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Braucht die Wirtschaft eine Regierung?

4. Dezember 2017

Egal, ob Jamaika oder GroKo - der Dax hält sich über 13.000 Punkten. Egal, ob Merkel, Lindner oder Schulz - deutsche Großkonzerne verdienen wie nie. Gibt es denn gar keinen Zusammenhang zwischen Politik und Wirtschaft?

Bundeskanzleramt , Spree, Berlin, Germany
Das Bundeskanzleramt in BerlinBild: picture-alliance/Global Travel

Zehn Wochen sind seit der Wahl zum deutschen Bundestag vergangen, das Parlament arbeitet längst, eine neue Regierung aber lässt auf sich warten. Dabei geht es der Wirtschaft des Landes so gut, dass der Begriff "geschäftsführende Regierung" einen ganz neuen Klang bekommt.

Die Geschäfte der deutschen Wirtschaft laufen nämlich so gut, dass der Eindruck entstehen könnte, es sei doch gleich, wer die Regierung bildet. Der Eindruck täuscht. Es gäbe da einiges zu tun, um überhaupt die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die deutsche Wirtschaft weiter tun kann, was sie derzeit richtig gut macht: wachsen.

Dabei geht das nun schon seit acht Jahren so, oder - in der Lieblingszeiteinteilung der Bilanzleser - seit 34 Quartalen: Das deutsche Bruttoinlandsprodukt legt zu. Im letzten Quartal war es ein Plus von 0,8 Prozent. Für das gesamte Jahr 2017 rechnen die Ökonomen mit 1,8 bis 2 Prozent Wachstum. Und das wird nach Einschätzung vieler Experten 2018 so weiter gehen. Die Ökonomen des Allianz-Konzerns rechnen schon mit 2,3 Prozent mehr. Auch die EU-Kommission setzte ihre Wachstumsprognose für die EU von 1,9 auf 2,3 Prozent herauf.

Gescheiterter Jamaika-Versuch: Sondierung zwischen Unionsparteien, Liberalen und Grünen Bild: imago/Ralph Peters

Kurze Krise, lange Krise?

Als aber vor zwei Wochen die sogenannte Jamaika-Sondierung scheiterte - der Versuch, eine Regierung aus CDU/CSU, FDP und Grünen zu bilden - gab es kaum Reaktionen in der Wirtschaft, sagt etwa Deutsche-Bank-Ökonom Marc Schattenberg: "Das hat keine direkten ökonomischen Auswirkungen." Allenfalls eine längere politische Krise, so sein Kollege Rolf Schneider von der Allianz-Versicherung, wäre ein Problem. "Derzeit sehe ich darin aber keinen nachhaltigen Belastungsschwerpunkt für die deutsche Wirtschaft."

Was aber heißt: längere Krise? Bis Ostern könnte es schon dauern, bis ein neues Kabinett mit allen Kompetenzen die Regierung in Berlin übernimmt. Die amtierende Regierung unter Bundeskanzlerin Merkel ist jedenfalls nur eine Regierung auf Abruf. Die Wirtschaft brummt dennoch: Die 30 Dax-Konzerne in Deutschland - das sind die wichtigsten deutschen Aktienunternehmen - steigern in diesem Jahr ihre Nettogewinne um mehr als 50 Prozent auf rund 90 Milliarden Euro. Damit wäre das bisherige Rekordjahr 2007 um fast 20 Milliarden Euro übertroffen.

Auf das Jahr 2007 aber folgte eine bedrohliche Weltfinanzkrise und ein tiefer Sturz. 2007 war auch  das letzte Mal - vor dem jetzigen Jahr - dass die deutsche Wirtschaft ungebrochen von der guten Weltwirtschaft profitieren konnte; damals, ähnlich wie jetzt auch, brummte die Wirtschaft in allen Weltregionen. Das war kurze Zeit später vorbei, und die Weltfinanzkrise forderte ihren Tribut.

Aufschwung und  Abschwung

Will heißen: noch nach jeder Aufschwungsphase, auch wenn sie überraschende acht Jahre dauert, droht ein Abschwung. Darauf muss ein exportorientiertes Land wie Deutschland vorbereitet sein. Ist es das? Ohne kräftige Regierung?

Und was heißt kräftige Regierung? Darüber gehen die Meinungen auch in der Wirtschaft auseinander. In dieser Woche entscheidet die deutsche Sozialdemokratie, ob sie sich noch einmal auf den Weg machen will, um eine große Koalition mit Kanzlerin Merkels christlicher Union zu bilden. Noch zwei Wochen hatte das die SPD-Führung vehement abgelehnt. Da war gerade der Versuch mit dem Jamaika-Bündnis in Berlin gescheitert. Seither schallt der Ruf nach "staatspolitischer Verantwortung" immer lauter, auch innerhalb der SPD.

