den Erwartungen zurück. Nun wurde der gelernte Philosoph und ehemalige Landesminister aus Schleswig-Holstein als Bundesminister des neugeschaffenen Ressorts für Wirtschaft und Klimaschutz auserkoren. Auch wird der 52-Jährige Vizekanzler.
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Özdemir gewinnt Postengerangel
Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir (55) soll in der künftigen Bundesregierung das Ressort für Ernährung und Landwirtschaft übernehmen. Der Entscheidung vorausgegangen war ein erbittertes Ringen um die Kabinettsposten. Fraktionschef Anton Hofreiter, der dem linken Parteiflügel zugerechnet wird, geht nun leer aus. Der "Realo" Özdemir ist der erste Bundesminister mit türkischem Migrationshintergrund.
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Lemke nimmt sich der Umwelt an
Für das Ressort Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz ist Steffi Lemke (53) vorgesehen. Die Ostdeutsche lenkte als Bundesgeschäftsführerin der Grünen elf Jahre lang (2002-2013) die Geschicke der Partei. Lemke ist studierte Agrarwissenschaftlerin und ausgebildete Zootechnikerin. Im Bundestag war einer ihrer Schwerpunkte der Kampf gegen die Zerstörung des Lebensraums Meer.
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Spiegel wechselt von Mainz nach Berlin
Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Das dafür zuständige Bundesministerium bekommt Anne Spiegel als Chefin. Das Thema dürfte ihr bekannt vorkommen, war sie doch in Rheinland-Pfalz schon als Landesministerin unter anderem für Familie, Frauen und Jugend zuständig. Die 40-Jährige gehört dem linken Flügel der Grünen an.
Bild: Armando Babani/AFP
Roth soll die Bundeskultur lenken
Claudia Roth rückt ins Rampenlicht bundesdeutscher Kulturpolitik. Die 66-Jährige soll als Kulturstaatsministerin ins Kanzleramt einziehen, wodurch sie dann auch für die DW zuständig sein wird. Ex-Parteichefin Roth ist eines der prominentesten Gesichter der Grünen. Zuletzt war die frühere Managerin der Anarchoband "Ton Steine Scherben" Vizepräsidentin des Bundestages.
Bild: imago images/kolbert-press/B. Schreyer
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Als Innenministerin ist Nancy Faser in das eingebunden, was man Kabinettsdisziplin nennt. Dabei hat sie es mit einem Bundeskanzler Olaf Scholz aus ihren Reihen zu tun – und zwei Koalitionsparteien, die im Gegensatz zur SPD lange in der Opposition waren: Grüne und Freie Demokraten (FDP). Beide verbindet bei allen programmatischen Unterschieden vor allem eines: ihr Engagement für Bürger- und Freiheitsrechte. So lehnen sie, anders als die SPD, die höchst umstrittene Vorratsdatenspeicherung ab.
Auch die Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes (BND) zur Überwachung der Telekommunikation haben sie von vornherein für grundgesetzwidrig gehalten – und wurden vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. Kurzum: In Fragen der Sicherheitspolitik tickt die neue Bundesregierung keinesfalls einheitlich. Für Nancy Faeser wird das eine neue Erfahrung sein. Denn als deutsche Innenministerin geht es um größere Zusammenhänge der nationalen und internationalen Sicherheitsarchitektur als in einem Bundesland wie Hessen.