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PolitikAsien

Deutschlands Israel-Politik: Auswirkungen auf Südostasien

16. Januar 2024

Im Anschluss an eine Nahostreise besuchte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock Malaysia, die Philippinen und Singapur. Sie stieß auf verschiedene Ansichten zum Israel-Gaza-Konflikt und musste einiges erklären.

Malaysia | Deutschland Außenministerin Baerbock in Kuala Lumpur
Deutschlands Außenministerin Baerbock in Kuala Lumpur Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Rund 7600 Kilometer ist Gaza von Kuala Lumpur, der Hauptstadt Malaysias, entfernt. Doch der Krieg im Nahen Osten war ein zentrales Thema der politischen Gespräche, die Annalena Baerbock dort mit ihrem malaysischen Amtskollegen Mohamad Hasan führte. Die deutsche Außenministerin war am 13. Januar in Kuala Lumpur -  am sechsten Tag einer Reise durch den Nahen Osten und Südostasien. Und sie war die erste deutsche Außenministerin, die nach 2005 Malaysia besuchte. 2005 war Joschka Fischer hier, wie Baerbock ebenfalls von den Grünen.

Einer ihrer Beweggründe, dorthin zu fliegen, war, die Sichtweise eines mehrheitlich muslimischen Landes auf den Krieg im Nahen Osten besser zu verstehen – und die Sichtweise Deutschlands zu vermitteln. "Die jüngste Geisel ist gerade ein Jahr alt geworden", sagte Baerbock der deutschen Presse nach dem Treffen mit Hasan. Die Menschen hier, sagte sie, wüssten nicht, dass die Hamas seit mehr als drei Monaten immer noch israelische Geiseln gefangen hält. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 befinden sich immer noch mehr als 130 Geiseln in der Gewalt der Terrormiliz.

Malaysia unterhält keine diplomatischen Beziehungen zu Israel. Die Regierung unterstützt die Völkermord-Klage Südafrikas gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof. Sie hat sich auch nicht vom Hamas-Terrorismus distanziert. Die Regierung in Kuala Lumpur sieht in der militanten islamistischen Bewegung, die Länder wie Deutschland als Terrororganisation einstufen, eine legale Widerstandsorganisation. Premierminister Anwar Ibrahim soll in engem Kontakt mit Hamas-Führern stehen.

Das Leid auf allen Seiten muss aufhören

Mit anderen Worten: Wie Deutschland auf der einen Seite und Malaysia auf der anderen das sehen, war zwischen Israel und den Palästinensern vorgeht, könnte unterschiedlicher nicht sein. Deutschland müsse den mehrheitlich muslimischen Ländern deutlich machen, "dass Israel Deutschlands engster Verbündeter im Nahen und Mittleren Osten ist", sagt Jürgen Hardt, Bundestagsabgeordneter der oppositionellen CDU, gegenüber der DW.

Baerbocks Strategie während der gesamten Reise bestand darin, folgendes klar zu machen: Deutschland unterstützt das Existenzrecht Israels und das Recht Israels, sich zu verteidigen. Aber Deutschland will auch, dass das Leid aufhört. Deutschland möchte, dass Israel Zurückhaltung zeigt und palästinensische Zivilisten schützt.

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In Südostasien berichtete die deutsche Außenministerin darüber, was sie gerade zuvor von den Menschen gehört hatte, die sie im Nahen Osten getroffen hatte: von den israelischen Verwandten von Hamas-Geiseln, ägyptischen Ärzten, die palästinensische Zivilisten aus Gaza behandeln und von palästinensischen Opfern der Gewalt von jüdischen Siedlern im Westjordanland sowie von den UN-Hilfskräften auf der ägyptischen Seite des Grenzübergangs Rafah zu Gaza, die sagen, dass die Hilfe nicht schnell genug bei den Menschen ankommt.

An Südostasien führt kein Weg vorbei

Dennoch dürfe die Bedeutung des Israel-Gaza-Krieges für die Beziehungen Deutschlands zu asiatischen Ländern - selbst zu Ländern mit muslimischer Mehrheit wie Malaysia - nicht überbewertet werden, sagt Felix Heiduk, Asienexperte der deutschen Denkfabrik „Stiftung Wissenschaft und Politik" im Gespräch mit der DW.

Es stehen zu viele andere Themen auf der Agenda: Malaysia ist Deutschlands wichtigster Handelspartner in der Region. Südostasien insgesamt ist für Deutschland von geopolitischem und wirtschaftlichem Interesse. Strategisch führt an Südostasien kein Weg vorbei. "Es liegt mitten in der indopazifischen Region", sagt Felix Heiduk, eine Region, "die deutsche Außenpolitiker als das Epizentrum des globalen Wirtschaftswachstums im 21. Jahrhundert betrachten und in der die Rivalität zwischen den USA und China hauptsächlich stattfindet."

Besuche wie der von Annalena Baerbock in Südostasien unterstreichen die Bemühungen Deutschlands, Risiken einzugrenzen. Jahrzehntelang habe Deutschland vor allem auf China als seinen wichtigsten Wirtschaftspartner in der Region geschaut, sagt Heiduk. Nun "werden Versuche unternommen, sich von China weg zu diversifizieren."

Und das gilt in beide Richtungen: Auch die meisten südostasiatischen Staaten verfolgen Absicherungsstrategien vor dem Hintergrund der sich verschärfenden chinesisch-amerikanischen Rivalität und richten ihren Blick verstärkt auf andere Regionen weltweit, etwa auf Europa – und auf Europas größte Volkswirtschaft, Deutschland.