Potentielle Großkoalitionäre im Bundestag: Kanzlerin Merkel und SPD-Chef SchulzBild: imago/C. Thiel

Das könnte zu einer Neuauflage der Großen Koalition führen, der einzigen Parteienkombination, die auf eine parlamentarische Mehrheit käme. Allerdings waren die Parteien, die sie wieder tragen sollen, bei den jüngsten Wahlen herb abgestraft worden: CDU/CSU und SPD verloren zusammen fast 14 Prozent.

Der langjährige Chef der deutschen Arbeitergeber und jetzige Ehrenpräsident des Branchenverbands BDA, Dieter Hundt, nannte gegenüber der Zeitung "Handelsblatt" eine Wiederauflage der Großen Koalition denn auch "gefährlich".  Auch der Arbeitgeberclub in der CDU sieht das ähnlich. Dessen Vorsitzender, Werner Michael Bahlsen, findet, allein schon wegen der Forderungen der SPD werde die zu teuer.

Teure Koalition?

Um diese Forderungen gibt es derzeit ein munteres Tauziehen; da geht es etwa um eine Bürgerversicherung für Gesundheit und Pflege für alle, die die bisherige Zweiteilung in private und gesetzliche Krankenversicherung ersetzen soll, auch um eine Rentenreform oder um Investitionsprogramme in Bildung und für die Kommunen.

Die möglichen hohen Kosten einer großen Koalition fürchten mache Arbeitgeber inzwischen dermaßen, dass eine Minderheitsregierung als das kleinere Übel  erscheint: "Wir sollten die fast krankhafte Angst vor einer Minderheitsregierung aufgeben", befand auch Dieter Hundt im Gespräch mit dem "Handelsblatt". "In dieser Situation wäre eine Minderheitsregierung die bessere Lösung für Deutschland."

Auch eine Minderheitsregierung würde wohl von der CDU geführt werden, verfügt aber nicht über eine stabile Mehrheit im Bundestag; für jedes Gesetzesvorhaben müsste die Regierung sich eine Mehrheit unter den Abgeordneten suchen. Das stärkt zwar das Parlament, freuen sich Demokratietheoretiker, schwächt aber die Position der Exekutive, mahnen Politiker und auch manche Wirtschaftsfachleute. So sagt auch Clemens Fuest vom Münchner Ifo-Institut, dass die "wachsende Unsicherheit über den Kurs der Wirtschaftspolitik" ein ernst zu nehmendes Risiko sei,  wenn eine Regierung ohne eigene Mehrheit agiert. 

Arbeitsaufgaben für die Politik gibt's genugBild: picture-alliance/dpa/C. Charisius

Nun warten aber bei allen bisherigen Erfolgen der deutschen Wirtschaft einige Aufgaben auf die neue Regierung - egal ob aus einer Minderheitsposition heraus oder von der großen Koalition gebildet -, deren Lösung für die Zukunft deutscher Unternehmer entscheidend sein dürfte.

Dabei hat der aktuelle Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer unter anderem die Europapolitik im Blick: „Wichtig ist und bleibt die Beantwortung der Frage, wie wir gemeinsam Europa wieder mehr Schwung verleihen können. 80 Millionen Deutsche können mit fast 1,4 Milliarden Chinesen im Wettbewerb nicht mithalten - 500 Millionen Europäer schon."

To-do-Liste

Auf der To-do-Liste der Wirtschaft tauchen für die neue Regierung immer wieder die Probleme mit der Digitalisierung auf. Man kann die Gründe dafür auch im wirtschaftlich gut aufgestellten Bayern oder im Großraum Frankfurt finden: Der Versuch, dort einen größeren Anhang einer E-Mail herunterzuladen, kann schon mal die EDV einer ganzen Firma lahm legen - zu schwach sind die Datennetze. Aus einer Studie des World Economic Forums geht hervor, dass Deutschland im internationalen Vergleich nur auf Platz 42 beim schnellen Internet kommt.

Eine wichtige Aufgabe für eine neue Regierung wäre deshalb der flächendeckende Ausbau der Breitbandnetze. Ein unabhängiger Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums hatte unlängst in einem Brief an den damaligen Verkehrsminister Alexander Dobrindt gewarnt: "Der schleppende Ausbau der Datennetze verhindert eine wirtschaftlich gesunde Zukunft."

Nicht weniger dringlich ist für viele Unternehmen in Deutschland der Fachkräftemangel. Der ist mit einheimischen Arbeitskräften kaum mehr zu beheben. Und doch tut sich die Regierung bislang sehr schwer mit einem angemessenen Einwanderungsgesetz - ganz abgesehen von außerdem nötigen, hohen Investitionen in Schule und Bildung.

Europa, Digitalisierung, Bildung, Einwanderung - einige zentrale Aufgaben für die neue Regierung. Oder wie Arbeitgeberchef Kramer formulierte: "Die deutschen Unternehmen sind robust aufgestellt. Das ist aber keine Entschuldigung für fehlendes Handeln in der Politik."

ar (dpa, rtr - Handelsblatt, Archiv)

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