Willkommensplakate für Bundesaußenministerin Annalena Baerbock auf den PhilippinenBild: Nina Haase/DW

Gleichsam, um dies zu unterstreichen, begrüßten die Philippinen Annalena Baerbock mit riesigen Plakaten, die mit ihrem Namen und Foto an allen Orten aufgehängt worden waren, die sie besuchte. Auch in Manila war Baerbock die erste deutsche Außenministerin seit mehr als einem Jahrzehnt, die persönlich vor Ort war. Der letzte Besuch des verstorbenen Guido Westerwelle fand 2013 statt – und er war damals der erste in 12 Jahren.

"Das gesamte Spektrum" an Positionen zu Israel

Auf den Philippinen war es für Baerbock nicht nötig, Deutschlands Position zu Israel zu erläutern. Die Philippinen, ein langjähriger Verbündeter der USA in der Region, haben die Angriffe der Hamas scharf verurteilt und das Recht Israels auf Selbstverteidigung nachdrücklich betont. Die drei Länder, die die Außenministerin während dieser Reise besuchte, zeigten "das gesamte Spektrum Südostasiens" in Bezug auf den Israel-Gaza-Krieg, sagt der Politologe Heiduk.

Die Gespräche mit ihrem philippinischen Amtskollegen Enrique Manalo drehten sich schnell um andere Themen – allen voran um das Sicherheitsthema Nummer eins für alle kleineren Länder der Region: Chinas aggressives Verhalten im Südchinesischen Meer. "Sie schauen sich zuerst ihre unmittelbare Nachbarschaft an", sagt Heiduk, "und sie haben vor allem ein Problem mit der Volksrepublik China im Südchinesischen Meer."

Auf einer Pressekonferenz in der Hauptstadt Manila kündigte Baerbock neue Hilfen für die philippinische Küstenwache an und forderte China auf, die Expansionspolitik aufzugeben und sich an das Völkerrecht zu halten. "Solche Ambitionen sind nicht durch internationales Recht gedeckt", sagte Baerbock. China reagierte umgehend und forderte andere Länder auf, sich aus regionalen Angelegenheiten herauszuhalten.

Die Außenministerin spricht mit Admiral Ronnie Gil Gavan, dem Kommandanten der philippinischen Küstenwache, während ihres Besuchs im Hauptquartier der philippinischen KüstenwacheBild: Aaron Favila/AP/dpa/picture alliance

Der Streit um potentielle oder bereits bestehende Unterschiede in der Bewertung des Israel-Gaza-Konflikts sei also auf rhetorischer Ebene angesiedelt, sagt Heiduk von der Stiftung Wissenschaft und Politik – und ohne wirkliche Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen: Auf der empirischen Ebene sieht der Asien-Experte keine negativen Auswirkungen auf den bilateralen Handel und die Investitionen oder auf die Entwicklungshilfe. "Meine Vermutung wäre, dass die tatsächlichen Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen minimal bis gleich Null sein werden."

Auf dem diplomatischen Feld ist der Israel-Gaza-Krieg dagegen nicht die erste Hürde, die in den vergangenen Jahren zwischen Deutschland und Ländern in Südostasien auftauchte: Die fehlende Positionierung wichtiger Partner wie Vietnam, Malaysia und Indonesien auf UN-Ebene zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine war aus deutscher Sicht ein großes Problem. "Sie haben das Gefühl, sie würden zu sehr die Ausrichtung auf den politischen Westen signalisieren und ihre Position im sogenannten globalen Süden schwächen", erklärt Heiduk die Zurückhaltung dieser Länder. Hinzu kommen wirtschaftliche und militärische Beziehungen zu Russland. "Das hieß aber nicht, dass Baerbock nicht dorthin reisen würde."

China, Handel, Investitionen

Es sei der Bereich des Handels, in dem die Bundesregierung den Dialog mit den Ländern Südostasiens verstärken sollte, meint der Außenpolitikexperte Jürgen Hardt. So wichtig Baerbocks Reise auch gewesen sein mag, der Oppositionspolitiker bezeichnet das Ergebnis als "sehr unbefriedigend". Er betont: "Meiner Meinung nach blieb die wichtigste Frage zu Freihandelsabkommen auf dieser Reise nur eine Randbemerkung."

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Hardt behauptet, dass "die mangelnde Einigkeit der derzeitigen Bundesregierung dieses wichtige Instrument blockiert", und fügt hinzu, dass das jüngste Beispiel dafür das Scheitern eines Freihandelsabkommens mit Australien sei.

Wenn man persönliche Besuche von Regierungsmitgliedern als Währung der Diplomatie sieht, dann versucht Deutschland gerade mit Blick auf Südostasien, die leeren Kassen der vergangenen Jahrzehnte aufzufüllen. "Es ist ein Teil der Welt, in dem - wie man so schön sagt - das persönliche Erscheinen die halbe Miete ist", sagt Heiduk. "Ich denke, dass viele außenpolitische Entscheidungsträger in der Region eine sehr, sehr realistische und sehr pragmatische Einstellung dazu haben, wie sie internationale Angelegenheiten gestalten."

Mit anderen Worten: Israel, Russland und die Ukraine sind in den deutsch-südostasiatischen Beziehungen bloße Randnotizen. Es dreht sich alles um China, Handel und Investitionen. Und dass man etwas öfter als alle zehn Jahre persönlich vorbeikommt.

Aus dem Englischen adaptiert von Shabnam von Hein.